Gesellschaft | Wo lang?

Schwelende Krankheit Rechtsextremismus

Vermehrte Aktivitäten und unheilvolle Allianzen scheinen Realität. Die Schlägerei im Passeier – Symptom eines weiterhin beängstigenden Phänomens.

Harmlose Jugendsünde? Spinnerei im Rausch? Oder doch ein ernstzunehmender Vorfall? Über die Hintergründe der Schlägerei am vergangenen Wochenende im Passeiertal wird derzeit viel spekuliert. Insbesondere darüber, ob einige der in die Schlägerei verwickelten Jugendlichen als “rechtsextrem” beziehungsweise Neonazis einzustufen seien. Und ob das nun der endgültige Beweis dafür sei, dass die Szene neuen Aufschwung bekommen hat. Zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass die Situation bedenklicher sein könnte, als viele vermuten würden.


Berauschter Ausrutscher?

An Auftreten, Parolen und Liedern habe sich die 8-köpfige Gruppe eindeutig als Neonazis zu erkennen gegeben, so ein Augenzeuge im Gespräch mit salto.bz. Der Redaktion liegt ein Foto vor, in geschwärzter und ungeschwärzter Version. Darauf ist eine Gruppe von zehn jungen Männern zu sehen. Mit Bierflaschen in der Hand posieren sie vor einem Garagentor. Einige von ihnen sind mit T-Shirts der Kleidermarke Thor Steinar bekleidet. Vier tragen den deutschen Reichsadler auf der Brust. Einer erhebt den Arm zum Hitlergruß.

Aus dieser Gruppe sollen auch einige jener Burschen stammen, die in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai in die Schlägerei beim Passeirer “Brückenwirt” verwickelt waren. Neonazis, ist sich der Augenzeuge sicher. Auch die Kleidung habe keinen Zweifel an der politischen Gesinnung gelassen. So sei das Logo der Marke Thor Steinar an besagtem Abend auf der Kleidung der mutmaßlichen Neonazis klar erkennbar gewesen sein. Thor Steinar gilt als “szenetypisches Erkennungsmerkmal” für Neonazis und Rechtsextreme.

Im Gespräch mit der Tageszeitung spielen die mutmaßlichen Schläger die Anschuldigungen herunter. Thor Steinar habe im Grunde nichts mit der rechten Szene zu tun. Jeder könne die Kleidung dieser Marke tragen, so die Betroffenen. Was allerdings unerwähnt bleibt: Zumeist findet man Thor-Steinar-Mode in einschlägigen Onlineshops oder zweifelhaften Bekleidungsgeschäften zu kaufen. Für Kenner der Neonazi-Szene in Deutschland und auch den Brandenburger Verfassungsschutz gilt die Bekleidungsmarke als eindeutiges Erkennungsmerkmal der rechtsextremen Szene. Dazu die stern-Redakteure Martin Knobbe und Claudia Pientka bereits im November 2008:

Plumpe Nazisymbole sucht man (…) vergebens. Stattdessen bedient die Marke den Wunsch nach altgermanischer Tradition und mythischem Kitsch. Thor ist in der nordischen Mythologie der Gott des Donners. Er beschützt die Menschen vor Riesen und bösen Mächten. Woher der Zusatz Steinar kommt, ist nicht klar. Einen Bezug zum einstigen General der Waffen-SS, Felix Steiner, will Uwe Meusel (Geschäftsführer von Thor Steinar, Anm. d. Red.) weder bestätigen noch bestreiten.

Das Tragen von Thor-Steinar-Klamotten ist unter anderem im Deutschen Bundestag sowie in zahlreichen deutschen Fußballstadien verboten. Erst im März diesen Jahres verbot das Amtsgericht Hannover den Verkauf von Thor-Steinar-Textilien. Wegen ihrer Beliebtheit bei Rechtsradikalen stufte sie das Gericht als “bedenklich” ein.


Wachsames Auge im Burggrafenamt

Auch auf den auf dem Foto gut erkennbaren ausgestreckten Arm haben die Jugendlichen eine Erklärung parat: Das Foto sei entstanden, als man unter Alkoholeinfluss gestanden habe, sagen zur Tageszeitung. Es sei “eben so passiert”. Ganz so harmlos dürfte die Sache aber nicht sein. Denn mittlerweile berichten nicht nur Beobachter der rechtsextremen Szene in Südtirol von vermehrten Aktivitäten und neuen Allianzen. Neben Gruppierungen wie der Antifa Meran scheint auch die Zivilgesellschaft aufmerksamer und wachsamer geworden zu sein. Groß angelegte Ermittlungen und Razzien wie “Odessa” 2008 sowie die sozialen Medien scheinen sensibilisiert zu haben. Es sind Stimmen aus der Mitte der Dorfgemeinschaften, die vermehrt darauf hinweisen, dass sich die Neonazi-Szene im Burggrafenamt schon seit einiger Zeit erneut regt.

So berichtet man in Völlan von einer Gruppe Jugendlicher, die sich regelmäßig in einer Hütte beziehungsweise einem Keller treffen. Aus diesen seien dann auch schon “Sieg Heil”-Rufe getönt. Gerade einmal 15 bis 19 Jahre alt sind die Burschen. Unter ihnen jene Zehn, die auf dem anfangs erwähnten Foto abgebildet sind, und von denen einige am vergangenen Wochenende im Passeiertal “aktiv” wurden. “Wir sind keine Neonazis”, bekräftigen die Betroffenen im Tageszeitung-Interview. “Wir sind Jugendliche, die mit der aktuellen politischen Lage unstimmig sind und daher oft als 'rechtsextrem' eingestuft werden. Allerdings haben wir keinen Bezug zu NS-Zeiten.

Ein Blick auf die Facebook-Profile der jungen Männer (die Namen liegen der Redaktion vor) lässt hingegen kaum Zweifel an ihrer ideologischen Einstellung: Sonnenräder, die als Vorlage für das von den Nationalsozialisten verwendete Hakenkreuz diente; Reichsadler-Symboliken und Wolfsangel-Aufnäher – die Wolfsangel wurde von der Hitlerjugend und dem “Nationalsozialistischem Schülerbund” als Zeichen der Wehrhaftigkeit verwendet; Fan-Leibchen der mittlerweile aufgelösten Rechtsrockgruppe “Landser” – sie wurde wegen strafrechtlich relevanten Liedtexten und Kontakten zur gewaltbereiten Neonaziszene in Deutschland verurteilt. Das ist nur einiges an Bildmaterial, das die jungen Burschen ungeniert und öffentlich zugänglich ins Netz stellen.

Mit solchen Symboliken spielen die jungen Burschen auf Facebook. N.B.: Die abgebildeten Grafiken besitzen reinen Darstellungscharakter.


Comeback der beängstigenden Art

Doch auch anderswo rührt sich etwas. Wieder. Kenner der Szene berichten von einem Zusammenschluss der Völlaner Gruppe mit jenen Neonazis, die zumindest seit 2009 bekannt sein dürften. In Naturns war der Polizei damals ein Schlag gegen die Neonazi-Szene gelungen. 17 Jugendliche wurden dabei als Mitglieder der “Neuen Hitlerjugend Naturns” angezeigt. Ihr Anführer wurde verhaftet und schließlich verurteilt. Nun scheint er wieder aufgetaucht zu sein und in der Szene kräftig mitzumischen.

Bedenklich ist dabei der enge Kontakt zu CasaPound (CP), der dem mittlerweile 25-Jährigen nachgesagt wird. Zustande gekommen sein soll dieser unter anderem über einen Bekannten, der auf Facebook damit prahlt, dass CP-Regionalkoordinator Andrea Bonazza (dieser wurde am vergangenen Sonntag für CasaPound in den Bozner Gemeinderat gewählt) “seit mittlerweile 15 Jahren mein guter Kolleg” sei. Erwähnter Bekannter ist Gemeindebediensteter in Meran. Er schwärmt von Bonazza als “begeisterten Hockey- und Fußballfan, auf den man als Kollege immer zählen kann. Mehr als auf viele andere bei uns hier”. Dass Bonazza bereits des öfteren mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, scheint den Gemeindediener nicht zu stören.

Was bahnt sich da heran in Südtirol? So paradox der Schulterschluss zwischen Neonazis und CasaPound auch zu scheinen mag, ein Insider verrät salto.bz lächelnd: “Ja meinen Sie, da gibt es keine Kontakte und die tauschen sich nicht gegenseitig aus?” Bleibt nur zu hoffen, dass die Menschen auch weiterhin mit offenen Augen und Ohren durch ihr Dorf, ihre Stadt gehen. Und aufkeimendem Extremismus, der allzu oft und von vielen als jugendlicher Leichtsinn abgetan wird, sich aber häufig zum Alptraum entwickeln kann, Luft und Boden nehmen. Durch Gespräche, Aufklärung und Zukunftsperspektiven.


Ausstieg schwer, aber machbar

Denn Erziehungswissenschaftler dokumentieren in ihren Arbeiten, dass besonders jene Jugendliche dazu neigen, sich extremen Szenen anzuschließen, die in ihrer Kindheit entweder verhätschelt oder verwahrlost wurden. Die Neigung zu aggressivem Verhalten werde bereits von den Kinderschuhen an geprägt. “Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass vor allem die Beziehung im ­Elternhaus und der Schule gefragt sind. Fehlt oder krankt die natürliche Bindung zum ­Elternhaus, finden Betroffene oft die einzige Anerkennung in den extremen Jugendszenen, ganz egal ob rechts oder links”, so ein Erklärungsversuch des Vinschgerwind im September 2009.

Damals konnte die offene Jugendarbeit sowie jene in Vereinen die Jugendlichen nicht auffangen. Und auch jetzt fordern etwa die Grünen Initiativen von Land und Gemeinden, um die jungen Menschen, die drohen, in das rechte Eck abzurutschen, rechtzeitig aufzufangen. Denn das sei möglich, so Joachim Staffler von der Antifa Meran. Im Gespräch mit dem Vinschger Wind betont er: “Glücklicherweise sind die meisten Mitläufer und in ihrer radikalen Meinung nicht gefestigt.” Es gibt also noch einiges an Raum zwischen zum Teil Minderjährigen, die in der Burggräfler Neonazi-Szene Halt und Bestätigung gefunden zu haben scheinen und einem Andrea Bonazza, der öffentlich ungeniert zugibt, ein Faschist zu sein und nichts Schlimmes daran findet.