Politik | Schottland hat

Wird Schottland unabhängig?

Ohne zu wissen, wie’s ausgeht: die Abstimmung selbst ist ein Ausdruck demokratischer Reife Großbritanniens, aber nicht aller EU-Mitgliedstaaten. Wenn eine historisch
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gewachsene Gemeinschaft in demokratischer Normalität frei darüber befinden kann, wie sie sich staatlich organisieren will, und der Zentralstaat diesen Prozess ermöglicht, ist dies eine ganz wesentliche Errungenschaft politischer Kultur. Über zwei Jahre lang konnten die Schotten gründlich das Für und Wider der Unabhängigkeit von London frei ausdiskutieren, abwägen und hatten heute die Wahl, sich friedlich von der britannischen Herrschaft zu verabschieden oder eben ihre Autonomie auszubauen. Schottland ist vorher nie demokratisch befragt worden, ob sie unter britischer Krone leben wollen. Jetzt gibt ihnen die Geschichte die Chance, dies nachzuholen. Gleich wie es ausgeht, Schotten und Engländer werden weiterhin friedlich miteinander auskommen. Aber auch wenn das YES verliert, gewinnt Schottland garantiert an Autonomie dazu.

Schottlands Drang nach Unabhängigkeit hat viele Gründe: ob Wunsch nach mehr Finanzautonomie oder sozialer Gerechtigkeit, Gleichberechtigung im Gesundheitswesen oder mehr Rechte für Arbeitnehmer (Schottland war immer Labour-regiert, bevor die SNP kam, die auch eine sozialdemokratische Seele hat), nuklear abzurüsten und nicht an ungerechtfertigten Kriegen beteiligt zu werden (Salmond brachte das so: „Kiribati und jeder ozeanische Kleinstaat konnte sich vom Irak-Krieg der Regierung Blair distanzieren, wir 5 Millionen Schotten konnten es nicht“.) Natürlich kann sich nicht jede Region abspalten, der der Regierungskurs nicht passt. Aber Schottland hat sich schon lang als Nation begriffen, nicht umsonst heißt die SNP eben National Party.

Der Drang nach Unabhängigkeit, eigentlich nach Emanzipation alter europäischer Nationen, ist auch ein Zeichen dafür, dass die Staaten in der EU noch zu viel Macht haben; und dafür dass sich regionale Gemeinschaften bevormundet fühlen. Auch Regionalstaaten wie Italien und Spanien bieten manchen Regionen nicht jenen Grad an Selbstregierung an, den sich die Bevölkerung wünscht. Das bedeutet, dass alle größeren EU-Staaten mit Ausnahme der Bundesstaaten, sich noch gewaltig anstrengen müssen, um den Regionen tatsächlich mehr Macht zu übertragen. Dabei ist es  für Europa gut zu wissen, dass auf demokratischem Weg Grenzveränderungen möglich sind, wie sie bisher innerhalb der Staaten möglich sind, und vielleicht bald so untraumatisch sind wie für die Schweiz die Bildung eines neuen Kantons (was auch schon geschehen ist).

Für einige Regionen und historische Nationen mit starken Selbstbestimmungsbewegungen wird Schottland ein Präzedenzfall dafür sein, dass sich die staatliche Aufteilung Europas auf friedlich-demokratischem Weg ändern lässt, sofern die betroffene Bevölkerung das mehrheitlich wünscht. Das ferne Konstrukt des “Europa der Regionen” abzuwarten, das ist vielen Schotten genauso wie vielen Katalanen einfach zu wenig. Die staatliche Emanzipation einiger Teile Europas wird andererseits auf die EU-Mitgliedstaaten Druck ausüben, es mit der Regionalisierung ernster zu nehmen als bisher. Zudem wird der Fall Schottland für die EU Anlass sein, die Bildung neuer Staaten innerhalb der Mitgliedstaaten in den Unionsverträgen und den Weiterbestand der Mitgliedschaft in solchen Fällen rechtlich zu regeln.

Autonomie hat nach dem Schottland-Votum – gleich wie es ausgeht – nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil. Wenn in wesentlichen Politikbereichen einschließlich der Finanzen wirklich dauerhaft Autonomie eingerichtet wird, dann kann ein stabiles Gleichgewicht entstehen. Auch die Katalanen waren 2006 mit großer Mehrheit mit mehr Autonomie zufrieden gewesen. Nachdem das spanische Verfassungsreicht einen Teil davon gekippt hatte, kippte auch die Stimmung bei den katalanischen Autonomieparteien und in der Bevölkerung.