Politik | Schilda

Bigottes Bozen

Wie absurd die Bozner Stadtverwaltung inzwischen agiert, zeigt eine unglaubliche Posse um ein Transparent für die Theateraufführung „Die Wanderhure“.

Die Geschichte ist so absurd, dass man sie fast nicht glauben kann.
Es ist ein Vorfall, der eigentlich zum Lachen wäre. Würden dahinter nicht eine bedenkliche Mentalität und Realität zum Vorschein kommen, die in der Bozner Stadtverwaltung anscheinend zur normalen Tagesordnung gehören.
Denn nur so ist das Ganze überhaupt erklärbar.

Das Spektakel

Ausgangspunkt ist ein Bestseller. „Die Wanderhure“ ist der erste Band einer gleichnamigen Romanreihe. Unter dem Pseudonym Iny Lorentz veröffentlichte ein Autoren-Duo im Jahr 2004 diesen historischen Kriminalroman bei Knaur in München. Der Roman wurde zum Welterfolg.
Die Handlung spielt in Südwestdeutschland zu Anfang des 15. Jahrhunderts. Die schöne, junge Marie Schärer, Wanderhure wider Willen, Tochter des begüterten Handelsherrn Matthis Schärer aus Konstanz, bringt ihren heimtückischen Verlobten, den Advokaten Magister Ruppertus Splendidus, auf den Scheiterhaufen. Zuvor verdient sie gezwungenermaßen ihren Lebensunterhalt als fahrende Prostituierte. In die Prostitution wurde sie durch ungerechtfertigte Beschuldigungen ihres ehemaligen Verlobten gezwungen.
Inzwischen gibt es auch eine Bühnenfassung des Stoffes. 2014 fand die Uraufführung bei Festspielen in Bad Hersfeld statt. Jetzt erfolgt ein zweite Aufführung in Bozen. Die Spielgemeinschaft des Bezirkes Bozen im Südtiroler Theaterverbandes bringt das Stück unter der Regie von Alfred Meschnigg auf die Bühne. Vom 3. Juni bis zum 3. Juli gehen in der malerischen Kulisse von Schloss Runkelstein insgesamt 20 Vorstellungen über die Bühne.

Das Problem

Die Aufführungen werden finanziell von der Landesabteilung Kultur, von der Region Trentino-Südtirol, von der Stadt Bozen und von der gemeindeeigenen „Stiftung Bozner Schlösser“ unterstützt. Karten- und Platzreservierungen werden über das Verkehrsamt der Stadt Bozen gemacht.


Probenfotos der Aufführung: 20 Vorstellung auf Runkelstein

Bei so viel öffentlicher Unterstützung könnte man eigentlich davon ausgehen, dass man auch in der Bozner Gemeindeverwaltung offene Türen einrennt. Dass dem aber nicht so ist, wurde den Veranstaltern spätestens Ende April schmerzlich klar.
Bei Theateraufführungen und Veranstaltungen auf Runkelstein gehört es auch zur Tradition, dass über den Straßen von Bozen zwei Werbetransparente aufgehängt werden. Genau das macht man auch für die Vorstellung „Die Wanderhure“.
Für die Transparente zahlen die Veranstalter aber nicht nur Werbesteuer, sie müssen vorab auch der Gemeindeverwaltung vorgelegt werden. Bezeichnenderweise ist für die Abnahme dabei das Amt für Mobilität zuständig. Anscheinend müssen die Beamten darüber wachen, dass die Autofahrer von den Transparenten nicht abgelenkt werden.
Genau hier gibt es aber ein Problem.

Delikates Subjekt

Das Transparent für die Vorstellung trägt ursprünglich nicht nur den Titel, sondern auch ein Bild. Es das Sujet, das sich auch auf den offiziellen Plakaten und Flyern des Aufführung findet. Das Foto zeigt eine absolut züchtige weibliche Frontpartei. Jedes Palmers-Werbeplakat ist Vergleich dazu Hardcore-Porno.


Ursprüngliches Foto auf dem Transparent: Der Stadtrat muss entscheiden.

Doch die angedeutete Frauenbrust lässt in der Bozner Gemeindeverwaltung die Alarmglocken klingen.
Wenige Tage, nachdem man den Entwurf für das Transparent – wie vorgeschrieben – beim Amt für Mobilität vorlegt, schreibt die zuständige Sachbearbeiterin am 30. April 2015 an die Veranstalter:

„Si fa presente che per quanto riguarda gli striscioni previsti in Corso Libertà/Piazza Mazzini e  Via Druso/Via Firenze dal 22.05.2015 al 25.06.2015 si fa presente che verrà discusso in Giunta Comunale dato la delicatezza del soggetto riportato sullo striscione.
Vi terremo aggiornati sulla decisione di Giunta.“

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Luigi Spagnolli, Klaus Ladinser & Co müssen ihren amtlichen Segen im Stadtrat geben, ob ein Transparent in den Straßen der Landeshauptstadt zu sexy ist oder nicht.
Eigentlich eine Meldung für eine Faschingszeitung. Doch das ist Bozner Beamtenmentalität.

Si fa presente che verrà discusso in Giunta Comunale dato la delicatezza del soggetto riportato sullo striscione.


Weil die Veranstalter schnell verstehen, um was es geht, antwortet man noch am selben Tag mit einer Frage:

„Buona sera - per voi e meno complicato, se togliamo la foto della ragazza?

Die Antwort der Beamtin erfolgt nach 10 Minuten und sie ist eindeutig:

Si certo!
Ci toglierebbe un pensiero...Apprezzo che abbiate capito la delicatezza della situazione.. Se mi da conferma che togliete la ragazza evitiamo di fare la discussione in giunta.
Grazie per la collaborazione.“

Genauso passiert es dann auch. Der Theaterverband nimmt das Foto der Frau von den Transparenten. Inzwischen hängen beide Werbebanner in der Stadt. Mit einem Foto von Schloss Runkelstein drauf.
Ende gut, alles gut? Keineswegs. Dass Beamte mit moralischen Maßstäben Werbebanner abmessen und genehmigen oder nicht, ist einer modernen Stadtverwaltung genauso unwürdig, wie die Tatsache, dass der Stadtrat zu entscheiden hat, was anstößig ist oder nicht.
Das Mittelalter ist in Bozen nicht mehr weit.

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Profil für Benutzer Roland Kofler
Roland Kofler Mi., 27.05.2015 - 06:41

Rule 1 'Brafer Diener': die Möglichkeit dass sich ein Politiker oder ranghoher Beamter beschwert muss unter allem Umständen ausgeschlossen werden.

Mi., 27.05.2015 - 06:41 Permalink