Gesellschaft | Interview

“Wo ist hier das Gesamtkonzept?”

Verena Überegger ist Vizebürgermeisterin, 3-fache Mutter, die in Sterzing geboren hat und Krankenhausangestellte. Sie spricht über das drohende Ende der Geburtenstation.

Verena Überegger hat einen ganz besonderen Bezug zum Krankenhaus Sterzing. Sie hat ihre drei kleinen Kinder an der dortigen Geburtenstation zur Welt gebracht. Auch die 39-Jährige selbst wurde im Krankenhaus Sterzing geboren, heute arbeitet sie dort. Seit kurzem ist Verena Überegger Vizebürgermeisterin von Freienfeld, das nur fünf Kilometer von Sterzing entfernt ist.

Frau Überegger, wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass mit Sterzing eine beliebte und bewährte Geburtenstation aller Voraussicht nach geschlossen wird?
Verena Überegger: Ich arbeite selbst im Krankenhaus Sterzing, allerdings nicht in der Geburtenstation. Aber die Information über die Schließung nehme ich schon seit Jahren zur Kenntnis. Ganz persönlich finde ich es einfach erschreckend und beängstigend, wenn man Mitarbeitern immer wieder sagt, dass geschlossen wird. Wenn man immer wieder mit der Nachricht konfrontiert wird, jetzt wird geschlossen, dann ist die Rede von der Rettung, dann soll die Abteilung wieder geschlossen werden und dann wieder gerettet. Das ist eine enorme psychische Belastung und verängstigt die Mitarbeiter im Krankenhaus Sterzing.

Kennen Sie Frauen, die in Sterzing ihre Kinder zur Welt gebracht haben?
Ich habe selbst alle drei meiner Kinder dort geboren.

Wie haben Sie die Betreuung vor, während und nach der Geburt dort erlebt?
Meine Schwangerschaften waren alle keine Risikoschwangerschaften sondern sind normal verlaufen. Auch die Geburten waren natürliche Geburten ohne Komplikationen. Und ich war sehr zufrieden mit dem Personal, mit dem Ambiente. Die Erfahrung, die ich gemacht habe ist folgende: Wenn es beim ersten Mal nicht geklappt hätte, wäre ich die nächsten Male ganz sicher nicht nach Sterzing gegangen.

Warum muss man dann im Vorfeld solche Aktionen starten?

Sie haben sich also bewusst noch einmal für Sterzing entschieden?
Bei mir hat sich die Frage nach einem Standortwechsel überhaupt nicht gestellt. Ich habe mich in Sterzing stets in guten Händen gefühlt und nie überlegt, irgendwo anders hinzugehen. Das wäre für mich gar nicht in Frage gekommen.

Sollte die Geburtenstation in Sterzing tatsächlich geschlossen werden, werden sich jene Frauen, die die Absicht hatten, dort zu gebären, diese Frage allerdings stellen.
Sterzing hat sich im Lauf der letzten Jahre einen sehr guten Ruf erarbeitet. Das beweisen auch die vielen Geburten von außerhalb, wie die Zahlen belegen, die immer wieder ins Spiel gebracht werden. Das gute Ansehen hat natürlich einen Grund. Wenn jemand über Jahre hinweg gut arbeitet und die Leute sich geborgen fühlen, dann gibt es auch Mundwerbung. Die hat einen ganz großen Einfluss und bestätigt, dass Sterzing ein attraktiver Standort für Geburten und die Schwangerschaftsbetreuung ist.

Über die Jahre ist nich nur das Ansehen, sondern auch die Verunsicherung gestiegen, wie Sie angedeutet haben?
Natürlich. In der Abteilung arbeiten allesamt Menschen, die Tag für Tag versuchen, ihr Bestes zu geben. Aber wenn man sich vor Augen halten muss, dass es die eigene Arbeitsstelle morgen vielleicht nicht mehr geben wird, dann belastet das. Und ich finde es nicht tragbar, wenn das Ganze immer wieder neu aufgerollt oder nach vorne weggeschoben wird. Dazu kommt, dass ich als Bürgerin effektiv noch nie verstanden habe, was das jetzt tatsächlich an Sparmaßnahmen mit sich bringt.

Die drohende Schließung ist für Sie nicht nachvollziehbar?
Ich verstehe, dass Umstrukturierungen notwendig sind und dass es Sachen gibt, die man verändern und verbessern muss. Aber wenn man die Geburtenstation jetzt wirklich von Sterzing nach Brixen verlagert, verstehe ich nicht, was effektiv an Kostenersparnis da ist. Die Transparenz diesbezüglich habe ich bisher immer vermisst. Obwohl ich eigentlich interessiert bin und mich auch immer wieder informiert habe.

Ich habe mich in Sterzing stets in guten Händen gefühlt und nie überlegt, irgendwo anders hinzugehen.

Sie arbeiten im Krankenhaus, sind in der Gemeindepolitik tätig, sitzen seit fünf Jahren im Gemeinderat von Freienfeld und sagen, Sie haben keinen Durchblick?
Nein, ich habe nie eine umfassende Information erhalten. Zumindest habe ich nicht das Gefühl, dass ich die einmal vermittelt bekommen habe. Obwohl ich bemüht war, mir Informationen selbst zu beschaffen und durch meine Arbeit im Krankenhaus auch einen anderen Zugang zu Informationen habe. Ich habe keinen Durchblick. Sondern frage mich, wo hier das Gesamtkonzept ist.

Es fehlt also nicht nur der Durch- sondern auch der Überblick?
Das Krankenhaus ist ja nicht nur für Freienfeld ein Thema, sondern für den ganzen Bezirk. Und ich glaube, dass die Zukunft der Struktur und der Abteilungen in einem gesamten Kontext gesehen werden muss. Wenn zum Beispiel zuerst gesagt wird, dass die Neuroreha nach Brixen verlegt wird und eine Woche später heißt es, die Neuroreha wird nicht nach Brixen verlegt, sondern sogar von 15 auf 21 Betten aufgestockt, dann denke ich mir schon ja wo ist da das Gesamtkonzept? Wenn sich innerhalb einer Woche so große Geschichten total verändern.

Können Sie sich das erklären?
Das Hin und Her – heute werde ich geschlossen, dann wieder nicht, jetzt doch wieder – ist für mich fast nicht nachvollziehbar. Ich frage mich, was steckt da dahinter? Es sollte der Bevölkerung zugestanden werden, sich die Hintergründe einmal anhören dürfen, um sich eine Meinung zu bilden. Denn als Bürger des Wipptals habe ich fast keine Möglichkeit, Informationen zu bekommen.

Ich finde es nicht tragbar, wenn das Ganze immer wieder neu aufgerollt oder nach vorne weggeschoben wird.

Von wem würden Sie sich die wünschen?
Die Landesregierung spricht ja immer wieder von einem Kommunikationsproblem. Der Landeshauptmann selbst hat bei einer Bürgerversammlung in Trens gesagt und in Sterzing wiederholt, dass Kommunikationsfehler gemacht wurden. Ich glaube, einmal kann man den Fehler machen, den Betroffenen keine Informationen zu geben. Aber dass es ständig wieder passiert und man ständig wieder Menschen vor den Kopf stößt, Menschen, die im Betrieb wirklich versuchen, die Standards zu erfüllen, die Dienste zu garantieren, dafür kämpfen und es tatsächlich auch schaffen. Und dann wird wieder alles über Bord geworfen…

Es wurde bisher verabsäumt, Klarheiten zu schaffen?
Es wird ja jetzt der Landesgesundheitsplan diskutiert und überarbeitet. Als Instrument, das die gesamte Entwicklung des ganzen Systems über die nächsten Jahre bestimmt. Warum muss man dann im Vorfeld solche Aktionen starten? Eigentlich ist genau dieses Instrument notwendig, um den Rahmen für die Zukunft festzulegen. Und die Entscheidung über das Schicksal einer Geburtenstation ist einfach wegweisend, die die Zukunft betrifft und müsste im Landesgesundheitsplan festgelegt werden. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, sie jetzt ad hoc herauszubrechen, wenn ich eh schon dieses Instrument erarbeite.

Das ist eine enorme psychische Belastung und verängstigt die Mitarbeiter im Krankenhaus.

Ihre Kritik geht an die Landesregierung?
Ja. Der Bevölkerung wurde das Ganze nie mit wohl durchdachten Argumenten, die mit Daten und Fakten belegt sind, erklärt. Das ist ein Kritikpunkt. Der nächste ist diese Kommunikationsform, mit der man Menschen einfach vor den Kopf stößt. Immer wieder neue Entwicklungen und sobald sich die Lage etwas entspannt hat, kommt wieder der nächste Schlag, der die Leute wieder an die Wand schmettert. Obwohl sie in der Zwischenzeit versuchen, die Vorgaben zu erfüllen und daran zu arbeiten. Und das muss für die Leute vor Ort einfach massiv sein.

Es ist die Rede davon, dass es der Landesregierung nie verziehen werden würde, sollten in der Geburtenstation in Sterzing die Lichter ausgehen. Wie schätzen Sie die Konsequenzen einer Schließung ein? Beziehungsweise, rechnen Sie damit, dass man sich weiter dagegen zur Wehr setzt?
In der Gemeinde haben wir bereits Überlegungen angestellt, welche Aktionen sinnvoll sein könnten, wie man der Schließung entgegenwirken könnte. Es laufen Gespräche und es gibt schon konkrete Ideen. Es ist noch verfrüht, das nach außen zu tragen. Wir haben am Wochenende die Geschichte mit der Bombe. Natürlich ist uns die Problematik absolut bewusst, aber momentan versuchen wir, so gut es geht die Geschichte mit der Bombe zu lösen und wenden uns ab nächster Woche dieser Problematik zu. Aber die Hoffnung im Wipptal und in Freienfeld ist noch da. Dass es die Möglichkeit und Bereitschaft zu Gesprächen gibt und vielleicht auch die Einsicht kommt.

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Albert Hofer Fr., 01.07.2016 - 16:27

Ich habe ja insgeheim den Verdacht, würde man in Südtirol eine Volksabstimmung zur Zukunft der Krankenhäuser Sterzing und Innichen anberaunen, gäbe es eine relativ breite Mehrheit für eine Komplettschließung. Dass es dort für derart kleine Einzugsgebiete in relativer Nähe zu anderen Krankenhäusern überhaupt Spitäler gibt, hat mich schon in tempi non sospetti, wie der Italiener so schön sagt, gewundert. Abstrakt betrachtet kämpfen die Wipptaler und Hochpusterer für umfangreiche Transferzahlungen aus dem Landeshaushalt, mit denen Leistungen finanziert werden, die die Obervinschger und die Unterlandler auch nicht vor Ort kriegen...

Fr., 01.07.2016 - 16:27 Permalink