Politik | Bombenjahre

Bestellte Geschichtsschreibung

Schützen-Chef Elmar Thaler fordert die Aufarbeitung der Südtiroler Bombenjahre. Doch der Schützenbund fabriziert seit Jahren bewusst ein einseitiges Geschichtsbild.

Wenn Elmar Thaler redet, dann im Stakkato des Oberbefehlshabers.
Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes stellte am Mittwoch in Rai Südtirol die Veranstaltung Inferno Tesselberg vor. Es geht dabei um eine szenische Lesung zum 50. Jahrestag der brutalen Polizeiaktion im Gaiser Weiler Tesselberg im September 1964.
Elmar Thaler fordert mit energischen Worten die Aufarbeitung der jüngeren Südtiroler Geschichte. Dies sollte dazu führen, dass im Exil lebende Freiheitskämpfer auch nach Südtirol zurückkehren könnten, sagte Thaler im RAI Südtirol Mittagsmagazin. Die Politik in Südtirol dürfe nicht länger einen Mantel des Schweigens über Ereignisse der sechziger Jahre breiten.
Der Schützenkommandant nutzte die Diskussionssendung auch um einen kleinen Seitenhieb auf die „linken Geschichtsschreiber“ abzugeben. Obwohl Thaler es mit der historischen Details in seinem Radio-Vortrag nicht allzu genau nimmt, verstehen ein enger Schützenkreis um ihn und er es bewusst, Emotionen zu schüren. Geschichtsaufarbeitung wird so seit Jahren zur politischen Propaganda gemacht. Das ist keine Neuheit und die gibt es genau so auf der rechtsextremen italienischen Seite.
Wie generalstabsmäßig man rund um den Südtiroler Schützenbund dabei aber Südtiroler Geschichte missbraucht, zeigt ein Blick hinter die Kulissen.

Der Verlag

Elmar Thaler betreibt beruflich, das durchaus gut funktionierte Unternehmen „Effekt!“. Das in Neumarkt ansässige Unternehmen ist eine moderne Agentur, die von Grafik, Gestaltung, Webprogrammierung, Design, Fotografie und Druckvorbereitung alles liefert. Die gesamten Plakataktionen und Publikationen des Schützenbundes laufen seit Jahren über diese Firma. Das Unternehmen ist zwar vordergründig im patriotischen Umfeld zuhause, kann aber durchaus auch darüber hinaus Referenzen vorweisen.
Teil des Unternehmens ist auch der Effekt-Verlag in dem seit Jahren Publikationen über das Schützenwesen, traditionelle Koch- oder Dorfbücher, sowie zeitgeschichtliche Bücher erscheinen, mit dem eindeutigen Schwerpunkt „Südtiroler Freiheitskampf“.
Einige Titel im Programm: „Das vergisst man nie. Zeitzeugenberichte über Südtirols 1960er Jahre“ von Birgit Mosser-Schuöcker, „Georg Klotz. Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“ von Eva Klotz, „Es gibt immer einen Weg. Einer der Puschtra Buibm · Autobiografie“ von Heinrich Oberleiter, „Der Tag von Sigmundskron. Eine Kundgebung macht Geschichte“ von Margareth Lun oder „Ohne Opfer keine Freiheit. Autobiografie eines Musikers und Freiheitskämpfers“ von Günther Andergassen.
Fast alle diese Bücher haben eins gemeinsam: Herausgegeben werden sie vom Südtiroler Schützenbund, lektoriert und gestaltet von der Eppaner Schützenhistorikerin Margareth Lun. Das ganze ist durchaus ein Erfolgsrezept. Finanziell unterstützt durch die „Laurin Stiftung“ finden dieser Publikationen innerhalb des Schützenbundes nicht nur rasenden Absatz, sondern auch einen Verband mit einem kapillaren Vertriebs- und Propagandanetz.Die Bücher werden so auch zum finanziellen Erfolg.

Die Strategie

Geleitet wird das Verlagsprogramm von drei Personen aus dem Bundesvorstand des Schützenbundes. Landeskommandant Elmar Thaler, dem Referenten für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit Major Efrem Oberlechner und der Referentin für Kultur- und Bildungsarbeit Margareth Lun.
Wie das Trio dabei allerdings mit der Südtiroler Zeitgeschichte umgeht, zeigt ein Fall, der bisher kaum bekannt ist. Der Pusterer Bua Siegfried Steger schrieb zwischen 2012 und 2013 eine bewegende Autobiografie. Herausgekommen ist eine der wichtigsten Publikationen zu den Südtiroler Bombenjahren der letzten 10 Jahre. Spannend aber durchaus reflektiert erzählt Siegfried Steger keine reine Heldengeschichte, sondern seine Lebensgeschichte ungeschminkt auch mit Fehlern. Darunter auch das äußerst wichtige Bekenntnis, dass auch der Freiheitskampf der Pusterer Opfer auf der italienischen Seite gefordert hat und dass es Steger um jeden Toten auf beiden Seiten leid tut.

Für Siegfried Steger war es eigentlich klar, dass das Buch dort erscheinen wird, wo auch alle seine Mitstreiter publizieren. Im Effekt-Verlag und im Umkreis der Südtiroler Schützenführung. Doch dann passierte etwas, was zeigt wie strategisch Elmar Thaler & Co vorgehen. Nachdem sie das Manuskript gelesen haben, erklären Thaler, Efrem Oberlechner und Margareth Lun dem verdutzten Siegfried Steger, dass das Buch so nicht erscheinen darf.
Der Hauptgrund: Man darf nichts zugeben. Der Freiheitskampf habe direkt keine Toten verursacht und allen Attentate mit tödlichem Ausgang wurden vom italienischen Geheimdienst organisiert.
Siegfried Steger ist keiner, der sich einschüchtern lässt. Nachdem der Autor dieser Beitrags das Manuskript gelesen hat, vermittelt er den Südtirol-Attentäter der Edition AROB von Artur Oberhofer und zu Hans Karl Peterlini, der die Herausgeberschaft und das Vorwort übernimmt. Das Buch von Siegfried Steger „Die Puschtra Buibm. Flucht ohne Heimkehr“ erscheint im Herbst 2013 und ist inzwischen in dritter Auflage zum Bestseller geworden. Vom Schützenbund werden Siegfried Steger und sein Buch allerdings boykottiert. Über Nacht wird so aus einer Galionsfigur des Freiheitskampfes und der patriotischen Szene ein schwarzes Schaf.

Das Doppelspiel

Elmar Thalers öffentliche Äußerungen und diese Hintergründe machen deutlich welches Doppelspiel man hier treibt. Für Thaler & Co darf es nur eine historische Wahrheit geben. Hier die heldenhaften, guten Freiheitskämpfer und dort der böse italienische Staat und seine Geheimdienste. Dazwischen gibt es nichts. Wer immer dieses Binom durchbricht, hat im Kosmos dieser Schützenführung keinen Platz und wird verstoßen und bekämpft.
Selbst dann, wenn er einer der öffentlich immer wieder angepriesenen “im Exil lebende Freiheitskämpfer“ ist.

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Willy Pöder Do., 11.09.2014 - 12:02

Bestellte Geschichtsschreibung in Bezug auf die Bombenjahre? Ist nichts Neues. Davon sprach seinerzeit schon Senator Hans Rubner. Er bezog sich allerdings nicht auf den Schützenbund oder dessen Repräsentanten, sondern erblickte diesbezüglich ein großes "schwarzes Loch in der Geschichte eines Verlags", das dieser zugeschrieben haben wollte - auf Bestellung. Der Senator sprach in diesem Zusammenhang ganz offen von verlagsgefälliger Darstellung. Was hingegen die Aktion in Tesselberg angeht, so hat die Pustertaler Zeitung wiederholt und tiefgehend über die brutale und furchterregende Vorgangsweise der Sicherheitskräfte dort berichtet. Sie hat aber auch darüber berichtet, wie ein junger Leutnant der Carabinieri unter seinen Männern Geld gesammelt hat, um der Wirtsfamilie den im Haus von anderen Einheiten verursachten Schaden irgendwie zu ersetzen. Wie immer: Es gibt solche und solche Menschen - immer und überall.

Do., 11.09.2014 - 12:02 Permalink
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gorgias Do., 11.09.2014 - 12:10

Das ist das Niveau, das ich mir wünsche. Kongratulation für den Artikel!

Leider kommt mir allzuoft salto.bz wie der Recyclinghof der Südtiroler Medienlandschaft vor. Hier sollten sich einige salto-Redakteure mal eine Scheibe abschneiden!

Do., 11.09.2014 - 12:10 Permalink
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Martin B. Do., 11.09.2014 - 13:21

Das hatte ich bis jetzt nicht gewusst, bzw. nicht realisiert. Es ist beschämend, wenn "Historiker" wie Margareth Lun, nicht der objektiven Suche nach Wahrheit und ausgeglichener Berichterstattung verpflichtet sind. Und wer, wenn nicht ein Beteiligter selbst, kann dies leisten; insbesondere wenn er selbstkritisch ist?
Im gleichen Atemzug stehe ich aber auch kritisch zu "Historikern" der anderen politischen Seite, welche vor lauter Suche nach Nazis und "schlechten" Südtirolern, auch keine sachliche und ausgewogene Position mehr einnehmen.

Do., 11.09.2014 - 13:21 Permalink
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Martin B. Fr., 12.09.2014 - 21:19

Antwort auf von Martin B.

Die Stellungsnahme von Cuno Tarfusser in der TZ zu Amplatz und auch solche Artikel von Christoph Franceschini entsprechen meinen Vorstellungen einer sachlichen Herangehensweise und Aufarbeitung. Solange die "staatlichen" Hintermänner von Kerbler, des Tesselberger Terrors, usw. keine staatliche (sprich gerichtlich objektive und ernsthafte) Aufarbeitung erfahren, bleibt das Feld für die Extremisten beider Seiten (pro Tirol/Italien) frucht- und besetzbar; also wohl für immer. Insbesondere finde ich es beschämend, dass diese staatlichen Hintermänner (inklusive der Ausführenden) später staatliche Ehrungen und Auszeichnungen erhielten. Kein Wunder, wenn die Gegenseite Amplatz & Co einseitig hochleben lässt. Zur Motivation von BAS und insbesondere von Sepp Kerschbaumer muß jeder gerechtigkeits- und freiheitsliebende Mensch Sympatie empfinden, zumindest ist das bei mir so.

Fr., 12.09.2014 - 21:19 Permalink
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Thomas Kobler Do., 11.09.2014 - 14:12

Toller Artikel! Danke Christoph Franceschini! Aber salto sollte sich jetzt wirklich mal jemanden "gönnen", der die Artikel auf Rechtsschreibfehler hin kontrolliert, denn auch dieser hier ist wieder voller Fehler.

Do., 11.09.2014 - 14:12 Permalink
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Harald Knoflach Do., 11.09.2014 - 15:17

wie bereits der amplatz-artikel, ist auch dieser beitrag sehr lesenswert. mehr davon, anstatt der aufgewärmten geschichten anderer.

Do., 11.09.2014 - 15:17 Permalink