Gesellschaft | Sanitätspersonal

„Wir nehmen alle, die wir finden“

Südtirol braucht neue Ärzte – dringender denn je. Wie sich die neuen Arbeitszeitregelungen an Südtirols Krankenhäusern auf Patienten und Personal auswirken.

Es ist nicht alltäglich, dass der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebs bei der freien Presse eine Schlagzeile bestellt. „Titeln Sie: Südtirol sucht Ärzte“, wünschte sich Thomas Schael bei einer Pressekonferenz, auf der am Mittwoch Vormittag die Auswirkungen der seit heute geltenden EU-Richtlinien für Arbeitszeiten in Krankenhäusern erklärt wurden. Eine vermeintliche battuta, mit der die gravierendste Folge der gesetzlichen Neuerung bereits auf den Punkt gebracht ist. Litt Südtirol bislang  unter einem chronischen Ärztemangel, ist er ab dem heutigen Mittwoch akut. Denn die von Italien rezipierte EU-Regelung, wonach Krankenhauspersonal vor und nach Wachdiensten in der Nacht und am Wochenende jeweils 11 Stunden Ruhepause einlegen muss, bringt die bisherige Organisation in Südtirols Krankenhäusern komplett durcheinander.

Und, wie vor allem aus den Äußerungen von Bezirksdirektor Walter Amhof und des Brunecker Sanitätskoordinators Thomas Lanthaler zu verstehen war: Der Spielraum, alle Dienste im bisherigen Ausmaß zu garantieren, ist angesichts des aktuellen Personalmangels einfach nicht mehr gegeben. Allein in der Brunecker Medizin fehlen aufgrund der Neuregelung 15 12-Stunden-Dienste im Monat, brachte Amhof als Beispiel. Auch, weil als Folge der verpflichtenden Arbeitspausen extra bezahlte Wachdienste an Wochenenden und in der Nacht nun für die Ruheregelung mitgerechnet werden müssen. Dazu kommt, dass auch bisherige Konventionen mit Ärzten aus anderen Provinzen weitgehend flachfallen, weil diese ebenfalls die neuen Arbeitszeiten einhalten müssen.

Wartezeiten werden weiter steigen

Die Konsequenz: Zumindest in der Übergangsphase gibt es nur ein Entweder-Oder: Wenn weiterhin alle Notdienste garantiert werden sollen, müssen andere Dienste heruntergefahren werden.  Das wird nun vor allem in den Ambulanzen zu spüren sein,  stellte Amhof veränderte Öffnungszeiten und längere Wartezeiten in Aussicht. Denn wenn eine Ärztin oder ein Arzt von 20 Uhr bis 8 Uhr einen Nachtdienst macht, kann sie nicht wie bisher am Vormittag oder ab 13 Uhr , sondern erst wieder am nächsten Tag weiterarbeiten. Änderungen, die auch für die eigentlichen Begünstigten, das medizinische Personal, große Umstellungen mit sich bringen. Der bisher relativ  unkomplizierte Wochenend-Tausch unter Kollegen wird genauso unmöglich wie mehrere freie Tage nach anstrengenden Diensten. Denn Ärzte und Pflegepersonal werden fortan öfter und dafür kürzer an ihrem Arbeitsplatz sein müssen, wie Amhof erklärte.

Doch all diese Neuerungen sind nicht erst seit vergangener Woche bekannt. Immerhin stammt das italienische Legislativdekret, mit dem die EU-Bestimmungen umgesetzt wurden, bereits aus dem Jahr 2003. Seit gut einem Jahr weiß man auch im Sanitätsbetrieb, dass die Regelungen in der jetzigen Art anzuwenden sind. Es gibt auch einen Arbeitstisch mit den Gewerkschaften zu dem Thema, unterstrich Generaldirektor Schael. Nichtsdestotrotz wurde das volle Ausmaß der Herausforderung offenbar erst mit dem spät ergangenen Rundschreiben des Generaldirektors bewusst. Und: Wie alle Vertreter der Sanität einhellig einräumten, sei es vollkommen klar, dass die neuen Regeln zu einem erhöhten Personalbedarf führen. Doch wenn man in Innichen und Bruneck bereits in den vergangenen Monaten nicht imstande war, Personalabgänge nachzusetzen, wo nun neue Ärztinnen und Ärzte hernehmen? „Es ist ein ziemlich leergefegter Markt“, räumte auch eine sichtlich müde Gesundheitslandesrätin ein.

Wie viele Ärzte braucht das Land?

Zahlenmäßig wollten den Bedarf weder sie noch der Generaldirektor festmachen. „Mehr als 20 sind es sicher“, meinte Stocker. „Alle, die wir finden, nehmen wir“, brachte es Schael auf den Punkt. Beide versuchten die Lage dennoch nicht allzu sehr zu dramatisieren. Immerhin hat Südtirol weit weniger Anpassungsbedarf an die EU-Normen als es Österreich oder nun das restliche Italien hat, räumte Stocker ein. Denn hierzulande wurde der Arbeitsschutz bei weitem nicht so aufgeweicht wie anderswo. Am meisten Optimismus legte aber eindeutig Thomas Schael an den Tag. Die Personalpolitik sei neben der Informatik von Beginn an seine wichtigste Baustelle, demonstrierte er Handlungswillen. Und wenn er selbst für Südtirol gewonnen werden konnte, werde man es auch schaffen, Ärztinnen und Ärzten einen Arbeitsplatz im Land schmackhaft zu machen, so seine sinngemäße Botschaft.

Lebensqualität – eine Bezahlung, die sich im Vergleich mit den Nachbarländern durchaus sehen lassen kann. „Hören wir auf, immer nur alles Negative hinauszuposaunen, erzählen wir zur Abwechslung einmal, wie toll Südtirol ist“, so Schaels Message. Dass es trotz allem positiven Denken auch objektive Probleme wie ein sehr bürokratisches Anwerbesystem sowie eine darniederliegende Facharztausbildung gibt, konnte freilich auch der Generaldirektor nicht leugnen. Und auch Schaels Optimismus geht nicht so weit, dass er damit rechnet, den Personalbedarf vollständig durch Neuanstellungen abdecken zu können. Deshalb werde man künftig verstärkt nicht-ärztliches Personal heranziehen, stellt er in Aussicht. Also mehr Verantwortung für Personal, das bei bestimmten Diensten auch heute schon den Großteil der Arbeit macht, wie bespielsweise Techniker in der Radiologie.

Sicher bleibt für den Generaldirektor auch ab dem 25. November: „In Notfällen geht die Gesundheit vor Arbeitsrechtsbestimmungen.“ Das habe er schon bei früheren Arbeitgebern unter Beweis gestellt, als er „Siegel an Operationssälen aufbrechen ließ, wenn es notwendig war.“ Und das werde auch in Südtirols Sanitätsbetrieb nach dem 25. November so sein.