Gesellschaft | Bildungsprotest

Wir nach #unibrennt

Studierende heute sind faul, unfähig und unkritisch, so das gängige Klischee.Vor fünf Jahren standen sie auf den Straßen und in den Hörsälen. Was blieb von #unibrennt?
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Als Studierende zwischen Oktober und Dezember 2009 Hörsäle besetzten, drückte ich die Schulbank in meiner kleinen, feinen Maturantinnenwelt. Zu viel zu tun im letzten Schuljahr, zu beschäftigt mit Ehrenamt, Projekten, Schulzeitung und was sonst noch alles zum Leben einer Schülerin gehörte. Von #unibrennt las ich zum ersten Mal in unserer eigenen Schulzeitung – und da war das Spektakel schon vorbei. Als ich ein Jahr später selbst in Wien auf der Straße stand – auf meiner ersten Studierenden-Demo – staunte ich über die knapp 500 Personen, die gekommen waren – und wurde ausgelacht. Das sei doch gar nichts. Vor einem Jahr hätte ich dabei sein müssen, das wären noch Zeiten gewesen!

Der Klassiker also. Die guten, alten Zeiten, wer kennt sie nicht. Seitdem ist viel Wasser die Donau hinabgeflossen, aus mag.(a) wurde B.A. Oder B.Sc. Und doch steht die Alma Mater Rudolphina immer noch. Ich gehöre also zu dieser Generation, die nach #unibrennt an die Universität kam und damit die große Revolution verpasst hatte. Revolution? Naja, der Standard berichtet rückblickend vom „produktiven Scheitern“. Revolution klingt anders.

Aber zurück zu den Klischees: Wir „Jungen“ sind nicht anders als die Alten. Wir haben uns an Vereinheitlichungen, Messbarkeitswahn und ECTS-Zählereien angepasst, weil wir uns anpassen mussten. Die Studienbeihilfen von heute reichen nicht mehr zum Leben, zumindest in den meisten Fällen nicht. Ein großer Teil der Studierenden muss heute arbeiten – neben dem Studium. Aber wenn wir das tun, und uns auf dem prekären Arbeitsmarkt zu behaupten versuchen, dann kostet das Energie, die wir nicht in unser Studium stecken können. Zeit ist das Zauberwort: Der gesellschaftliche und finanzielle Druck verlangt von uns, schnell zu studieren, nicht nach lechts oder rinks zu schauen, nur geradeaus, auf den Abschluss zu. Kritik? Engagement? Keine Zeit, aber:

Robert Menasse schrieb 2012, als in Wien das Bachelor-Studium der Internationalen Entwicklung gestrichen wurde und daher das Audimax kurzzeitig besetzt wurde:

„Wenn Studenten studieren wollen, dann schafft die Universität Studienrichtungen ab. Wenn die Studierenden für bessere Studienbedingungen demonstrieren, dann verlautet aus der Uni-Leitung, es sei „unverständlich, was die Chaoten wollen!“ Dass unverständlich sei, dass Menschen, die inskribiert haben, auch studieren wollen, wird dann von den Medien publiziert, als wäre dieser rätselhafte Sachverhalt ein wissenschaftlich belegtes Phänomen.“

Nur zur Info: Die damalige Kurzbesetzung endete damit, dass die Polizei das Audimax räumte. Einen Tag lang blieb die Uni Wien gesperrt, alle Lehrveranstaltungen im Hauptgebäude entfielen, lediglich Bücher konnten beim Portier in der Eingangshalle abgegeben werden, an den Eingängen standen Polizist/innen. Ja, die Generation nach #unibrennt kennt das schale Gefühl in der Magengrube, wenn die Polizei an der Uni ist. „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, steht im Neuen Institutsgebäude, das ebenfalls zur Universität Wien gehört. Wie soll unter diesen Bedingungen eine konsequente, (selbst-)kritische Protestbewegung entstehen?

Wir haben protestiert! Gegen die Einführung von Studiengebühren, gegen die Kürzungen im Hochschulbildungsbereich, gegen das neue Lehrer/innendienstrecht, gegen die Abschaffung des Bachelor-Studiums Internationale Entwicklung, wir habe den Verkehr lahmgelegt, als das Wissenschafts- und das Wirtschaftsministerium zusammengelegt wurden, schwarze Fahnen hingen von den Universitäten, die sich von der Unabhängigkeit der Forschung und Wissenschaft verabschiedeten, 9.000 Menschen standen allein in Wien auf der Straße.

Ja, wir haben Fehler gemacht, genau wie die #unibrennt-Generation. Wir sind gescheitert, genau wie sie. Was sich verändert hat? Unsere Erfahrungen vielleicht. Denn dass irgendjemand heute auch nur zwei Tage das Audimax besetzt, scheint unmöglich. Dennoch gibt es den studentischen Protest – seine Formen und Methoden sind vielleicht andere, die Inhalte weniger. Sie zeugen nach wie vor von einer solidarischen, engagierten und kritischen Generation, wenn diese auch mit starken Eingriffen in ihre studentischen Freiheiten zu kämpfen hat und sich dies schon in der Anzahl jener, die bereit sind, sich dem Protest anzuschließen niederschlägt.

„Studierende wehren sich gegen Studiengebühren und setzen sich für die Achtung der Menschenrechte, etwa in Weißrussland, ein. Sie fordern lautstark eine freie Universität, die dem Bildungsbegriff gerecht wird und wehren sich außerdem gegen eine autoritäre Politik in Istanbul. Sie fordern bessere Studienbedingungen für sich an der eigenen Universität und beklagen ebenso inhumane Praktiken gegenüber Flüchtlingen und Asylantinnen und Asylanten.“

Dies schreibt Simon Pötschko im letzten Skolast, der Zeitschrift der Südtiroler HochschülerInnenschaft (sh.asus) über die Anliegen studentischen Widerstands. Studierende leben nach wie vor mitten in der Gesellschaft, Hochschulen stehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind aktive Gestalterinnen der Gegenwart. Sie müssen nur auch als solche wahrgenommen werden – von allen, vor allem von uns selbst, den Studierenden.