Politik | Katalonien

"Wenn die SVP so mutig wäre…"

Aufwind für die Südtiroler Freiheit nach der katalanischen Abstimmung. Warum die SVP laut Sprecher Christian Kollmann nicht unterschätzen darf, was in Spanien passiert.

Herr Kollmann, Sie haben die Abstimmung in Barcelona erlebt. Wie ist Stimmung?
C
hristian Kollmann: Die Stimmung ist wirklich ausgesprochen  positiv, auch wenn nun natürlich alle sehr gespannt sind, wie es in Katalonien weitergehen wird. Premier Artur Mas hat bisher nur allgemeine Formulierungen und kein konkretes Statement  abgegeben, deshalb weiß jetzt einmal niemand so recht, was nun weiter geschehen wird.

Sie selbst sind mit einer Gruppe der Europäischen Freien Allianz (EFA) unterwegs? Was genau sind Sie? Eine Vereinigung von Unabhängigkeitsbewegungen aus ganz Europa?
Ja, genau, da sind Bewegungen und Parteien aus ganz Europa dabei. Wir sind auch mit zwölf Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten, die meisten davon kommen aus Flandern, aber auch aus Katalonien und Schottland, aus Galizien oder aus Lettland, wo es eine russischsprachige Minderheit gibt. In den letzten Tagen ist hier ein interessanter Begriff entstanden: Wir sind die Union der „Independisten“, also wir haben das katalanische Wort übernommen, aber das trifft es auch. Wird sind ja alle für die Unabhängigkeit, aber gleichzeitig sind wir vereint in dieser Angelegenheit. Und dementsprechend zeigen wir auch Solidarität mit den Katalanen. Wir haben am Sonntag sechs Wahlsektionen besucht, wo wir immer sehr herzlich empfangen wurden.

Zuerst Schottland, nun Katalonien. So unterschiedlich die beiden Abstimmungen in ihrem Ergebnis und ihrer rechtlichen Verbindlichkeit sind, was verändern sie?
Sie haben ohne Zweifel Signalwirkung. Auch für uns in Südtirol. Deshalb hoffen wir als Südtiroler Freiheit auch, dass die Regierungspartei und übrigen Parteien, die mit einem Verbleib bei Italien weitermachen wollen, diese Bestrebungen auf Dauer nicht ignorieren werden und nicht unterschätzen, was nun in Katalonien passiert.

Was passiert denn - das aus Südtiroler Sicht Relevanz hat?
In Katalonien zeigt sich vorbildlich, wie der Wille nach Unabhängigkeit konsequent verfolgt wird, auch von der Regierung – und wie man sich trotz aller Schikanen gegen die Zentralregierung zur Wehr setzen kann.

"Die Lombarden sagen zum Beispiel, im Grund sprechen wir Lombardisch, da ist ja gar nicht Italienisch."

Also könnte Südtirol auch einen katalonischen Weg gehen? 
Katalonien ist sehr gut vergleichbar mit Südtirol. Und ich könnte mir auch gut vorstellen, dass der Südtiroler Volkspartei von Rom mit ähnlichen Maßnahmen gedroht würde – wenn sie so mutig wäre, wie die katalanische Regierung. 

Welche Drohungen gab es in Spanien?
Von Seiten der spanischen Regierung wurde alles unternommen, um das Referendum, das offiziell ja nur Umfrage heißen darf, zu verhindern. Also, sie rückten nicht mit den Wählerlisten raus, es konnte also nur mit Identitätskarte abgestimmt werden, es wurde angedroht, alle WahlhelferInnen zu beobachten und genau zu registrieren, wer für die Unabhängigkeit ist. Ganz krass war auch, dass die Handys von führenden Mitgliedern der Unabhängigkeitsbewegungen ständig angerufen wurden von Computern aus, damit die Kommunikation unterbrochen wird.  Insofern ist schon sehr vorbildhaft, dass sich die katalanische Regierung bis zuletzt nicht von ihrem Willen abbringen ließ.

Hielten die Zweifel und die Unsicherheit tatsächlich noch bis zum gestrigen Wahltag an?
Ja, absolut, es ging auch ein bisschen Angst um. An der Grenze zum eigentlichen Spanien wurden beispielsweise militärische Einheiten gesichtet. Da hieß es zwar, reiner Zufall, aber ein bisschen Unruhe verursachte das schon. Aber letztendlich lief dann alles extrem gut organsiert und friedlich ab, es gab ja auch 40.000 WahlhelferInnen. Der einzige Vorfall, von dem ich gehört habe, ereignete sich in einer Stadt nahe Barcelona, in Girona, wo eine Wahlsektion von fünf vermummten Männern gestürmt wurde. Da waren Faschisten, die noch der Franco-Ideologie anhingen, die haben die Wahlboxen beschädigt und „Viva Espagna“ gerufen.

Laut einer gerade erschienen italienischen Umfrage wären auch hierzulande ein Drittel der Menschen für die Unabhängigkeit ihrer Region. Überrascht Sie das?
Nein, überhaupt nicht, denn das ist der Trend. Das haben wir auch hier in Barcelona gemerkt,  es gab zum Beispiel auch eine Gruppe aus der Lombardei; die sind natürlich noch klein, aber sind eben auch für die Unabhängigkeit. Obwohl für die Südtiroler Freiheit doch die Sprache ein Kriterium für einen Anspruch auf Unabhängigkeit ist, gibt es auch in Italien viele Menschen , die sich gar nicht als Italiener fühlen. Die Lombarden sagen zum Beispiel, im Grund sprechen wir Lombardisch, da ist ja gar nicht Italienisch. Es gibt also einen klaren Trend zu einem Regionalismus, wir von der EFA gebrauchen den Begriff Glocalisation.

Also eine Mischung aus global und local? 
Genau. Es geht um den Trend, von der Globalisierung wieder zurück zu einer lokalen und regionalen Identität zu finden, und der ist derzeit sehr stark. Auch weil in Europa das Gefühl vorherrscht, dass diese Identität unterdrückt wird, dass in der Europäischen Union nur mehr das nationalstaatliche Interesse zählt statt eines Europa der Regionen – von dem im Gegensatz zu vor über 20 Jahren kaum mehr etwas zu hören ist.

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Willy Pöder Di., 11.11.2014 - 08:22

Nun, was ist in Spanien bzw. Katalonien schon Großartiges passiert? Dass 40 Prozent zur Wahl gegangen sind und davon 80 Prozent für die Abspaltung gestimmt haben? Das kann es doch nicht sein! Denn: Das sind nach Riese Adam (nicht Riese Haunold) 30 Prozent, also ein Drittel der Wahlberechtigten. Es braucht schon eine gute Portion an Oberflächlichkeit (oder Manipulation), um das Ergebnis als großartigen Erfolg medial zu verkaufen, wie das hier zu Lande praktiziert wird. So wie das Süppchen, bevor es zu Tische getragen wurde, gewürzt worden war, musste man sich ein Plebiszit für die Eigenständigkeit Katalonien erwarten. Davon ausgehend, ist das Ergebnis für die Promotoren der Volksbefragung wenn nicht ein niederschmetterndes, so doch ein ernüchterndes. Anders lässt sich das nicht sagen.

Di., 11.11.2014 - 08:22 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 11.11.2014 - 09:11

Antwort auf von Willy Pöder

was passiert ist? na dass 40% der Bevölkerung sich zu zivilem Ungehorsam aufgerafft haben und gegen der Rechtsempfehlung der Zentralregierung und des Verfassungsgerichtshofs zur Tat geschritten sind. Ob bei einem Referendum wie ursprünglich geplant mehr oder weniger hingegangen wären, steht in den Sternen. Auf jeden Fall haben 30% der Spanischen Konstitution des Vertrauen entzogen und der Spanische Staat hat ein Legimitationsproblem mehr. Ob es für Mas & co ein Verfolg war, ist nicht der eigentliche Punkt. Der Punkt ist die Niederlage Madrids.

Di., 11.11.2014 - 09:11 Permalink
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Sylvia Rier Di., 11.11.2014 - 10:14

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Schade bloß, dass der "zivile Ungehorsam" nicht für ganz Spanien gilt, sondern nur für eine Region, und gewissermaßen ziemlich egoistisch ist, unter gleich mehreren Gesichtspunkten. Hätte "man" sich nicht genauso gut für eine Verfassungsänderung im Sinne der Selbstverwaltung zu zivilem Ungehorsam aufraffen können? Nein, die Schlagseite ist unübersehbar, und die ist nicht schönredbar.

Di., 11.11.2014 - 10:14 Permalink
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Manfred Gasser Di., 11.11.2014 - 14:23

Antwort auf von Sylvia Rier

Der zivile Ungehorsam gilt nicht, er entsteht!!
Und zwar dort, wo etwas so schief oder falsch läuft,
dass viele Menschen sich eben mit diesem "zivilen Ungehorsam" dagegenstemmen.
Einige, die in der heutigen Zeit festhängen, ohne Visionen für ein neues Europa, nennen das Egoismus.
Andere, die an ein Europa der Regionen, der kleinen Verwaltungseinheiten glauben(und nicht nur davon reden), wohl eher Selbstschutz.

Di., 11.11.2014 - 14:23 Permalink
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Sylvia Rier Di., 11.11.2014 - 14:54

Antwort auf von Manfred Gasser

dann erklär doch bitte mir vorgestrigen visionslosen warum die Katalanen sich nicht mit den Basken (und all die anderen Spanier? sind die alle glücklich mit ihrer Regierung? läuft für die gar nichts schief? alles bestens?) zusammentun, und den vereinten zivilen ungehorsam in Richtung der genannten Verfassungsänderung lenken, damit auch alle anderen die Vorteile dieser kleinen Verwaltungseinheiten genießen können? Selbstschutz? mah.

Di., 11.11.2014 - 14:54 Permalink
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Manfred Gasser Di., 11.11.2014 - 16:35

Antwort auf von Sylvia Rier

Ich kann und muss es dir nicht erklären, weil ich kein Katalane, kein Baske und kein "anderer" Spanier bin, und weil das schon alle Bewohner des Staates Spanien alleine entscheiden werden. Das Volk entscheidet sich zum "zivilen Ungehorsam"!!
Da kannst du die Menschen nicht hinschubsen: So, jetzt machen wir mal alle ein Spiel, das heisst "ziviler Ungehorsam", so läuft das nicht!! Dieses Gefühl muss aus dem Bauch der Gesellschaft entstehen, überstülpen von aussen geht nicht gut auf die Dauer.

Di., 11.11.2014 - 16:35 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 12.11.2014 - 08:58

Antwort auf von Sylvia Rier

änderungen passieren meist über präzedenzfälle:

ein kleine geschichte: es gibt eine frau, die vor einigen jahren zwangsverheiratet wurde. der ehemann, der übrigens polygamist ist, ließ in den ehevertrag hineinschreiben: "diese ehe kann nicht aufgelöst werden". irgendwann wollte die sehr fleißige hausfrau - aus reinem egoismus natürlich - aus der zwangsehe raus. doch der ehemann meinte: "darüber wird nicht einmal diskutiert. mich interessiert nicht, was du sagst. wenn du nicht aufpasst, streich ich dir das taschengeld." und verwies auf den ehevertrag: "ändere zuerst mal diesen, aber ich sag dir gleich, ich werde einer änderung nicht zustimmen, selbst wenn du meine anderen frauen gegen mich aufhetzt".

Mi., 12.11.2014 - 08:58 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 12.11.2014 - 09:08

Antwort auf von Willy Pöder

1. die aktion war keine wahl. sie hatte rein symbolischen wert, da sie keine rechtlichen auswirkungen hat. eine offizielle abstimmung wurde vom verfassungsgericht ausgesetzt, bis dieser eine entscheidung über die verfassungskonformität einer solchen abstimmung befunden hat. die befragung war eher mit einer unterschriftenaktion vergleichbar. versuch mal 30 prozent der bevölkerung für ein anliegen zu bewegen.
2. bei der offiziellen abstimmung über das neue autonomiestatut 2006 haben ungefähr gleich viele menschen für eben dieses gestimmt als bei der befragung für die unabhängigkeit optiert haben. hätte man das neue katalanische statut damals nicht umsetzen dürfen, da zu wenige abgestimmt haben?
3. bei der volksbefragung zum projekt ried/kronplatz wurde das 40 prozent quorum verfehlt (33,67% stimmten ab - davon 90% gegen das projekt). ich würde dennoch nicht schreiben, dass da im pustertal "nichts großartiges" passiert ist. klingt irgendwie respektlos jenen menschen gegenüber, die sich da für eine sache eingesetzt haben.
4. die svp hat bei den vergangenen landtagswahlen 35 prozent der stimmen aller wahlberechtigten bekommen. selbst wenn man der svp kritisch gegenübersteht, muss man anerkennen, dass deren regierungsanspruch eindeutig demokratisch legitimiert ist.
5. übrigens: barack obama hat bei seinem triumph 2008 genau 30 prozent der wahlberechtigten für sich gewinnen können. muss damals echt niederschmetternd und ernüchternd für ihn gewesen sein. anders lässt sich das nicht sagen.

Mi., 12.11.2014 - 09:08 Permalink