Kultur | Mahlerwochen

Sloterdijk in Toblach

Ein Gespräch zwischen dem deutschen Star-Philosophen Peter Sloterdijk und Dr. Manfred Osten, ehemaliger Direktor der „Alexander von Humboldt-Stiftung“.
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Der deutsche Star-Philosoph Peter Sloterdijk sprach bei den diesjährigen Mahlerwochen in Toblach im Dialog mit dem ehemaligen Direktor der „Alexander von Humboldt-Stiftung“,  Dr. Manfred Osten, über sein jüngstes Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“, speziell über die religiösen Zusammenhänge des Antisemitismus, der die europäische Kultur seit der Antike beherrschte und der am Beginn des 20. Jahrhunderts gerade im Wien Mahlers bedrohliche Ausmaße annahm.

Manfred Osten im Gespräch mit Peter Sloterdijk

Sloterdijk verstand es in bravouröser Weise, die Folgen der revolutionären Tat des Jesus von Nazareth zu veranschaulichen, der durch den radikalen Bruch mit der altjüdischen Orthodoxie und mit der Verleugnung seiner irdischen Eltern das antigenealogische Experiment startete, mit dem er anstelle des altjüdischen Gottes der Rache einen Gott der Liebe zu seinem Vater ernannte. Mit diesem antigenealogischen Experiment legitimierte sich Jesus sozusagen, mit dem Gott der Juden, der nur Gesetze statuiert hatte und „keine Widerrede der Menschen duldete“, von der Erde aus mit seinem Gottvater  in einen immerwährenden Dialog zu treten. Was wiederum die Päpste als Jusu Stellvertreter auf Erden veranlasste, die Gesetze Gottes den irdischen Erfordernissen anzupassen und ihnen gleichwohl unumstößliche Autorität zu verleihen.

Prof. Hubert Stuppner

Sloterdijk erwies sich als ein profunder Kenner der Antike, der griechischen Philosophie, des Islam und der Evangelisten aus. Er wusste plausible Parallelen von Verleugnungen der Väter in der Antike und in der Geschichte nach Christus zu ziehen, u. a, mit jener Parallele des Franziskus von Assisi, der um 1200 in derselben Weise wie Jesus dem leiblichen Vater abschwor und an seiner Stelle nur noch den „Vater im Himmel“ anerkannte. Sloterdijk leitete daraus die Abwertung der Familie in der christlichen Welt ab, erklärte die Ausschließlichkeit der Gefolgschaft Christi als einen fundamentalistischen Weg zum Heil und verglich die Revolutionen, die in der europäischen Geschichte zu großen Veränderungen führten, als Formen antigenealogischer, die irdischen Werte verleugnende Wege in der periodischen Rückkehr zu den Jesuanischen Anfängen. Im Grunde seien alle radikalen Brüche und alle Ideologien der Reinigung, vor allem auch die antisemitischen Bewegungen, die Kreuzzüge der Häretiker und die der religiösen Fanatiker als  konservative, das Urchristentum restaurierende Bewegungen anzusehen. In diesem Sinne sei beispielsweise Luther als der „vollkommenste Katholik“ anzusehen, der nichts anderes wollte, als die genaue Beachtung der Jesuanischen Urreligion. Ein überaus zahlreiches Publikum folgte gespannt dem intellektuell hoch stehenden Philosophicum zum Antisemitismus.

Hubert Stuppner