Kultur | Migration

Die chinesische Community in Bozen

Im Rahmen eines Projekts der Uni Bozen hat die Filmerin Sarah Trevisiol Interviews mit hier lebenden Chinesen geführt und dabei an so manchem Vorurteil gerüttelt.

Sarah, du kennst die chinesische Community in Bozen seit vielen Jahren, wie kam es zum Projekt "La Repubblica Popolare di Bolzano"?

Sarah Trevisiol: Die Zusammenarbeit hat sich zwischen der Fakultät für Design der Uni Bozen und dem Corriere dell'Alto Adige ergeben, auf zuerst informelle Weise. Die chinesische Community in Bozen ist ja recht gut sichtbar, wir alle trinken unseren Kaffee manchmal in einer Bar, die von Chinesen geführt wird oder gehen bei Chinesen einkaufen. Doch wissen wir recht wenig über sie, wir sind höchstens der Meinung, sie seien verschlossen und unzugänglich. Diese Vorurteile und Klischees wollten wir mit dem Projekt "La Repubblica Popolare di Bolzano" hinterfragen. Wir haben Infografiken über Daten und Fakten mit qualitativen Interviews gemixt, und so verschiedene mediale Zugänge eröffnet. So erfährt man, dass es in Bozen kein wirkliches Chinatown gibt, man kann sich anschauen, auf welche Viertel die Chinesen verteilt sind, oder woher sie wann gekommen sind. 

Das Guan Xi, das Netzwerk zwischen Familie und Freunden ist die Stütze der Chinesen im Ausland.

Wie sehen diese Zahlen und Fakten aus, wieviele Chinesen leben in Bozen und aus welchem Landstrich Chinas stammen sie?

Von den 105.713 Boznern sind gerade einmal 633 chinesischer Abstammung. Sie stammen vorwiegend aus Wenzhou, in der Region von Zhejiang südlich von Shanghai und kamen in den 1980er Jahren nach Südtirol. Dann gab es einen zweiten Migrationsboom aus den Provinzen der Ex-Manschurai Liaoning, Jilin, Hailongjiang in den 1990 bis 2000er Jahren. Bei der Untersuchung der bloßen Zahlen lässt sich feststellen, dass in der Landeshauptstadt lediglich 126 von knapp 10.000 Unternehmen auf Chinesen entfallen. Dabei handelt es sich größtenteils um Bar- und Restaurantbetriebe (64 % der Firmen insgesamt), ein kleiner Anteil entfällt auf Bekleidungsgeschäfte, Friseurläden, Drogerien, Lebensmittelgeschäfte und Spielsalons.

Wie funktioniert der Aufbau eines Gewerbes durch Chinesen hier in Südtirol?

Ein wichtiges Merkmal aller Chinesen, die auswandern, ist der Bezug auf ihre Familie, auf ihr Netzwerk, das sogenannte Guan Xi. Das funktioniert so, dass einer vorausgeht, nach Italien, nach Südtirol und sich dort eine Existenz aufbaut. Mit dem Geld von Verwandten und Freunden sichert er sich ein Gewerbe und holt dann Familie und andere nach. Das ist Guan Xi. Geld kommt nicht von den Banken, sondern aus dem persönlichen Umfeld und muss natürlich zurückgezahlt werden. Das ist auch der Grund, warum Chinesen so aktiv und produktiv und gerne im Familienverbund arbeiten.  

Gerade über diese unsere Fragen zu den Vorurteilen haben sie sich sehr amüsiert.

Um welche Themen ging es  bei deinen Einzelinterviews?

Wir sind von den Vorurteilen bzw. Klischees ausgegangen, die man "den Chinesen" gegenüber hegt. Damit sind wir losgegangen, einfach kreuz und quer; so habe ich am Bahnhof einen Jungen kennenglernt, Yanghui Chen, der dort einen Würstelstand betreibt. Seine Familie hat zwar ein Restaurant in Bozen, doch er wollte selbständig arbeiten. Dann die Frau Yang, die ich schon lange kenne, und eine von den ersten ist, die nach Bozen kam, sie ist mittlerweile in Pension, hat im Restaurant gearbeitet und ist mit einem Italiener verheiratet. Oder Romina, die hier geboren wurde, sie geht in eine italienische Obeschule und ihre Mitschüler fragen sie chinesischen Traditionen und Gepflogenheiten aus, nur kann sie dazu nichts sagen, weil sie noch nie in China war. Deshalb hat sie beschlossen, Sinologie zu studieren, um ihre Heimat besser kennenzulernen. 

Wenn du von Vorurteilen sprichst, was habt ihr da thematisiert?

Wir haben diese Vorurteile gesammelt und versucht, in einem Video mit etwas Humor darzustellen. Eines Davon: Chinesen sterben nicht hier, was aber passiert mit den Toten? Das ist ganz einfach zu beantworten, viele wollen nach der Pension einfach wieder zurück in die Heimat, sie wollen dort sterben. Oder auch die Annahme, dass Chinesen kaum lachen, das ist grundfalsch. Chinesen sind sogar äußerst eloquent, um nicht zu sagen, sie klatschen sehr gerne über dies und das und können natürlich herzlich lachen. Gerade über diese unsere Fragen haben sie sich sehr amüsiert. Was wir außerdem herausfanden, ist wie das mit dem "R" funktioniert. Es ist tatsächlich so, dass viele die Aussprache des Rs über die Mundspülung lernen. Das wusste ich auch noch nicht. 

 Je mehr du Titel hast, desto größer sind die Chancen in der Arbeitswelt, lautet das Credo. 

In den Bars oder Geschäften sieht man oft die Frauen an der vorderen Front, also im Kontakt mit der lokalen Bevölkerung, wie ist das Genderverständis der Chinesen?

Zwar spielt die Religion eine untergeordnete Rolle in China wie wir wissen, trotzdem ist die chinesische Tradition des Familienzusammenhalts sehr stark wirksam. Eines der Selbstverständnisse bei vielen jungen Frauen ist das, dass man nur komplett ist, wenn man heiratet – Yin und Yang sozusagen – und eine Familie gründet. Auch wenn Frauen mittlerweile wirtschaftlich unabhängig sind, das System des Netzwerkens und Geldleihens ist so effizient, dass es für Frauen schwierig ist, selbständig zu sein. Die Eltern eines erwachsenen Arbeitspaares geben diesen all ihre Ersparnisse, um deren Aktivität aufzubauen, aber dieses Paar ist dann verantwortlich für die Familie insgesamt, für die Betreuung der Eltern und der Kinder natürlich auch. Chinesische Familien funktionieren auch deshalb sehr effizient, weil diese gegenseitige Verantwortung da ist. 

Spielt die europäische Kultur eine Rolle bei den Chinesen?

Sehr stark sogar, da sie zu den ersten Migranten gehören, hatten sie auch schon länger Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Dass zum Beispiel die Kinder eine gute Erziehung und Bildung erhalten, ist sehr wichtig, sie besuchen sehr oft eine Oberschule, auch Zusatzkurse und viele gehen zur Universität. Je mehr du Titel hast, desto größer sind die Chancen in der Arbeitswelt, lautet das Credo. In China ist Wirtschaftaufschwung und die Nachfrage nach Akademikern ist hoch. Deswegen ist auch zu erwarten, dass etliche der Chinesen aus Bozen wieder nach China zurückgehen, aus rein wirtschaftlichen Gründen. Insofern brauchen wir keine Angst zu haben, dass etwa noch mehr kommen könnten, es ist das Gegenteil der Fall, Chinesen gehen dorthin, wo sie sich eine Zukunft für sich und ihre Familie erhoffen.