Gesellschaft | Im Wandel

Typisch Jugend?

Legen Jugendliche keinen Wert auf Höflichkeit? Oder verstehen sie darunter einfach etwas anderes als Erwachsene? Antworten gibt die deutsche Linguistin Eva Neuland.
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Foto: salto

Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge ist angesagt wie eh und je. Die bekannteste Hinterlassenschaft des Freiherrn von Knigge, wie er später auch genannt wurde, ist das Werk “Über den Umgang mit Menschen”. In dem 1788 erstmals erschienenen Buch beschäftigt sich Knigge mit den “guten Umgangsformen”. Tatsächlich gilt Knigge als “einer der Urväter der deutschen Höflichkeit”, bestätigt Eva Neuland. Die Sprachwissenschaftlerin der Bergischen Universität Wuppertal war am Montag Abend in der Landesbibliothek Teßmann zu Gast. Auf Einladung des Bozner Zweigs der Gesellschaft für die deutsche Sprache präsentierte Neuland erste Ergebnisse einer Studie, die sie zum Thema “Sprachliche Höflichkeit bei Jugendlichen” durchgeführt hat.

“Dass das Thema Höflichkeit wieder besonders aktuell ist, zeigt sich unter anderem an der sehr großen Anzahl an Ratgebern, die derzeit auf dem Markt zu finden sind; der richtige Umgang in Beruf, Benimmregeln, Tischsitten und so weiter”, meint Neuland eingangs. Viele Menschen seien verunsichert, zum einen, weil sie vermehrt auf Menschen aus anderen Kulturkreisen treffen, zum anderen aufgrund der neuen Medien, so die Professorin: “Immer wieder tritt die Frage auf, was kann man sich erlauben? Wie geht man korrekt miteinander um?”


Der Schein trügt

“Und dann”, fährt Neuland fort, “sind da noch ‘diese Jugendlichen’, die vermeintlich keine Höflichkeit kennen”. Doch ist dem wirklich so? Bereits die Wortwahl von Neuland verrät: Den Sitten- und Sprachverfall, der der heutigen Jugend nachgesagt wird, nehmen nur viele Erwachsene als solchen wahr. In Wirklichkeit wissen die Jugendlichen sehr wohl, was Höflichkeit in ihrer traditionellen Form ist – “Bitte und Danke sagen, nach der Tageszeit grüßen, sich vorstellen, keine direkten Befehle geben” listet Neuland auf – und wenden sie zum Großteil auch an. Allerdings vorwiegend wenn sie es mit älteren Generationen zu tun haben. Was aber nicht bedeutet, dass sie untereinander unhöflich sind – auch wenn es den Erwachsenen so vorkommen mag. Im Gegenteil, unterstreicht Neuland: “Jugendliche wollen respektiert werden, Respekt ist ihnen wichtig und sie zeigen ihn auch im Umgang miteinander.” Soweit die Erkenntnis der Sprachwissenschaftlerin, die ein Jahr lang an deutschen Schulen im Ruhrgebiet geforscht hat. Ihre These: Heranwachsende haben ein anderes Höflichkeitskonzept, eine andere Vorstellung davon, was höflich ist und was nicht. Als Beispiel nennt Neuland die Grußformeln, die die Schüler, die sie befragt hat, verwenden. Treffen sie auf Gleichaltrige, grüßt sich beinahe die Hälfte mit “Hey” oder “Hi”. An zweiter Stelle kommt das “Was geht?”, gefolgt von “Hallo”. Begegnen die Jugendlichen einer Lehrperson außerhalb des Unterrichts, grüßt der Großteil der befragten Schüler mit “Hallo”, “Guten Tag, Herr/Frau X” oder “Morgen”, “Tag”, “N’Abend”.

Sprachforscherin Eva Neuland: “Diese Art von Forschung ist nicht einfach, als Erwachsene sind wir für die Kinder und Jugendlichen Fremde aus einer anderen Welt.”
 

Keine Frage des Gefallens

“‘Hey’ oder ‘Hi’ mag uns Erwachsenen gefallen oder nicht, doch unter den Jugendlichen wird es als höflicher Gruß angesehen”, berichtet Neuland. Sprachstil und Wortwahl hängt bei den Heranwachsenden demnach stark davon ab, ob sie mit Erwachsenen oder mit ihresgleichen reden. “Im intragenerationalen Gespräch geht es ganz stark darum, sich vom Gegenüber abzugrenzen”, so die Linguistin. Missverständnisse und Konflikte zwischen den Generationen sind damit quasi vorprogrammiert. Mit dem sozialen, kulturellen und damit sprachlichen Wandel verschiebt sich auch die Grenze dessen, was als Beleidigung beziehungsweise gesellschaftlicher Normverstoß angesehen wird. Neuland erläutert: “Wenn sie hören, wie Schüler teilweise miteinander reden, fragen sich Erwachsene oft zurecht – Sagt man das jetzt so? Sie mögen den Eindruck haben, dass sich die Jugendlichen von früh bis spät gegenseitig beleidigen, während die Jugendlichen selbst die angebliche Beleidigung ganz anders empfinden.”

Ein Beispiel aus ihrer Forschungspraxis: Auf dem Schulhof ruf ein Mädchen einer Gruppe “Was geht, ihr Missgeburten?” zu. Ein Erwachsener mag vielleicht den Kopf schütteln und sich über die Ausdrucksweise ärgern, “aber von den Angesprochenen scheint es niemand als Beleidigung empfunden zu haben, es hat sich niemand beschwert oder unflätig reagiert”, berichtet die Professorin. Ihr Fazit am späten Montag Abend: “Neben der traditionellen oder konventionellen Höflichkeit gibt es eine jugendtypische Höflichkeit, die den Erwachsenen nicht gefällt und vielleicht gar nicht gefallen muss, weil sie ja auch nicht für Erwachsene gedacht ist.”

Nicht jeder Wandel im Sitten- und Sprachgebrauch muss laut Eva Neuland daher gleich als Verfall gewertet werden. Dennoch äußert sie zum Abschluss einen Wunsch: “Sowohl in der Schule als auch im Elternhaus sollte das reichhaltige Repertoire der deutschen Sprache aufgezeigt werden und eine Reflexion drüber stattfinden, was höflich und wann welche Art von Höflichkeit angebracht ist.” Den Gebrauch gewisser – als unhöflich erachteter – Begriffe zu verbieten, sieht die Linguistin skeptisch. Denn aufzuhalten sei der Sprachwandel ohnehin nicht.