Wirtschaft | Gadertal

Kalte Enteignung

In Corvara hat die Seilbahngesellschaft ein neues Speicherbecken gebaut, ohne die Erlaubnis der Grundbesitzer. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Willy Costamoling hat zu viel erlebt, als dass er sich davon einschüchtern ließe. „Es gibt gewisse Kreise, die glauben, sie könnten einfach mit dem Bagger über alles drüberfahren“, sagt der Gadertaler Gastwirt, Extremkletterer, Paläontologe, Skifahrer und Bergretter. Costamoling und sein Rechtsanwalt Carlo Bertacchi haben in den vergangenen Tagen bei der Bozner Staatsanwaltschaft eine Anzeige hinterlegt, die nicht nur für die mächtige Liftgesellschaft „Sciovie Ladinia Spa“ zu einem ernsthaften Problem werden kann, sondern auch die Gemeindeverwaltung in Corvara arg in Verlegenheit bringt.

Kritiker Willy Costamoling: "Einfach mit dem Bagger über alles drüberfahren.

Es geht dabei um die Geschichte einer Liftgesellschaft, einflussreiche Gesellschafter, unorthodoxe Entscheidungen und die Tatsache, dass eine Gesellschaft ein Bauwerk auf einem Grund errichtet, ohne die dafür notwendige Erlaubnis zu haben. Es geht aber auch darum, wie Landes- und Gemeindeverwaltungen beide Augen zudrücken, um dem Vorhaben einer mächtigen Wirtschaftslobby freien Lauf zu lassen.

Der Skiliftkönig

Das Skikarussell Alta Badia ist eines der bekanntesten Skigebiete in den Alpen. 53 Lifte verbinden über 130 Kilometer Pisten und mit der „Gran Risa“ in La Villa hat man seit drei Jahrzehnten auch einen Austragungsort für Weltcuprennen. Heuer dort soll erstmals auch ein Nachtslalom stattfinden.
Marcello Varallo ist der Macher in Corvara. Der 68jährige gebürtige Mailänder, ehemaliger italienischer Abfahrer repräsentiert Alta Badia und den Weltcup wie kein Zweiter. Als Präsident des Tourismusverbandes Alta Badia und als Präsident des Organisationskomitees laufen beim Hotelier aus Corvara alle Fäden zusammen. Varallos Einfluss geht dabei weit über das Gadertal hinaus. Inzwischen ist sein Sohn Andrea „Andy“ Varallo in die Fußstapfen des Vaters getreten. So ist Andy Varallo auch geschäftsführender Verwaltungsratspräsident der „Sciovie Ladinia Spa“. In dieser Funktion steht Varallo jetzt im Mittelpunkt eines kuriosen Streitfalles.

Andy Varallo: Alle Genehmigungen gehabt.

Das Speicherbecken

Zum Skigebiet gehört auch der Skilift Col Alt. Dort wurde 1946 der erste Sessellift Italiens eröffnet. Wie in allen Skigebieten sind auch am Col Alt die Schneekanonen längst die wichtigste Einrichtung am Berg. Für das Schneemachen braucht man Unmengen an Wasser. Damit man das Wasser aber nicht kostspielig hinaufpumpen muss, legt man auch in Corvara riesige Speicherbecken an. Die Becken sind ökologisch und ästhetisch zwar ein Anschlag auf die Bergwelt, doch auf die Finanzen und Geschäfte der Skiliftbetreiber haben sie die Wirkung von Weihnachten und Ostern zusammen.
Bereits 2013 reicht man in Alta Badia ein Gesamtprojekt zur Errichtung von zwei großen Speicherbecken ein. Insgesamt sollen Anlagen mit einem Fassungsvermögen von 200.000 Kubikmetern Wasser entstehen.
Auch die Sciovie Ladinia Spa ist am ehrgeizigen Projekt beteiligt. Sie errichtet am Col Alt mehrere unterirdische Wasserspeicher und Speicherbecken. 2014 wird dabei auch ein Projekt zum Bau eines neuen Speicherbeckens eingereicht. Das Becken mit den Namen „Braia Fraida“ soll 73.500 Kubikmeter Wasser fassen.

Skilift Col Alt in Corvara: Zeit ist Geld.

Weil Zeit bei Skiliftbetreibern Geld ist, geht es schnell. Im Frühsommer 2015 beginnt man mit dem Bau. Im Herbst ist das Becken fertig. Der neue Wasserspeicher wird in der am vergangenen Samstag angelaufenen Wintersaison bereits genutzt.
Dabei hat das Ganze einen eklatanten Schönheitsfehler.

Die Interessentschaft

Der Grund, auf dem das neue Speicherbecken gebaut wurde, gehört der Interessentschaft Col Alt. Die Interessenschaft hat rund zwei Dutzend Mitglieder. Nicht alle aber sind mit dem Bau des Speicherbeckens einverstanden.
Am 18. Mai 2015 trifft sich die Interessentschaft im Ratssaal der Gemeinde Corvara zu einer Sitzung. Anwesend sind 10 Mitglieder der Interessentschaft, der Schätzer Johann Wild, ein Rechtsanwalt und zwei Vertreter der Sciovie Ladinia Spa. Darunter der gesetzliche Verwalter Andrea Varallo. Als Sekretär und Protokollführer fungiert ein Beamter der Gemeinde.
Es geht bei der Aussprache um die Anpachtung des Grundstückes, auf dem das Speicherbecken errichtet werden soll. Zudem soll das Aushubmaterial auf Grundstücken der Interessentschaft abgelagert werden. Neun Tage zuvor hat die Interessentschaft auf einer außerordentlichen Vollversammlung beschlossen, dass man für das Oberflächenrecht des Speicherbeckens einen Pachtzins von 10.000 Euro im Jahr verlangt. Für die Ablagerung des Aushubs hingegen eine einmalige Zahlung von 120.000 Euro.
Der Schätzgutachter Johann Wild schlägt auf der Sitzung aber den wesentlich geringeren Betrag von 59.722 Euro für das Oberflächenrecht auf 30 Jahre und pro Kubikmeter Material 1,51 Euro vor. Damit sind die Mitglieder der Interessentschaft nicht einverstanden.


Bau des Speicherbeckens: Ungültige Baugenehmigung?

Nach einer kurzen Beratung kommt man dann – laut Sitzungsprotokoll – zu einer anderen Lösung. Die Sciovie Ladinia Spa zahlt für 90 Jahre Oberflächenrecht für das Speicherbecken 180.000 Euro und pro Kubikmeter abgelagertes Aushubmaterial 2 Euro.
Nach diesem Beschluss geht es schnell. Zehn Tage später stellt die Gemeinde Corvara die Baugenehmigung aus. Unmittelbar danach beginnt man mit dem Bau des Speicherbeckens.

Ungültiger Beschluss

Dabei wird bereits wenige Tage nach diesem Treffen klar, dass der Beschluss der Interessentschaft nicht gültig ist. Der Grund: Laut Statut müssen die Beschlüsse mit der absoluten Mehrheit der Mitglieder plus einer Quote gefasst werden. Doch von den 410 Quoten der Interessentschaft waren am 18. Mai 2015 nur 204 im Gemeindehaus von Corvara vertreten.
Am 15. Juli 2015 macht der Bozner Rechtsanwalt Carlo Bertacchi, der sieben Mitglieder der Interessenschaft vertritt, die ihrerseits insgesamt 249 Quoten halten, die Sciovie Ladinia Spa in einem Schreiben darauf aufmerksam, dass der Beschluss laut Statut rechtswidrig sei. Seine Klienten fordern deshalb den sofortigen Baustopp.

Plan der Speicherbecken am Col Alt : 200.000 Kubikmeter Wasser

Das Schreiben geht auch an die Gemeindeverwaltung von Corvara. Denn eine der rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Baukonzession ist der Nachweis der Grundverfügbarkeit. „Diese Verfügbarkeit war aber nie gegeben“, sagt Anwalt Bertacchi, „damit ist auch die Baukonzession widerrechtlich“.
Doch weder die Gemeinde noch die Liftgesellschaft reagieren. Ihre Antwort unisono: Es ist alles in Ordnung

Die Vorermittlungen

Das kann man auch anders sehen. Die Staatsanwaltschaft Bozen hat bereits vor Wochen Vorermittlungen zu diesem Fall aufgenommen. Es wurden amtliche Dokumente gesichert und mehrere Beteiligte befragt.
In den vergangenen Tagen haben zudem jene Mitglieder der Interessentschaft, die von Anwalt Carlo Bertacchi vertreten werden, bei der Gerichtspolizei in Bozen eine detaillierte Anzeige hinterlegt. „Es geht hier nicht ums Geld“, sagt Willy Costamoling, „sondern um die Frage, ob es Bestimmungen gibt, die man einhalten muss, oder ob wir im Gadertal bereits im Wilden Westen leben, wo manche tun und lassen können, was sie wollen.

„Leben wir im Gadertal bereits im Wilden Westen, wo manche tun und lassen können, was sie wollen?“

Willy Costamoling hat mehrmals versucht mit dem Bürgermeister von Corvara und auch mit Andy Varallo zu reden. Doch der eine schiebt die Schuld auf den anderen. Die Liftgesellschaft beharrt darauf, alle nötigen Genehmigungen für das Speicherbecken eingeholt zu haben.
Jetzt soll die Gerichtsbehörde klären, was passiert ist. „Dann wird sich zeigen, ob man einfach mit falschen Karten das Spiel gewinnen kann“, meint Costamoling.