Kultur | Meinung

Maxi Obexer: Mythos vom einsamen Schriftsteller

Die in Brixen geborene und in Berlin lebende Autorin Maxi Obexer rechnet ab mit der "geliebten Projektion" des unantastbaren Künstlerhelden.

 

Wenn ein Star geboren wird, geschieht im Hintergrund Seltsames: Plötzlich finden sich viele ein, und sie alle - jeder einzelne, will sich zu den frühesten Entdeckern zählen. Doch keiner schenkt ihm Gehör.

Auf der Bühne selbst hingegen, im Angesicht des Erfolgs, wird der neue Star meist ohne jeden Fremdeinfluss moderiert; als sei es Bedingung des Erfolgs, dass das Licht  ungebrochen nur auf ihn gerichtet ist, auf sein Genie, fast möchte man sagen, auf seine Übergröße. Alles ist eigene Leistung, mühelos hervorgebracht, dank der Unbedingtheit seiner schöpferischen Kraft, die sich von selbst durch den Kulturboden nach oben gebrochen hat. Alles eine Frage der Begabung, und die hat einer - oder er hat sie nicht. Hat er sie, wird sie durch alle Schichten stoßen - Erdschichten, Krusten, Gesteinsschichten. Die gemeinten Schichten sind so metaphorisch, dass sie weit entfernt von konkreten sozialen Schichten sind, wie etwa der Arbeiterschicht, oder unteren Mittelschicht, oder einem Migrationshintergrund - Schichten, die im realen Leben für Künstler - und nicht nur für die, sehr wohl noch Unterschiede markieren und überwunden werden wollen.

Beide Szenarien geben zu denken; ich möchte noch ein drittes hinzufügen, kolportiert von einem Freund, der die Szene als Journalist beobachtet hat:  Ein endlich erfolgreicher Autor betritt zur Verleihung eines angesehenen Preises das Podest, und anstatt sich bei allen Anwesenden zu bedanken, hebt er den angewinkelten Arm und streckt ihnen seinen erhobenen Mittelfinger entgegen. Als wollte er sagen: "Fuck you all" - oder auch: "Danke an die anwesenden Freunde, die mir mein Leben nicht gerettet haben."

Der gestreckte Finger adressiert jene, die nichts taten, uninteressiert blieben, die sich schlicht nicht rührten, die sich gerne sehen lassen, wenn das Scheinwerferlicht anspringt, möglicherweise nur dort und dort am sichtbarsten.
Wer von diesen beiden grob skizzierten Gruppen wird sich über den Stinkefinger empören?
Wer wird schmunzeln?

Was diese radikale Geste uneindeutig klar macht: es ist die Ansage an die Feiernden, dass es ein mühsamer Weg war, voller Enttäuschungen und Frustrationen, ein harter Kampf, ein einsamer Kampf. Es ist übrigens durchaus nicht ausgeschlossen, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, die zuerst zum Star gekürt wurde - um sich wenig später, fallen gelassen, in genau dem Kampf wiederzufinden, in dem sich auch die ohne durchbrechenden Erfolg hartnäckig bewähren müssen.

Ein gemeinsames Moment scheint sich in diesen Szenarien deutlich zu zeigen: nämlich die verordnete Einsamkeit, wenn es um das harte Geschäft der Anerkennung geht. Unabhängig, ob es sich um die Einzigartigkeit des Stars handelt, die von der Öffentlichkeit so hingestellt und wahrgenommen wird, oder um die Einzelhaft, die der Künstler spätestens dann erfährt, wenn das Kunstlicht aus - und das Tageslicht angeht.

Und was ist mit jenen, die den Erfolg tatsächlich begünstigt, gefördert, ermöglicht haben und die, wenn sie daran erinnern, oft gerne eine so unglückliche Figur abgeben. Warum nur? Sind sie im Unrecht - oder wird ihnen Unrecht getan?

Jeder, der den Kulturbetrieb kennt, weiß, dass hinter jedem Erfolg eine lange Liste von Leuten steht, die daran mitwirkten. Gewiss ist auch, dass es sich um eine heterogene Schar handelt; nicht alle sind sie selbstlos tätig, viele von ihnen mögen wankelmütig oder doppelzüngig sein, leicht umschwenken und sich an der Meinung der anderen orientieren. Und für viele gehört es zum bezahlten Beruf, junge Künstler ausfindig zu machen. Doch auch, wenn eigennützige oder zwielichtige Zeitgenossen darunter sein mögen: was ist mit denen, die es ehrlich meinen, die sich ehrlich begeistern von einer neuen künstlerischen Kraft? Jene, die aufrichtige Liebe gegenüber jenen mitbringen, die künstlerisch geben und schenken, und damit als erste etwas zurückgeben. Solche, die in der Arbeit eines Künstlers nicht zuerst ein profilneurotisches Interesse vermuten, sondern ein freimütiges Angebot an die Gesellschaft mit lebendigem Potenzial zu ihrer Veränderung.

Solche, die Kunst und Literatur als gesellschaftspolitische Notwendigkeit verstehen und sich dafür bewusst einsetzen, einsetzen auch für eine Förderung, und zugleich auch die Schutzbedürftigkeit von Künstlern in einer per se ausgesetzten Tätigkeit.

Ohne diese Freunde und Förderer, die manchmal nicht mehr geben als die interessierte Frage danach, ob es bald was Neues zu lesen oder zu sehen gibt - aber wie viel kann das sein! - wäre die Kulturlandschaft ein Friedhof und die Protagonisten Zombies.

Von ihnen gibt es viele, sie sind in der Mehrheit, sie machen ohne Zweifel die stillere und stumme Masse aus, sie sind das Gegenüber.

Wie aber kann es dann sein, dass in der Öffentlichen Wahrnehmung eine solche Schieflage besteht? Dass nur der einzeln Kommunizierende wahrgenommen wird, und nicht auch jene, die als Gegenüber diese Kommunikation aufnehmen und weitertragen?
Und was bringt diese Vereinzelung den einzelnen Künstlerinnen und Autoren?

Der Mythos vom Künstler als einer Person, die sich von fremden genialischen Kräften leiten lässt, mag eine geliebte Projektion sein, die dem üblichen Geschäftemachen entgegengestellt wird. Heikler wird es mit dem romantischen Urbild als dem radikalen Künstlerhelden, der nur, weil er einzeln ist, einzigartig und radikal sein kann.

Historisch mag das seine Berechtigung gehabt haben. In der heutigen Zeit jedoch lässt sich das Gegenteil beobachten: gerade weil der Künstler einzeln hingestellt wird, lässt sich seine Radikalität zähmen, oder schwächen oder überhaupt verhindern. Das gilt gerade für Autorinnen und Autoren, die,  - einzeln unterwegs, in der berechnenden Betriebsamkeit von Buchmärkten und Theaterhäusern fortwährend geschwächt werden.
Als Lehrende in literarischen Institutionen, (den gern schlecht geredeten Schreibschulen), aber auch als Jurorin in internationalen Ausschreibungen konnte ich feststellen, dass jene, die sich in Gruppen gemeinsam auseinandersetzen, nicht nur handwerklich - sondern auch politisch stark sind, auch und gerade in ihrer Literatur.

Langsam dringt es auch auf dem europäischen Kontinent durch, dass die amerikanischen Creative-Writing-Schulen bekannt dafür sind, dass sie hervorragende Autoren hervorbringen, gerade auch solche, die sich ein erstaunlich politisches Profil in ihrer Literatur erarbeitet haben. Schließlich hat jeder amerikanische Autor zahllose solcher Kurse besucht. Was weniger bekannt ist: es geht nicht um nur um die künstlerische Ausbildung im engeren Sinne. Es geht um zeitnahe, harte Auseinandersetzungen zu gesellschaftspolitischen Themen. Der zentrale Punkt ist der nach der Relevanz, nämlich, wie Kunst und Literatur auf der Höhe der Zeit etwas zu sagen haben, das bedeutsamer, klüger und hintergründiger ist, als es ein Politischer Aufruf sein kann.

Wer sich zu gesellschaftspolitischen Themen äußert, und dabei die gegenwärtigen Verhältnisse, insbesondere die Komplexität ihrer Debatten nicht genau beleuchtet, der läuft Gefahr, eine Gesellschaft abzubilden, die es so vielleicht gar nicht mehr gibt.
Nichts ist schlimmer als eine neue Literatur, die hinter den Verhältnissen zurückbleibt und darin Konflikte hochzwirbelt, die längst überwunden sind. So kehren die alten Konflikte in die Gegenwart zurück und erleben dort eine Wiederbelebung.

Um das zu verhindern, ist die Auseinandersetzung nötig, die mit den eigenen Zeitgenossen und mit solchen, die Kenntnisse, Erfahrungen und fortgeschrittene Reflexionen in ihren Feldern besitzen. Kein Autor und keine Autorin darf sich selbst genügen. Wir kommen besser voran, wenn wir die Leistungen der einzelnen von den kollektiven Denkprozessen der Vielen nicht trennen, sondern bewusst anerkennen.
Dazu braucht es Orte der Auseinandersetzung, öffentliche und solche, in denen sie zusammenfinden können, um an den eigenen - aber auch an den Arbeiten der anderen selbst zu reifen. Auch Künstler und Autorinnen stehen in einer politischen Verantwortung - fair enough wenn wir damit beginnen, Anerkennung auch an die weiterzureichen, die hinter uns, neben uns oder auch, wenn nötig, vor uns standen.

Maxi Obexer

 

Im Frühjahr 2015 erscheint das vom Westdeutschen Rundfunk produzierte neue Hörspiel Maxi Obexers "Illegale Helfer"

Sie helfen Flüchtlingen, Asylbewerberinnen und Migranten ohne legalen Status, sie retten sie vor der Abschiebung, bieten ihnen Schutz und Unterkunft, oder bringen sie über die Grenze, wenn alle Wege ausgeschöpft sind. 
Einige waren bereits mehrfach straffällig, andere riskieren Beruf und Existenz. Denn ihre Aktionen finden im Verborgenen statt, dort, wo das Gesetz keine Hilfe vorsieht - oder sie kriminalisiert.

Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft, sind Ärztinnen, Richter, Sozialarbeiter und Studentinnen; sie gehören allen Altersgruppen an, allen Schichten und allen Berufen. In zahlreichen Gesprächen, die vier europäische Länder umfassen, wurden diese stillen Helfer befragt und ihre Motive erforscht. Wir erfahren von ihren Erfolgen, von ihrem Versagen, von ihrer Wut und ihrer Ohnmacht, und von der Härte mancher Momente, in denen jede Hilfe umsonst war.

Sind sie die Stützen einer kritischen und verantwortlichen Zivilgesellschaft, das Korrektiv gegen eine kalte Politik? Es sind jedenfalls viele, die diese Risiken eingehen. Und viele, die ihrer Hilfe ein würdiges Leben in Europa verdanken.

Mehr zu Maxi Obexer auf www.m-obexer.de