Kultur | Film

Durnwalder unter sanfter Beobachtung

"Der letzte Patriarch" bei den 29. Bozner Filmtagen.

"Die Welt ist viel schöner, als wie wir sie gestalten", sagt der ehemalige Landeshauptmann Luis Durnwalder an einer Stelle des über mehrere Jahre lang gedrehten und einzig vom Kulturamt Bozen mitfinanzierten Dokumentarfilms von Georg Tschurtschenthaler und Jan Zabeil.
Nicht die ganze Welt, aber sein kleines Reich Südtirol hat "der Fürst" selber 25 Jahre sehr stark mitgeprägt, und manches ist da tatsächlich nicht so schön geraten, wie es hätte sein können. Die Kamera beobachtet einen Mann im Wirbel einer Zeit, die er sich so gemacht hat, wie es ihm gefällt: Sein patriarchaler Regierungsstil genießt über die Landesgrenzen hinaus Respekt und Wohlwollen, die BürgerInnen können sich ein Land ohne ihn nicht mehr vorstellen, und überall, wo er auftritt, begegnen ihm Demut, Feierlichkeit, ja fast Verehrung. Kritische Stimmen gab und gibt es auch, jedoch werden diese (wie auch im Film) durch die Sympathiepunkte dieser charismatischen Figur fast wieder verdrängt.

Durnwalder, ein Mann der Öffentlichkeit, sein Auftritt geprägt von Stärke, Entschlossenheit, Authentizität. Er entscheidet, er macht, er ist aber auch einmal müde. Fast wirkt es so, als gäbe es kein anderes, privates Leben, keine verborgenen Schichten zu entdecken - Durnwalder spielt immer und überall sich selbst. Der Regisseur Tschurtschenthaler wollte nach eigenen Worten kein Portrait einer Einzelperson zeichnen, sondern vielmehr die von ihm miterschaffenenen Machtstrukturen beleuchten.
Zu Wort kommen WegbegleiterInnen, BürgerInnen, KollegInnen, u.a. Elmar Pichler-Rolle, Arnold Tribus, Maria Kuenzer. Durch Durnwalders Omnipräsenz im Film entsteht jedoch der Wunsch, seinen Gehirnwindungen besser folgen zu können: Wie entsteht denn sein Wille zur Macht? Und wo bricht die Außenfassade auf, wie sieht es da drinnen wirklich aus? Man möchte das noch stärker formuliert sehen, den Egozentrismus, das Machtstreben, das Ausblenden von oppositionellen Stimmen, das altväterliche Machotum. Man wünscht sich eine schärfere Kritik, denn gehuldigt wird ihm hierzulande eh schon genug. Der Regieblick ist aber ein weicher, ein nachsichtiger, der Abgründe - in manchmal recht gelungenen - Bildern nur andeutet. Zum Beispiel filmt die nächtliche Kamera die Skulptur vor dem Landhaus, wo ein Mann einen anderen niederringt und am Boden festhält. Lesevorschlag: Des Einen Macht ist die Untertänigkeit des Anderen.
Das mit (freiwilligem oder unfreiwilligem?) Respektabstand zum Sujet agierende Kameraauge wirft daher auch nicht mit Lob um sich. Es hebt zwar Errungenschaften von Durnwalders Amtsperiode hervor, das Wirtschaftswachstum, die niedrige Arbeitslosigkeit, die Annäherung an die italienische Bevölkerung und Politik Südtirols usw., um im gleichen Atemzug Gegenstimmen (z.B. aus dem Landtag) ebenso hörbar zu machen.

Die Stimmung bei der Premiere im Saal war gelöst, zustimmend, an vielen Stellen gab es Gelächter. Wir haben's überstanden - jetzt ist ein Neuer aus derselben Partei da, der uns versprochen hat, die Institutionen zu stärken und eine demokratischere Regierungsform einzuführen.
Nicht viel zu lachen hatten hingegen die Ratsuchenden, die jeden Tag um 4.30 Uhr vor Durnwalders Büro angestanden sind, bis er um 6 Uhr sein Büro aufgesperrt hat; von denen es manchmal sehr viele gab, die auf finanzielle, rechtliche oder mentale Unterstützung gehofft haben, von diesem Mann, der für viele den letzten Rettungsanker symbolisiert hat. Das war plötzlich ein Gegenbild zum prosperierenden Südtirol, in dem es allen anscheinend so gut geht. Dieselben frisch geröteten oder gegerbten Gesichter und großen Augen, die sich alle auf den Einen richten, tauchen auch in der Szene mit den Schützen wieder auf, die für Durnwalder zum Geburtstag salutieren.

Manche Filmbilder wirken merkwürdig gestrig, wie aus den 80ern, oder noch älter. "Der letzte Patriarch", so scheint es, will von einer vergangenen Zeit berichten, etwas dokumentieren, das vorbei ist. Zu optimistisch wirkt der Titel, die Patriarchen kommen immer nach, wenn ihnen Raum genug gegeben wird, wenn das Herdentum grassiert.
Was den SüdtirolerInnen jetzt noch blüht, nach dem Ende der Amtszeit von Luis Durnwalder, ist tatsächlich eine Aufarbeitung dieser zwar gestrigen Zeit, die aber sehr wohl und sehr präsent in die Jetztzeit hineinragt. Nicht nur nostalgische Gefühle sind zu bekämpfen, sondern wir müssen uns kritisch fragen, wie so etwas überhaupt hat passieren können: wie wir uns haben einlullen lassen unter dem Mantel des großen Übervaters, wie wir die Selbstverantwortung haben abgeben können, wie wir verzichtet haben auf die Mühen und Belohnungen von vielstimmig erreichten, gemeinsamen Entscheidungen. Vielleicht haben die Filmemacher genau dies versucht: Vielstimmigkeit, keine Schwarz-Weiß-Malerei, keine martialisch vorgetragene Meinung. Ein wenig mehr vom Letzteren hätte dem Film aber keineswegs geschadet.

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Sebastian Felderer So., 26.04.2015 - 15:51

So ganz wird es nicht vorbei sein ..... mit dem Patriarchen. Entweder er selbst, seine Fadenzieher oder insgesamt die Macht der Mehrheit wird das System noch lange gestalten wollen. Mir gefällt dieser Beitrag außerordentlich gut. Besonders der letzte Absatz entspricht ganz meinen politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen. Kompliment Kara Oke!

So., 26.04.2015 - 15:51 Permalink