Politik | Krise

Starke Zäune, schwache Politik

EU-Parlamentarier Dorfmann spricht sich mit einem österreichischen Kollegen gegen ein Schließen der Brennergrenze aus – es stehe einfach zu viel auf dem Spiel.

Die Serie der Appelle gegen die Errichtung eines Zaunes an der österreichisch-italienischen Grenze reißt nicht ab. Die Vorbereitungsarbeiten der Regierung in Wien, die im Fall der Fälle auf eine Zunahme des Flüchtlingsstroms längs ihrer Südgrenze auch mit “technischen Maßnahmen” reagieren will, sind vor nicht einmal einer Woche bekannt geworden. In einer Pressemitteilung warnte die Handelskammer Bozen vor den Folgen einer bevorstehenden Abschottung Österreichs für die heimische Wirtschaft. Seither vergeht nicht ein Tag, an dem sich nicht der eine oder andere Politiker zu Wort meldet, um sich gegen die immer konkreter werdenden Pläne von Zäunen à la Spielfeld aussprechen. Nach Landeshauptmann Arno Kompatscher, seinem Trentiner Kollegen Ugo Rossi, Oppositionsvertretern von Süd-Tiroler Freiheit, Grünen, Freiheitlichen und Bürgerunion, dem Präsidenten des Europäischen Rats Donald Tusk und der italienischen Regierung ist nun EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann an der Reihe. Gemeinsam mit seinem österreichischen Kollegen Othmar Karas (ÖVP) schreibt Dorfmann am Donnerstag Nachmittag klar und deutlich, was man von Zäunen an der Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien hält: “Hundert Jahre österreichische Südtirolpolitik stehen auf dem Spiel. Zäune sind kurzsichtiges Handeln und ein Ausdruck der Schwäche von Politik. Zäune im Schengenraum lösen keine Probleme, sondern lösen eine Lawine von unabsehbaren politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen aus.”

Ebenso wie die Wirtschaftstreibenden dies- und jenseits des Brenners, machen sich auch die beiden EU-Parlamentarier Sorgen um die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen einer neuen Grenzbarriere. “Über die hässliche Symbolik hinaus würde das [ein Zaun, Anm. d. Red.] das tägliche Leben von hunderttausenden Menschen beidseits der Staatsgrenze erschweren”, betont Dorfmann. Wie bereits die Diskussion über einen möglichen Grenzzaun das Leben der Menschen beeinflusst, zeigt die Tiroler Tageszeitung am heutigen Donnerstag in einer Reportage vom Brenner auf: verschwiegene Kaufleute, die sich über Themen wie Flüchtlinge und Grenzzäune nicht äußern wollen, weil über den Brenner “eh nur negativ berichtet wird”; Menschen auf der Flucht, die an der Grenze “herumlungern”, wie ein Passant erzählt; Geschäftsleute des Brenner Outlet Center, die von einer “Katastrophe” durch unkontrollierte Flüchtlingsströme warnen.

Il punto chiave è se l'Europa sarà o meno in grado di ritrovare la strada della politica. Significa una strategia globale sull'immigrazione, fatta di cooperazione internazionale più che di filo spinato.
(Matteo Renzi in einem Brief an die italienische Tageszeitung La Repubblica)

Es ist ein düsteres Szenario, das TT-Journalist Nikolaus Paumgartten vom Brenner zeichnet. Voller Verunsicherung und zum Teil Abneigung. Aber auch voll von Unverständnis: Es könne nicht sein, dass in einem geeinten Europa wieder Grenzen aufgezogen würden. Davon sind auch Dorfmann und Karas überzeugt. Sie drängen, wie viele andere vor ihnen, auf eine europäische Lösung. “Wir laufen Gefahr, in Kürze mehr Zäune in Europa als in Zeiten des Kalten Krieges zu haben. Dies wäre das historische Scheitern einer Politikergeneration. Niemand in Europa kann den Flüchtlingsansturm allein bewältigen. Es gibt nur gemeinsame europäische Lösungen oder gar keine Lösungen”, ist sich Karas sicher. Und Dorfmann fordert ein “großräumiges regionales Konzept in der Europaregion Tirol, in der die grenzüberschreitende Zusammenarbeit weit fortgeschritten ist”.

Ob die ganzen Warnungen, Forderungen und Appelle etwas nützen, wird man in Kürze sehen. Der österreichische Verteidigungsminister will gemeinsam mit der Innenministerin noch diese Woche die Pläne der Regierung bekannt geben, ob und an welchen Grenzübergängen Zäune errichtet werden sollen. Und für kommende Woche will Bundeskanzler Werner Faymann eine “Koalition der willigen EU-Staaten” zu einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs nach Wien einladen. Diese sollen sich mit der Flüchtlingskrise und den konkreten Schritten für Lösungen befassen. Zum x-ten Mal. Weil aber bisher kaum etwas passiert ist, fordert Othmar Karas abschließend die Staats- und Regierungschefs auf, “endlich ihre längst getroffenen eigenen Beschlüsse in die Tat umzusetzen”.