Kultur | Editorial

Ein Dach überm Kopf, der in den Wolken steckt

Die KünstlerInnen-Residenz in Südtirol als kulturelle Chance

Südtirol ist ein Abwanderungsland. Zumindest, was Intellektuelle, KünstlerInnen, ForscherInnen, AkademikerInnen betrifft. Wenn man die Zahlen betrachtet, ist 2014 im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren eine steigende Tendenz zur Abwanderung ins Ausland erkennbar, während jene innerhalb Italiens abgenommen haben. 
Während vielerorts die Betten leer werden, wird jenen, die genau ein solches suchen, die Aufnahme erschwert bis unmöglich gemacht. Der gesellschaftliche Diskurs tendiert in eine Richtung, wo "die Anderen" mit Furcht und Ekel behaftet werden und am liebsten aus der Sicht/aus dem Raum befördert werden sollen - nur wie, wenn die Züge sie wieder ausspucken und damit bei uns kleben bleiben?
Genau dieses diskursive und geistige Klima treibt so manche/n Kulturschaffenden fort zu Orten, wo mehr Offenheit, mehr Gelassenheit und Solidarität herrscht. Wo es größere Netzwerke, mehr Institutionen, mehr außerinstitutionelle Räume, mehr leerstehende Räume, mehr Gleichgesinnte gibt: die Großstadt.
Und doch, es gibt ein Potenzial hier, mit dem man/frau sehr wohl arbeiten kann. Südtirol als ein Land der Peripherie muss nicht das Abseits bedeuten, im Gegenteil: wir können es uns nur noch nicht ganz vorstellen, aber von hier aus können wichtige Impulse gesetzt werden. Mehr Kunstfestivals, mehr experimentieren, mehr zeigen, mehr vernetzen (auch international) - das wäre wichtig und schön.

Wenn die einen nicht dableiben wollen (oder dürfen), müssen die anderen her, und siehe da, sie kommen gern und immer wieder. In letzter Zeit haben sich in Südtirol einige interessante Initiativen entwickelt, die internationale KünstlerInnen ins Land holen. Für kürzere oder längere Zeiträume wird hier recherchiert, produziert und in der Öffentlichkeit präsentiert. Es passiert etwas - im besten Fall nicht von einem neoliberal anmutenden Produktionszwang belastet, sondern von einem ins Offene begleiteter Prozess des gegenseitigen Austauschs.
Diese Orte, die teils an Räumlichkeiten gebunden sind, teils nomadisch funktionieren, möchten wir im Monat Mai aufsuchen, befragen und porträtieren. Hinter diesen Initativen stecken Menschen, die sich mit Gastfreundschaft auseinandersetzen, Alternativen herstellen, Ressourcen investieren, Kultur mitgestalten. Und natürlich funktionieren Residencies nicht ohne willige "Gäste", ohne funktionierende Infrastrukturen, ohne Gelder, vielleicht am ehesten noch ohne Publikum. Auch diesen Seiten wollen wir Gehör schenken.

Hier einige der neuen Künstlerresidenzen in Südtirol (unvollständig aufgelistet):
Das Schwesternduo Kathrin und Sarah Oberrauch haben im Eppaner Zentrum die Residency "Eau & Gaz" initiiert, und laden bereits seit 2014 jährlich 4-8 KünstlerInnen ein, die dort leben und arbeiten können. Jährlich soll eine Ausstellung Einblicke in die Kunst der "residents" gewähren, so in diesem Jahr vom 22. Mai bis zum 14. Juni im Lanserhaus in Eppan mit Cornelia Herfurther & John McLean (DE), Saori Kuno (JP/BE), Björn Kämmerer (DE) und Shahar Biyamini & Asaf Elkalai (IL).

Die beiden Südtirolerinnen Lisa Mazza und Simone Mair haben zusammen mit der Portugiesin Filipa Ramos eine Residency namens BAU ins Leben gerufen, die sich zum Ziel macht, mit der lokalen Bevölkerung, dem Territorium, sowie dessen traditionellen Tätigkeiten und materiellen Kultur in Dialog zu treten. KünstlerInnen, KuratorInnen oder WissenschaftlerInnen werden eingeladen, mit lokalen ProduzentInnen ausgehend von gemeinsamen Interessen künstlerische Projekte vor Ort zu entwickeln. Zum Auftakt wurde das Designerkollektiv Åbäke nach Südtirol geholt, um zusammen mit SchülerInnen des Kunstgymnasiums Meran, MusikstudentInnen und dem Schreibmaschinenmuseum Partschins eine Schrift für BAU zu entwickeln.

GAP, Glurns Art Point, heisst das seit 2012 in Glurns existierende Atelierhaus für junge KünstlerInnen, das ebenso ein Residency-Programm anbietet. Der von Julia Frank, Andy Tappeiner, Simon Troger, Harald Punter und Angelika Ziernheld gegründete Verein bietet in diesem Jahr eine spezielle Residency für KuratorInnen an.

Im Projektraum Lungomare in Bozen läuft ebenso seit 2014 (bis 2016) ein Residenzprogramm mit dem programmatischen Titel "Ospitalitá Radicale / Radical Hospitality" in Zusammenarbeit mit der ar/ge kunst bozen. Hierfür kommt der türkische Künstler Can Altay mehrmalig nach Südtirol, um sich mit dem Thema der Gastfreundschaft auseinanderzusetzen. Gastfreundschaft wird hierbei keinesfalls als natürliche Gegebenheit verstanden, sondern als komplexes Verhältnis, das einer Machtverhandlung unterliegt, sowie als ein relationaler und sozialer Raum mit temporären Konditionen.

Nicht unweit von Lungomare befindet sich die Kunstsammlung und Residenz von Antonio Dalle Nogare, der nun auch eine KünstlerInnen-Residenz gegründet hat. Auf die Frage, warum er sich dafür entschieden hat, meint er: "I felt the need to get more into the work of artists, to break into their intimate sphere, in order to enter a dimension that cannot be reached by the mere purchase of a work." 2014 war der junge Maler Landon Metz in Südtirol zu Gast, im September wurden seine Arbeiten in einer Ausstellung gezeigt.

Zu guter Letzt eine Mischung aus Residency und Festival, aus eigener Feder stammend: Hotel Amazonas fand 2012 zum ersten Mal auf dem Aspmayrhof auf dem Ritten statt, in diesem Jahr wird das Projekt wiederaufgenommen. Wir kuratieren im August ein Programm aus Konzerten, Performances, Lectures, Workshops und Aktivitäten auf offenen Flächen (eben Wangen) mit der Unterstützung von Akteuren aus verschiedensten Wissensgebieten.