Politik | Forum Alpbach

Von “UnGleichheit” und einer neuen Heimat

Der Tiroltag beim Forum Alpbach findet unter dem Motto “Neue Heimat Europaregion – Integration statt Ausgrenzung” statt. unibz-Rektor Walter Lorenz im Interview.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Das Europäische Forum Alpbach steht dieses Jahr im Zeichen des Themas “UnGleichheit". Der Tiroltag, der jährlich im Rahmen des Forums stattfindet, steht am Sonntag, 23. August, unter dem Motto “Neue Heimat Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino – Integration statt Ausgrenzung”. Der Rektor der Freien Universität Bozen, Professor Walter Lorenz leitete dabei im Vorfeld die drei Arbeitsgruppen des vorbereitenden EuregioLab.

Herr Lorenz, im Vorfeld haben 30 ExpertInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft der Europaregion über Maßnahmen zum Thema Integration diskutiert. Welche Themenbereiche bearbeiteten diese Workshops?
Walter Lorenz: Innerhalb des Mottos “Neue Heimat Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino - Integration statt Ausgrenzung” haben drei Arbeitsgruppen dieses Thema in drei Unterthemen unterteilt: Integration und Sprache; Integration und Kultur; Integration und Wirtschaft. Die Arbeitsgruppen haben ihre Beobachtungen zusammen getragen und dabei keine wissenschaftliche Grundsatzdiskussion geführt, sondern den Landeshauptleuten konkrete Vorschläge unterbreitet, zu denen sie am Sonntag am Runden Tisch selbst Stellung nehmen können. Die Folgejahre werden den Umsetzungsgrad zeigen. Die drei Arbeitsgruppen standen unter der Leitung von unibz-Professorin Susanne Elsen (Thema Wirtschaft), unibz-Dozentin Renata Zanin (Sprachen) und dem am italienisch-deutschen historischen Institut von Trient tätigen Paolo Pombeni (Kultur).

Das Forum Alpbach bietet eine ziemlich einmalige Gelegenheit, wissenschaftliche Resultate mit Verwirklichungsbedingungen in Verbindung zu setzen.

Sie waren und sind selbst aktiv am diesjährigen Europäischen Forum Alpach beteiligt.
Ja, das stimmt. Meine Rolle war es, die Koordination zwischen den drei genannten Bereichen herzustellen. Am Sonntag werde ich dann in Alpbach die wesentlichen Punkte einleitend vorstellen.

Konnte ein Maßnahmenkatalog zur Integration erstellt werden?
Es geht beim EuregioLab um eine Nahtstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Dabei war es wichtig, dass ExpertInnen aus verschiedenen Bereichen ihre Erfahrungen sowohl als EinzelexpertInnen als auch als Vertreter Innenvon öffentlichen Bereichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen einbringen. Der Maßnahmenkatalog zeigt auf, wie Integration in den drei Bereichen gefördert werden kann.

Es soll keinesfalls die Verantwortung zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Bildung hin- und hergeschoben werden, sondern jeder muss seinen Beitrag leisten.

Wie konkret darf man sich dieses Dokument vorstellen?
Es sind wirklich sehr konkrete Maßnahmen angeführt. Bei den Sprachkompetenzen wird vorgeschlagen, vermehrt Filme mit Untertiteln anzubieten. Oder dass die Lehrerausbildung mehr auf Mehrsprachenkompetenz ausgerichtet sein soll. Im wirtschaftlichen Bereich sollen die unternehmerischen Fähigkeiten von MigrantInnen stärker wahrgenommen werden. Somit werden MigrantInnen nicht als Wohltätigkeitsempfänger wahrgenommen, sondern als Ressourcen, die es zu fördern gilt.

Zuwanderung bedeutet stets Veränderung für alle Beteiligten. Welche Initiativen zur Förderung der Integration hat die Expertenrunde vorgeschlagen?
Wir heben hervor, dass diese Region aufgrund ihrer Geschichte nicht nur leidvolle Erfahrungen gemacht hat mit ihrer Grenzsituation. Sondern dass im Umgang mit der Geschichte viele Erfahrungen – kulturell wie politisch – gemacht wurden, die bei den Herausforderungen der Neuzeit zur Anwendung kommen können. Dabei denken wir vor allem an die Verbindung unterschiedlicher Kulturen und die unterschiedlichen Arten des Wirtschaftens. Berglandwirtschaft etwa setzt ein unmittelbares ökologisches Verständnis voraus: nicht nostalgisch gesehen, sondern im Zusammenhang mit der Globalisierung.

Forum Alpach - Walter Lorenz

Walter Lorenz im Kurzinterview.

Welches soll dann also das Ziel sein?
Es geht um eine gemeinsame euregionale Entwicklung der Zivilgesellschaft. Menschen sollen nicht nur in verschiedenen ethnischen Gruppen wahrgenommen werden, sondern sie sollen auch etwas in die Region einbringen. Und MigrantInnen werden an der Lösung von Problemen beteiligt. Eine Sprachgruppe kann also selbst eigenen Sprachangebote unterbreiten, also die Sprache des Empfängerlandes lernen und die eigene Sprache weiterpflegen. Eigenbeteiligung kann geschehen, indem Migranten als Dolmetscher auftreten, bei Behördengängen helfen oder Ähnliches. Hier ist ein überregionaler Zusammenschluss nötig.

Das Europäische Forum Alpbach sieht sich auch als Schaufenster der Forschungslandschaft. Wie viel Forschungsarbeit widerspiegelt sich im EuregioLab?
Was wir vor allem nutzen konnten, waren die hervorragenden Forschungsleistungen im Bereich der Sprachen und der damit verbundenen Identitätsbildung bei Jugendlichen und MigrantInnen. Hier wird an allen drei Universitäten und an der Eurac intensiv geforscht. Im Bereich der Wirtschaft stellen wir fest, dass diese bereits innovative Wirtschaftsmodelle erforschen, beispielsweise im Bereich der Sozialkooperativen und der sozialen Wirtschaftsmodelle. Modelle, die darauf abzielen, von reinem Profitdenken abzusehen und gesellschaftliche Spaltungen zu vermeiden. In der Spaltung arm-reich ist ja auch der Grund eines großen Teils der Migration zu diagnostizieren.

Die Arbeitsgruppen haben keine wissenschaftliche Grundsatzdiskussion geführt, sondern den Landeshauptleuten konkrete Vorschläge unterbreitet.

Welche Rolle schreiben Sie der Bildung, der Wirtschaft und der Politik in diesem Integrationsprozess zu?
Es geht vor allem darum, Schnittstellen zu betonen. Es soll keinesfalls die Verantwortung zwischen Politik, Zivilgesellschaft und Bildung hin- und hergeschoben werden, sondern jeder muss seinen Beitrag leisten. Die Wirtschaft ist ein entscheidendes Moment, kann das aber nicht ohne die Beteiligung der Politik leisten. Der Bildung kommt eine zentrale Rolle zu, die Schule kann aber nicht alles leisten.

Auch JungforscherInnen werden an diesem Tiroltag ihre Ideen präsentieren. Stehen diese im Zusammenhang mit dem Thema der “UnGleichheit”?
Ja, sie stehen unmittelbar in Beziehung. Ich werde übrigens bei der Auswahl der Preisträger als Mitglied in der Jury sitzen.

Wie bereichernd ist für Sie persönlich die Teilnahme an dieser Denkwerkstätte?
Das Forum Alpbach bietet gerade durch seine Tradition der Zusammenführung führender WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft eine ziemlich einmalige Gelegenheit, wissenschaftliche Resultate mit Verwirklichungsbedingungen in Verbindung zu setzen. Sowohl PolitikerInnen können sich orientieren bei unmittelbar relevanten Bereichen als auch umgekehrt. WissenschaftlerInnen sollen einen stärkeren Realismusgeist mitbekommen, indem sie sich fragen: Wie kommen meine Botschaften eigentlich an? Wie läuft das politische Entscheidungsverfahren eigentlich ab? Hierbei bereitet Alpbach durch seine Veranstaltungen eine einmalige Atmosphäre, das gemeinsame Wandern und der Austausch in schöner Umgebung sind eindeutig bereichernd.


Im Rahmen des Tiroltages beim Forum Alpbach wird am Sonntag, 23. August, auch der Euregio-JungforscherInnen-Preis verliehen.