Wirtschaft | Naturpark

Unten durch statt oben drüber?

Wie weit sind die Tunnel-Pläne fürs Stilfserjoch? Die Grünen fordern Antworten. Auch der Stilfser Bürgermeister will Klarheit: "Weiß nicht, was da unterschrieben wird."

Laut Beobachtern der Begebenheit waren es anfangs nur “chiacchiere”. Nun scheint man in der Sache Ernst zu machen. “Aus der Lombardei erreichen uns Besorgnis erregende Nachrichten über den Nationalpark Stilfserjoch”, schreiben die Grünen Landtagsabgeordneten am Donnerstag Mittag. Anlass zur Sorge gibt ihnen laut Riccardo Dello Sbarba ein “Gespenst”. Ein Gespenst, das bereits seit Jahrzehnten herumgeistere und nun die unter Schutz stehende Gegend um das Stilfserjoch massiv zu gefährden drohe. Die Rede ist von den Plänen der Region Lombardei, einen Tunnel unter dem Stilfserjoch durchzugraben. Ganz so überraschend kommt die Nachricht nicht. Denn die Grundsteine für das Vorhaben wurden bereits vor einiger Zeit gelegt.


Grenzen untertunneln

Vor knapp zwei Monaten verabschiedet die Regierung der Nachbarregion den Beschluss Nr. 3609. Im Internet wird eine kurze Notiz veröffentlicht: “Si approva la bozza del protocollo d’intesa che verrà sottoscritto con la Provincia Autonoma di Bolzano per la realizzazione di uno studio di fattibilità del traforo dello Stelvio”. Das entsprechende Dokument trägt das Datum vom 21. Mai 2015. Gedruckt wird es unter dem Titel “Einvernehmensprotokoll mit der Provinz Bozen zur Aufwertung des Stilfserjochs” (im Original: “Protocollo d’intesa con la provincia di Bolzano per la valorizzazione dell’area dello Stelvio”).

Die Region Lombardei will sich nach eigenen Angaben gemeinsam mit der Provinz Bozen für die Förderung der Grenzregion rund um und im Nationalpark Stilfserjoch einsetzen. Hauptbestandteil des Maßnahmenpakets ist neben der Entwicklung gemeinsamer touristischer Vermarktungsstrategien der besagte Tunneldurchbruch. Geplant ist, einen Tunnel unterhalb des Stilfserjochs zu graben. Dadurch will man eine Verbindung zwischen der lombardischen Alta Valtellina und dem Vinschgau bis ins schweizerische Münstertal schaffen.

Noch fehlen zwei Unterschriften. Was noch fehlt ist die Information über den Stilfserjoch-Tunnel.


Unterschiedliche Prioritäten

Die Grünen haben den Beschluss genau studiert. Und stellen fest: “Bei der Begründung für die Untertunnelung werden vornehmlich ökonomische Gründe angeführt.” Liest man sich die fünf Seiten durch, fällt auf: Zwar wird der Stilfserjochpark als “Wahrzeichen für die Lombardei und Südtirol, sowohl im Hinsicht auf die sportliche Nutzung als auch in Bezug auf die Qualität der Umwelt” gesehen. Doch im gleichen Satz schreibt man, dass der Nationalpark heute in erster Linie eine Barriere zwischen den Territorien darstelle. Aber, so die weitere Ausführung, er könne eine wichtige Chance für die lokale Entwicklung sein. Und in erster Linie für die betroffene Bevölkerung.

Es ist das Mindeste, dass der Bürgermeister darüber Bescheid weiß und warum ein solches Protokoll unterschrieben werden soll. (BM Stilfs)

“Alta Valtellina, nel cuore dell’Europa, esclusa dall’Europa”, unter diesem Motto fordert man auf lombardischer Seite schon seit geraumer Zeit eine bessere Verbindung in den Norden. Wenn nämlich im Winter das Stilfserjoch für mehrere Monate gesperrt wird, sind die Bewohner auf der anderen Seite von der Außenwelt praktisch abgeschnitten. Im Beschluss steht dazu: “Die Alpenregionen müssen ausreichend zugänglich sein, um das Zusammenleben der Bevölkerungen zu garantieren und die wirtschaftliche Effizienz beizubehalten. Stets unter Wahrung der Umwelt- und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit.” Die vereinzelten Verweise auf Umweltaspekte im gesamten Dokument sind den Grünen zu wenig. Sie sorgen sich um die Zukunft des Naturparks.

 

Vogliono distruggere il parco dello Stelvio per fare un traforo!Un buco inutile, montagne sventrate, sindaci e...

Posted by Dino Alberti on Giovedì 19 marzo 2015


Straße oder Schiene?

“Umwelt- und Naturschutz – und somit die Hauptaufgabe des Parks – bleiben in der Erklärung praktisch außen vor”, so die Kritik der Grünen. Sie haben eine Anfrage gestellt. Darin wollen sie unter anderem wissen, wie die Landesregierung zu dem aufgezeigten Projekt steht. Eine erste Stellungnahme dazu kommt von Umweltlandesrat Richard Theiner bereits am Donnerstag Nachmittag. Im Gespräch mit Rai Südtirol bezeichnet er das Vorhaben als “interessantes Projekt”. Doch kommt für ihn nur eine Eisenbahntrasse in Frage. Ein Straßenprojekt schließt Theiner kategorisch aus. An der Vorstellung, eine eigene Eisenbahnverbindung zu bekommen, findet man auch in der Lombardei schon seit längerem Gefallen. Seit nunmehr fünf Jahren fordern Tunnel-Befürworter im Netz “un trenino per lo Stelvio”. Bereits 2013 äußerte sich Luigi Spagnolli, einst Präsident des Nationalparks Stilfserjoch, zu Tunnel und Zugtrasse: “Eine Eisenbahnverbindung würde Sinn machen. Es wäre auch für den Vinschgau interessant, der die Bahn nützen könnte, um seine Äpfel an den großen Markt, den die Lombardei darstellt, zu verkaufen.”

Noch fehlen die zwei Unterschriften unter dem Protokoll. Was ebenso fehlt, sind die Informationen über das Projekt.

Laut Informationen von Riccardo Dello Sbarba hingegen geht bei dem aktuellen Vorhaben um die Grabung eines Straßentunnels. Hinweise darauf finden sich im Anhang des lombardischen Regierungsbeschlusses. Auf knapp zwei Seiten wird das Vorgehen bei der Machbarkeitsstudie zur Untertunnelung des Stilfserjochs genauer erläutert. Man beruft sich dabei auf eine bereits bestehende Studie aus dem Jahr 2002. Damals ging es um die “Realisierung eines Straßentunnels”. Dieser sollte eine “bequeme und permanente” Verbindung zwischen der Alta Valtellina, dem Vinschgau und dem Münstertal garantieren. Erstellt wurde die Studie von der Gemeinde Bormio, im Einvernehmen mit der Provinz Sondrio und der Region Lombardei. Nun bildet sie die Basis für die Durchführung der neuen Machbarkeitsstudie. In einer ersten Vorbereitungsphase soll dabei laut Angaben im Beschluss der lombardischen Regierung auch eine Verkehrsstudie durchgeführt werden. Um die aktuellen und potentiellen Verkehrsflüsse zu erheben. Ein weiteres Indiz, dass die Pläne der lombardischen Regierung wohl doch etwas anders ausschauen dürften, als jene von Richard Theiner.


Wer weiß was?

Endgültig absegnen müssen das Protokoll schlussendlich zwei: Landeshauptmann Arno Kompatscher und Roberto Maroni als Präsident der Region Lombardei. Noch fehlt die Unterschrift der beiden. Was ebenso fehlt, sind die Informationen über das Projekt. Zumindest in Südtirol ist bislang kaum bis gar nichts bekannt. Währenddesse postete Mitte März der lombardische Movimento-5Stelle-Regionalratsabgeordnete Dino Alberti einen Facebook-Eintrag, der auch hierzulande die Alarmglocken hätte schrillen lassen können. Am 16. März hatten die Landtage von Bozen und Trient mit dem Regionalrat der Lombardei ein Dokument unterzeichnet. Es sollte die Beziehungen in Sachen Stilfserjoch Nationalpark untereinander besiegeln. Damit wurde der Grundstein für den Beschluss vom 21. Mai und die Pläne für die Untertunnelung gelegt. Der Aufschrei Albertis kam prompt: Ma questi vogliono veramente fare un traforo nello Stelvio?? Per migliorare i collegamenti fra Bolzano e la Lombardia? È forse questo il motivo per cui vogliono far sparire il Parco Nazionale dello Stelvio e smembrarlo fra Lombardia e Trentino Alto Adige? Per permettere questo scempio? Il tutto ovviamente è stato fatto senza coinvolgere i Comuni locali, i quali si sono visti arrivare la vivisezione del Parco dello Stelvio a cose fatte.”

Die drei Grünen schlagen nun in dieselbe Kerbe: “Die Aufteilung der Verwaltung des Nationalparks scheint erste faule Früchte zu tragen.” Sie drängen auf umgehende Aufklärung in der Sache. “Denn der Beschluss der lombardischen Regierung zeigt ganz klar die Absichten der Regierung Maroni auf, und Landeshauptmann Kompatscher und/oder der zuständige Landesrat und/oder die Landesregierung müssen in jedem Fall auf dem Laufenden gehalten werden”, so ihre Forderung.

 

SAVE THE DATE! Al Passo dello Stelvio Lunedì 27 luglio 2015, dalle ore 11:00 il Presidente di Regione Lombardia e il...

Posted by Un trenino per lo Stelvio on Domenica 12 luglio 2015

Einer, den das Vorhaben unmittelbar etwas angeht, ist Hartwig Tschenett. Als Bürgermeister von Stilfs könnte man davon ausgehen, dass er die Pläne, die Maroni und Kompatscher mit seiner Gemeinde haben, kennt. Auf Nachfrage von salto.bz gesteht Tschenett: “Ja, ich habe von der Sache gehört, ich weiß schon, worum es geht. Aber was da genau unterschrieben werden soll, das weiß ich nicht.” Laut seinen Informationen sollen die Unterschriften in gut zehn Tagen gesetzt werden, am 27. Juli. Bis dahin erwartet sich Tschenett lückenlose Aufklärung. “Es ist das Mindeste, dass der Bürgermeister überhaupt Bescheid weiß und darüber, warum ein solches Protokoll unterschrieben werden soll”, stellt er klar. Er habe sich bereits informiert und warte noch auf eine Antwort. Auf eine Antwort hoffen auch die Grünen. “Über dieses Projekt muss absolute Klarheit herrschen”, unterstreichen Dello Sbarba, Foppa und Heiss. “Denn”, so die drei Landtagsabgeordneten, “ein entsprechendes Bauwerk hätte enorme Auswirkungen.” Ob positive oder negative in Hinsicht auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt des Stilfserjoch-Gebiets sowie vor dem Hintergrund der Aufgabe des Naturparks – “das wird eingehend zu prüfen sein”.