Gesellschaft | Stadt und Raum

"Es ist nie über Bedürfnisse geredet worden"

David Calas war als Architekt zur Debatte in die EURAC geladen. Ein Gespräch über den sterbenden Bahnhof, das Investorendenken und über Partizipation in der Stadtplanung.

Nach Andreas Gottlieb Hempel ergreift nun auch David Calas das Wort. Der junge Bozner Architekt und Wahlwiener war vergangenen Freitag auf Einladung der Bürgerinitiative, dank deren Einsatz die Öffentliche Debatte zur Aufwertung des Busbahnhofsareals zustande gekommen war, nach Bozen gereist. Calas, der unter anderem gemeinsam mit Boris Podrecca an dem Siegerprojekt für den Bozner Bahnhof gearbeitet hat, trat weder als Vertreter politischer noch sonst welcher Interessen auf, wie er gleich am Beginn seines Vortrags klar stellte. Sondern als Architekt, Urbanist und Lehrbeauftragter. Als solchen hat ihn salto.bz in Wien getroffen und über die Zukunft des neuen Bahnhofsareals, über Investoren und ihre Gedanken sowie über Partizipation in der Stadtplanung gesprochen.

Herr Calas, bei einer Veranstaltung im vergangenen Sommer hat Heinz Peter Hager unterstrichen, wie gut sich Benkos Kaufhaus-Projekt mit Podreccas ARBO (Areal Bozen, Masterplan für das Bahnhofsareal, Anm.) verträgt. Sie sind anderer Meinung?
David Calas: Seit sechzig Jahren wurde an einem Masterplan für den Bozner Zugbahnhof gearbeitet. Schon 1948 ist der erste Vorschlag gemacht worden, 2010 hat dann Podrecca den Wettbewerb für die Umgestaltung gewonnen – bis 2020 sollte das Projekt laut Masterplan eigentlich umgesetzt sein. Was aber fraglich ist, da 2014 die SIGNA Holding mit einem fertigen Projekt für das Busbahnhofsareal auftaucht, mit dessen Bau bereits im Herbst 2015 begonnen werden soll, und das das ARBO-Projekt in seinen grundlegenden Funktionen destabilisiert.

Wie kann man das verstehen?
Der Bahnhofsknotenpunkt (intermodales Mobilitätszentrum), der im ARBO-Masterplan geschaffen wird, soll einen bereits bestehenden Anziehungspunkt für die Menschen aufwerten. Vorgesehen ist die Ansiedlung von Gastronomie, Geschäften und öffentlichen Funktionen. So wird Urbanität geschaffen, öffentlicher Raum. Durch das Kaufhaus direkt vor dem Bahnhof verkommt der Mobilitätsknotenpunkt zum reinen Verkehrshub und seine Funktion als Verbindungs- und Anziehungspunkt stirbt.

Über die Bedürfnisse der Stadt, der Stadtviertel und seiner BewohnerInnen ist nie geredet worden. Dadurch ist ein Exklusions- und kein Inklusionsprojekt entstanden.

Auch die vorgeschlagene Verkehrslösung ist sehr fragwürdig, es kommt nur zu einer Verlagerung des Verkehrs, etwa in die Drususallee und Eisackuferstraße. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass nicht nachvollziehbare Entscheidungen getroffen wurden. Außerdem vermisse ich die Partizipation an dem gesamten Prozess. Die öffentliche Debatte in der EURAC ist ihrem Namen nicht gerecht geworden – es war eine reine Vortragsreihe.

Wie soll ein solcher partizipatorischer Ansatz in der Raum- und Städteplanung ausschauen?
Die Debatten und Diskussionen müssen im Vorhinein stattfinden. Durch einen vorgegebenen Rahmen wird gemeinsam an Leitbildern und Leitgedanken gearbeitet, auf die aufbauend dann die Projekte entwickelt werden. Und eben nicht aus heiterem Himmel ein fertiges Projekt hinsetzen.

Ich kann mir vorstellen, dass private Investoren, die als großzügige Gönner auftreten – wie am Beispiel in Bozen manchmal den Eindruck entsteht – kein Interesse an einer solchen Partizipation hegen?
Das Investorendenken ist generell kurzfristig, aber generell werden partizipatorische Maßnahmen nicht abgelehnt. Diese müssen nur schmackhaft gemacht werden.

Stichwort kurzfristiges Denken: Sobald die gewünschten Profite erzielt worden sind, macht man sich wieder aus dem Staub?
Profit – möglichst schnell und möglichst viel – ist ja der Job eines Investors, Benkos Job. Der Stadt einen Mehrwert zu geben, das ist nicht im Interesse privater Investoren. Die Stadt wird zur Marke gemacht – ein Image soll aufgebaut und der Stadt ein Wert gegeben werden. Allerdings frage ich mich: Und der Nutzer, sprich der Mensch, wo ist der?

Wie aus heiterem Himmel kam das Busbahnhofs-Projekt, das den Masterplan für den Zugbahnhof schwächt.

Es stehen also Einzel- gegen Kollektivinteressen?
Ich bin der Meinung, dass Öffentliches und Privates zusammenwachsen müssen. Aber das Öffentliche definiert die Parameter für das Private. Die Gemeinde muss Regie führen und sich nicht von irgendwelchen Angeboten ablenken bzw. den Blick verschleiern lassen. Erfahrungen aus Nordeuropa zeigen, dass Profit durchaus auf Konsens basieren kann, wenn Projekte unter der Bedingung, öffentliche Räume – Freiräume, die allen Leuten 24 Stunden zugänglich sind – zu schaffen, an Private vergeben werden.

In Bozen hat sich eine kritische Gruppe von Menschen übergangen gefühlt und Unterschriften gesammelt, um eine öffentliche Debatte zu erwirken.
Und doch ist die Debatte insgesamt durch die Wutbürger geschwächt worden, die sich gegen jeden und alles stellen. Es wurde verpasst, über Inhalte zu reden. Über die Bedürfnisse der Stadt, der Stadtviertel und seiner BewohnerInnen. Dadurch sind Exklusions- und keine Inklusionsthematiken angesprochen worden.

Mit dessen Bau nun anscheinend bereits im September dieses Jahres begonnen wird?
Das Projekt wird, soweit ich weiß, jetzt auf seine Wirtschaftlichkeit bzw. Machbarkeit hin geprüft, aber es kann durchaus sein, dass noch Überraschungen bevorstehen. Mir fällt da der “Ferro-Plan” von Silvano Bassetti (ehemaliger Stadtrat für Urbanistik in Bozen, Anm.d.R.) ein, der ein Projekt zum Bahnhofsareal vorgesehen hätte und bereits zur Einreichung bereit lag. 10.000 gesammelte Unterschriften sorgten schließlich dafür, dass das Projekt in den Bach gefallen ist.

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Mensch Ärgerdi… Di., 13.01.2015 - 12:55

Also ich weiß nicht, mir scheint, dass dieser Masterplan eigentlich nur jetzt aus einen staubigen Regal geholt wird und als Vorwand hergenommen wird um das Projekt schlecht zu reden.
Ich bin vollkommen wenn man sagt, dass die Gemeinde es sein soll die Regie führt, aber ist es im Moment wirklich so das die öffentliche Hand nichts von diesem Deal hat?
Und wenn jetzt schon so viel von diesen Masterplan geschwafelt wird, wie sieht es mit der konkreten Umsetzung davon aus?
Ich persönlich brauch auch sicher kein Shoppingcenter um zu überleben, wenn es das Angebot geben würde würde ich auch nutzen, sonst kauf ich meine Kleider weiter hier und da und fahr mal nach Affi oder Innsbruck. Nur glaube ich, dass momentan das Viertel einfach nur verkommen und hässlich ist vom Park und den Busbahnhof ganz zu schweigen. Viel schlimmer kann es nach dem Umbau doch nicht aussehen, und am Ende hat die Stadt ein paar Euros an Steuern verdient und einen neuen Busbahnhof.

Di., 13.01.2015 - 12:55 Permalink
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Lorenz Brugger Di., 13.01.2015 - 19:10

Es stellt sich die Frage, in wie weit das Bahnhofsprojekt wirklich auch umgesetzt wird. Bis dahin vergehen vielleicht Jahrzehnte... 2020 war wohl auch schon 2012 unrealistisch. Das Projekt ist heikel und hätte ähnlich wie jetzt das Kaufhaus-Projekt einige Hürden nehmen müssen, die sich Jahre hingezigen hätten. Das Kaufhaus-Projekt ist nicht direkt Schuld an einem möglichen Scheitern des Bahnhofsprojektes, auch wenn es das ARBO-Projekt mit Sicherheit in manchen Teilen in Frage stellt.

Der Masterplan aber ist gut, nur geht er nicht tief genug und ist nicht bindend... alleine deswegen dürfte die Stadt ihn als Schubladenprojekt abgestempelt haben. Und auch das Bahnhofsprojekt ist am Ende wahrscheinlich ein zu heißes Eisen, an das sich die Stadt nicht ohne weiteres gewagt hätte. Da kam das kleinere Kaufhaus-Projekt gelegen um zu zeigen, hier geht was.

Die Kompetenz lässt wieder mal zu wünschen übrig

Di., 13.01.2015 - 19:10 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 14.01.2015 - 17:06

Ich habe erst neulich diesen - sehr schönen! - Text gelesen, und stelle ihn hier mal ein, als - vielleicht - (eine) "Antwort" auf Calas' Frage: "Wo ist der Mensch?" Denn andernorts werden tatsächlich schon längst die Städte um den Menschen herum geplant, in Bozen scheinen (immer noch) andere Dinge prioritär.

" Brandeins: Herr Gehl, woran erkennt man die Lebensqualität einer Stadt?

Jan Gehl: Es gibt einen sehr simplen Anhaltspunkt. Schauen Sie, wie viele Kinder und alte Menschen auf Straßen und Plätzen unterwegs sind. Das ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator. Eine Stadt ist nach meiner Definition dann lebenswert, wenn sie das menschliche Maß respektiert. Wenn sie also nicht im Tempo des Automobils, sondern in jenem der Fußgänger und Fahrradfahrer tickt. Wenn sich auf ihren überschaubaren Plätze und Gassen wieder Menschen begegnen können. Darin besteht schließlich die Idee einer Stadt."

http://www.brandeins.de/archiv/2014/genuss/jan-gehl-im-interview-die-me…

Mi., 14.01.2015 - 17:06 Permalink