Politik | Populismus

Korrektiv oder das "Einfallstor für Vereinfacher"?

Viele Bürger fordern mehr Partizipation, gehen mit Protest auf die Straße. Mit der Populismus-Abqualifizierung sind Medien und Politiker heute oft schnell zur Hand.
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Vor wenigen Tagen wurde die vom Bozner Gemeinderat erhobene Forderung nach einer Strompreissenkung im Gefolge der Fusion SEL-Etschwerke auf RAI-Südtirol als populistisch bezeichnet. Aber auch die BürgerUnion und die Freiheitlichen, oft selbst unter Populismusverdacht, verteilen dieses Etikett  ziemlich großzügig. Im Europawahlkampf 2014 z.B. nannte Pius Leitner den SVP-Stil „billigsten Zusammenhaltspopulismus.“ Über kaum ein Thema wurde 2014 so ausgiebig diskutiert wie über das Pestizid-Referendum in Mals. Dazu meinte SBB-Obmann Tiefenthaler in einem Interview mit der ZETT am 8.2.2015: "Die Diskussion ist wichtig, aber es ist nicht richtig, wie das Thema angegangen wird. Diskussion ja, Populismus nein!" Was am Bürgerprotest gegen Pestizide in Mals war populistisch? Vor wenigen Wochen warf Heinrich August Winkler in der ZEIT Le Pen, Putin und Tsipras als Populisten in einen Topf. Populismus als Wortkeule.

Was genau ist Populismus? Unter Populismus versteht man „eine um Nähe zum Volk bemühte Politik, die Unzufriedenheit, Ängste und aktuelle Konflikte für ihre Zwecke instrumentalisiert, indem sie Gefühle anspricht und einfache Lösungen vorstellt.“ (Wikipedia). Doch tun dies nicht viele Parteien, gleich ob in Regierung oder Opposition? Viele Beobachter betrachten den Populismus als Gefahr für die Demokratie. Andere behaupten, populistische Kräfte seien die Reaktion auf die Politikerkaste und Parteienallmacht, und seien unvermeidbar, wenn sich die Demokratie erneuern wolle. Der Begriff ist deutlich negativ besetzt und wird immer mehr denunziatorisch eingesetzt. Ist es eine Ideologie, oder eine Strategie oder nur ein politischer Stil?

Dabei gibt es eine alte Geschichte des Populismus als Protestbewegung gegen etablierte Strukturen und Parteien, die beansprucht, „das Volk“ zu vertreten. Auch wenn die Notwendigkeit der Repräsentation nicht bestritten wird, beruft man sich auf „das Volk“ als letzte entscheidende Quelle der politischen Macht. Populismus macht insofern Demokratiedefizite deutlich. Das Beispiel Italien beweist, wie stark die Eigeninteressen der Repräsentanten werden können, die mit sich selbst mehr als mit dem Land beschäftigt sind. Ist der Populismus nicht eine Reaktion auf eine Krise der politischen Repräsentation?

Die meisten liberalen Demokratien bieten immer noch als nahezu einzige Form der politischen Beteiligung das alle 4-5 Jahre auszuübende Wahlrecht an. Wie soll sich Protest gegenüber den herrschenden Parteien anders manifestieren als in der Wahl von Vertretern, die dagegen protestieren? Wie anders kann ein Korrektiv in einer solchen Demokratie wirken? Hat nicht der Protest gegen die „Politikerkaste“ in Italien, gegen den Machtmissbrauch der etablierten Parteien, und der Aufstieg des Movimento 5 Stelle dazu geführt, dass sich jetzt Matteo Renzi als „rottamatore“, als Erneuerer des PD und des politischen Systems, zu behaupten versucht? Insofern müssen „populistische Phänomene“ auch als Seismographen unbearbeiteter, politischer Probleme gedeutet werden, die für die Demokratie durchaus produktiv sein können.

Ein Hauptfeindbild „populistischer“ Kräfte links und rechts ist heute „Brüssel“, die heutige EU. Die Art der heutigen Integration, der Euro, die EU schlechthin wird von Protestparteien in verschiedensten Ländern kritisiert: die UKIP will den Austritt, M5S will die Eurozone verlassen, die Wahren Finnen wollen kein Euro-Schutzschild mittragen, griechische Parteien wollen zurück zur Drachme. Warum genau ist die Ablehnung der Euro-Rettung populistisch, warum ist Kritik an der EU nicht zulässig, warum sind diese Vorstöße populistisch? Es gibt unbestreitbar Stärken und Schwächen in der Konstruktion des Euro, im heutigen Integrationsprozess, es gibt ein Demokratiedefizit in der institutionellen Architektur der EU, ungelöste Probleme wie die gemeinsame Asylpolitik, das Diktat der Finanzmärkte über souveräne Staaten, andere Missstände. Die repräsentative Demokratie hat darauf noch keine schlüssigen Antworten, weshalb eine offene, demokratische Diskussion darüber durchaus berechtigt ist. Das Parlament und die Öffentlichkeit sind der Ort dafür. Streiten kann man sich über den Stil und die Sprache, aber sind die Themen an sich, nur weil unbequem, als populistisch tabuisieren?

Was Populisten regelmäßig für sich in Anspruch nehmen, ist, für „das Volk“ zu sprechen. Man beruft sich auf „das Volk“ als entscheidende Quelle der politischen Macht. Viele Populisten beanspruchen, als einzige die Meinung der "kleinen Leute" zu vertreten. Laclau nennt das Wesen des Populismus, die „Logik der konflikthaften Formierung von „Wir-Identitäten“. Darin, wie dieses künstliche Wir definiert wird, unterscheiden sich dann Populisten. Wer gehört zum Volk, wer nicht? Die Linkspopulisten meinen damit überwiegend die arbeitenden Klassen, Ausgeschlossenen und Modernisierungsverlierer. Die Rechtpopulisten beziehen auf den Mittelstand oder auf eine vorgestellte Gemeinschaft der Nation. Ein solches „Volk“ als homogenes Ganzes gibt es nicht, sondern eine ausdifferenzierte Gesellschaft mit und ohne Wahlrecht. In der Demokratie ist die Wählerschaft wiederum durch das Repräsentationssystem, Gewaltentrennung, den Rechtsstaat mit übergeordneten Normen begrenzt. „Das Volk“ wird somit begrenzt durch eine Funktionselite, die demokratisch legitimiert ist. Doch müssen nicht auch Eliten einer Kontrolle und Begrenzung unterworfen sein?

Vom „Volk“ sprechen allerdings auch die Volksparteien. Und so klar abgegrenzt von Rechtspopulisten sind auch Volksparteien nicht. Während die Freiheitlichen bei der EU-Wahl auf einer Liste mit Lega Nord und Front National antraten, gehört die Berlusconi-Partei und die umstrittene Partei des ungarischen Regierungschefs Orban zur EVP, der auch die SVP angehört. In verschiedenen europäischen Ländern regierten Rechtspopulisten lange Jahre mit Zentrumsparteien. Wo beginnt, wo endet Populismus?

 „In der zeitgemäßen Demokratie ist keine Partei, die Erfolg hat oder haben will, frei von populistischen Schattierungen“, schreibt Anton Pelinka, langjähriger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, in seinem Beitrag „Populismus – Zur Karriere eines Begriffes“ (in: Ustinov-Institut (Hg.), Populismus – Herausforderung oder Gefahr für die Demokratie?, Wien 2012, 9-20). Dabei warnt er vor der Inflation dieses Begriffs, vor seiner Unschärfe und Beliebigkeit. Auch vor der Verwendung von Populismus als Kampfbegriff oder Fluchtbegriff, um andere präzisere Begriffe zu vermeiden wie Extremismus oder Rassismus. „Populismus ist keine Antithese zur Demokratie“, schreibt Pelinka“, „noch ist er die Demokratie schlechthin (…) Populismus gehört auch zur Demokratie, aber Demokratie darf nicht nur populistisch verstanden werden. Das wäre das Einfallstor für große Vereinfacher.“

Solche offenen Fragen rund um das Thema Populismus stehen im Zentrum des ersten Abends der POLITiS-Gespräche „Baustelle Demokratie – Chance Bürgerbeteiligung“ am Donnerstag, 26.2.2015, 20 Uhr in der Cusanus-Akademie in Brixen. Hier das Gesamtprogramm der Reihe.

Thomas Benedikter

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Frank Blumtritt So., 22.02.2015 - 21:58

ich denke, der Populismus ist ein von der Demokratie unabhängiges Phänomen, da es ihn seit je her in allen Staatsformen gegeben hat. Einem Teil der Bevölkerung fehlt eben die Fähigkeit der Skepsis, der Entwicklung des eigenen Gedankens - und dies umso mehr (oder gerade deshalb?) in Gesellschaften mit modernen Kommunikationssystemen und fast unbegrenztem Zugang zu Informationen. Gepredigt wird zwar der Individualismus, gewollt sind aber Vermassung und Uniformität.

So., 22.02.2015 - 21:58 Permalink