Politik | Türkei-Besuch

Ministerpräsident Matteo Renzi bei Erdogan

Mit dem Aus für die transeuropäische Erdgasleitung South Stream ist die Türkei zum Schlüsselstaat für die russische Energieverteilung in Süd-Europa geworden.

Italien gehört zu den energieabhängigsten Staaten der Eu Deshalb hat es Ministerpräsident Renzi besonders eilig, die eingeschlafenen Kontakte zur Türkei  aufzufrischen.  Die Erdölquellen in der ehemaligen italienischen Kolonie Libyien sind seit dem Sturz Ghaddafis versiegt,  die privilegierten Kontakte zwischen  Rom und  Moskau als Folge der engen Freundschaft zwischen Silvio Berlusconi und Wladimir Putin sind durch die neue politische Konstellation in Rom belangloser geworden.  

Der FOLGENSCHWERE russische Strategiewechsel bei der Energieversorgung Europas zwingt Italien nun, die Türkei zu umwerben, um an das begehrte Erdgas zu kommen.  Gazprom-Chef Alexej Miller hatte vor einigen Tagen angekündigt, dass die Türkei als strategischer Partner Russlands künftig 50 Milliarden Kubikmeter Gas in Europa verteilen könne.  Die EU habe South-Stream boykottiert und  müsse sich in der Folge (sozusagen zur Strafe!) mit der mächtigen Türkei arrangieren, die ihrerseits das "Gasventil" für den geopolitischen Machtpoker in der EU einsetzen könne, sagte Miller.     

Mehr russisches Erdgas als die Türkei bekommt nur Deutschland , das weiterhin das wichtigste Verteilungszentrum  für den  Norden Europas bleibt. Was Südeuropa betrifft, wäre  Ministerpräsident Matteo Renzi somit der erste Bittsteller für eine reibungslose Erdgasversorgung.  Was er dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan im Gegenzug anbieten kann, wird die als Arbeitsbesuch eingestufte Visite in Ankara zeigen. Indiskretionen zufolge hat sich Renzi geweigert, das strenge Protokoll einzuhalten, das bei einem offziellen Besuch erforderlich ist: nämlich eine Kranzniederlegung vor dem Atatürk-Mausoleum zu absolvieren. Das sei Zeitverschwendung, soll Renzi gesagt haben.

Vielleicht wollte Renzi  damit beim türkischen Staatschef punkten. Erdogan tut ja alles, um die laizistischen Errungenschaften des "Vaters der Türkei" Atatürk durch eine konsequente Islamierung der Türkei auszulöschen. Er will wieder die osmanische Sprache mit den entsprechenden arabischen Buchstaben einführen und die Lehrpläne radikal ändern.  Das ist ein weiterer Schritt, um die ehemals angestrebte Mitgliedschaft in der EU zu behindern. 

In der Zwischenheit scheint die Türkei selbst das  Interesse an einem  EU-Beitritt verloren zu haben.  Doch die neue wirtschaftspolitische Achse mit Russland gibt Erdogan einen wichtigen Trumpf in die Hand, die er - als Revanche für die europäischen Bedenken gegenüber der Türkei - ausspielen könnte.  Der türkische Staatschef hatte diese europäische Abweisung stets als Demütigung empfunden . Jetzt könnte sich das Blatt wenden. Dabei ist die Türkei  weiterhin bei der Respektierung der Menschenrechte (Presse- und Meinungsfreiheit)  säumig, was Erdogan mit seinem neuen Freund Putin verbindet.