Politik | Sterzing

Zoff unterm Zwölferturm

In gleich zwei Wipptaler Gemeinden bleibt die SVP aus der Regierung ausgeschlossen. Und wie das erste Oppositionsjahr in Sterzing gezeigt hat: Leicht fällt's ihr nicht.

Karl Polig macht kein Hehl daraus, dass die Situation alles andere als rosig ist. „Wir stecken sicherlich in einer schwierigen Phase“, sagt der Wipptaler SVP-Obmann. Sechs Gemeinden umfasst der SVP-Bezirk Wipptal, zwei davon werden nicht mehr vom Edelweiß regiert. In Freienfeld flog die SVP nach den selbst provozierten Neuwahlen nun auch aus dem Ausschuss und verlor die bisherige Mehrheit im Gemeinderat. Anleihe für ihre neue Rolle kann sie in Sterzing nehmen. Dort drücken die sechs Vertreter der SVP Wipptal Sterzing seit gut einem Jahr die harte Oppositionsbank. Ein gewöhnungsbedürftiger Zustand, mit der auch der Bezirksobmann wenig Freude hat. Denn, so Polig: „Die SVP ist es gewohnt und hat auch den Anspruch, in der Regierung zu sitzen.“ „Das tut ihnen schon einmal gut, in die Oppositionsrolle reinzukommen“, findet dagegen die Sterzinger Stadträtin Verena Debiasi. „Diese Perspektive war der SVP schließlich bisher unbekannt.“  

Neue Perspektiven – die ergeben sich unter dem Zwölftertrum nicht nur für das Edelweiß. Schließlich sitzt dort in Folge der Sanitätsreform und des Kampfes um das Krankenhaus Sterzing nun auch eine langjährige Grüne Bürgerlistlerin wie Verena Debiasi mit einem langjährigen SVP-Bürgermeister wie Fritz Karl Messner im Stadtrat. Und das unter dem gemeinsamen Listenzeichen „Für Sterzing Wipptal“, zu dem sich Debiasi und ihr Bürgerlisten-Mitstreiter Heinrich Forer vor den letzten Wahlen mit Messner und vier ehemalige SVP-Stadträten zusammengeschlossen haben. Ein von der Landespolitik mitverursachtes politisches Erdbeben, dessen Folgen zumindest die Stadträtin durchaus positiv erlebt. „Wir sind vielleicht nicht so aufgestellt wie in Meran“, sagt sie. „Doch in Sachen Dialektik und demokratische Entwicklung hat sich sicher einiges getan.“ Demokratischer erlebt Debiasi dabei auch den Stadtrat, den sie vorher als „One-Man-Show“ wahrgenommen hatte. Nun übt die Stadträtin für Schule, Umwelt und Integration zumindest laut eigenen Aussagen ihre ehemalige Oppositionsrolle immer wieder in den Stadtratssitzungen aus.  

Edelweiße Oppositition

Nach außen hin weit sichtbarer ist allerdings die Opposition aus den Reihen des Edelweißes. Geht man nach den Pressemitteilungen, die von der SVP Sterzing in regelmäßigen Abständen verschickt werden, wird dort mit weit härteren Bandagen gegen den ehemaligen Parteikollegen Fritz Karl Messner vorgegangen als er es aus seinen vergangenen Amtsperioden von den traditionellen Oppositionsparteien kannte. „Wie fühlen Sie sich als Bürgermeister und zuständiger Stadtrat, durch Nachlässigkeit, Schlamperei, Unkenntnis oder was auch immer der Stadtgemeinde Sterzing über 3 Millionen Euro gekostet zu haben?“, wurde Messner erst vergangene Woche in einer Medienmitteilung gefragt. Der Vorwurf: Der Bürgermeister habe es verabsäumt, rechtzeitig um Beiträge für die Sanierung der Feuerwehrhalle anzusuchen.

Doch auch darüber hinaus gibt es in der Fuggerstadt jede Menge Munition, die von den ehemaligen Parteikollegen Fritz Karl Messners dankbar eingesetzt wird. Immerhin ist die Gemeinde in insgesamt vier Rechtsstreitigkeiten mit heimischen Unternehmen verstrickt. Erst vergangene Woche stellte sich Messners Liste „Für Sterzing Wipptal“ in einer Bürgerversammlung der Sterzinger Bevölkerung, um ihre Sicht auf die heißen Eisen Biogasanlage im Wiesner Gewerbegebiet, Parkplatzstreit mit der Leitner AG, Raumordnungsvertrag mit der Aspiag und Neugestaltung des Untertorplatzes darzustellen. „Wir haben die Dinge transparent auf den Tisch gelegt und alle strittigen Punkte offen angesprochen“, lautet die Version von Stadträtin Verena Debiasi. „Der Bürgermeister hat wieder seine üblichen Gute-Nacht-Geschichten aufgetischt“, ätzt dagegen der Sterzinger Gemeinderat und Vorsitzende des SVP-Wirtschaftsausschusses  Josef Tschöll. Tatsache sei, dass Leitner-Chef Seeber dem Bürgermeister nach der Bürgerversammlung einen Brief geschrieben hätte. „Darin ist zu lesen, dass man nicht nur das Parkplatzprojekt fallen lassen werde, sondern auch von allfälligen zukünftigen Investitionen absehen werde, wenn Messner weiter solche Unwahrheiten verbreite“, sagt Tschöll. Auch die Aspiag wolle die Gemeinde nun wegen des Streits um den Raumordnungsvertrag und das nicht errichtete Hotel auf eine Millionen Euro Schadenersatz klagen, erzählt er. „Sterzing braucht eine handlungsfähige Regierung, damit endlich etwas weitergeht“, sagt der Arbeitsrechtsberater. „Doch nachdem Messner an allen Fronten streitet, steht alles still.“

Wer ist populistischer?

Selbst Bezirksobmann Karl Polig räumt ein, dass es von außen schwierig ist, den Überblick zu behalten, was bei den großen Sterzinger Zankäpfeln letztendlich Sache ist. Für jede Position der Regierungsvertreter gibt es eine Gegenposition der SVP. Die Verzögerungen bei der Feuerwehrhalle seien vor allem aufgrund der neuen Vegabeprozeduren des Landes entstanden, sagt der ehemalige SVP-Stadtrat und nunmehrige Bürgerlisten-Gemeinderat Herbert Seeber. Auch habe man nun ein weit kostengünstigeres Projekt, das ingesamt weniger als die zitierten drei Millionen Euro an Beiträgen koste. „Ich finde es wichtig, dass die Opposition ihre Arbeit macht“, meint Seeber. „Doch was ich nicht richtig finde, ist die Verbreitung  von populistischen und fragwürdigen Artikeln, die ohnehin in sich zusammenfallen, wenn man sie genauer beleuchtet.“

Populismus – das ist einer der meist gehörtesten Vorwürfe, den sich in Sterzing die Vertreter der beiden verfeindeten politischen Lager an den Kopf werden. Dabei kommen sie doch alle aus einem Stall – und haben schließlich viele der „Leichen, die nun an die Oberfläche kommen“, wie es Josef Tschöll ausdrückt, gemeinsam zu verantworten. „Die Verantwortung dafür tragen Messner und der ehemalige Vize-Bürgermeister“, entgegnet der SVP-Gemeinderat. Die SVP sei mit Ausnahme von Dieter Thaler mit einer neuen Mannschaft angetreten; und der nunmehrige SVP-Gemeinderat habe bei vielen der Streitpunkt bereits in der letzten Legislatur eine konträre Haltung vertreten, so Tschöll. 

"Wenn der Bürgermeister ein wenig Anstand hätte, würde er zurücktreten“

Die politischen Gräben scheinen ähnlich tief zu sein in Sterzing wie die Wunden, die der Alleingang von Messner und seiner Mannschaft vor den letzten Wahlen verursacht haben. „Alles andere als nett“ sei das von Fritz Karl Messner gewesen, kann sich Josef Tschöll noch heute ereifern – sich ein politisches Leben lang von der Volkspartei unterstützen zu lassen und dann der eigenen Partei in den Rücken zu fallen. „Wenn der Bürgermeister ein wenig Anstand hätte, würde er in der aktuellen Situation zurücktreten“, sagt Tschöll. Angesichts der anstehenden juristischen Schlachten und Schadenersatzklagen stellt sich für Tschöll aber auch die Frage, wie lange die Sterzinger SVP dem Spektakel noch beiwohnen soll. Bis zu den nächsten Wahlen könne man keineswegs abwarten, bringt er recht zum Ausdruck.

Verena Debiasi scheinen solche Drohgebärden recht kalt zu lassen. „Wir haben erst am Mittwoch in der Gemeinderatssitzung die Abschlussrechnung für die Finanzjahr 2015 genehmigt und den Haushaltsvoranschlag für die kommenden Jahre genehmigt“, sagt sie. „Und alles ist einstimmig durchgegangen, was wir als großen Vertrauensbeweis für die Regierung gesehen haben.“ Gelingt es nach dem schwierigen ersten Jahr also doch, sich in Sterzing zusammenraufen und zu einen konstruktiven Dialog zu finden – um die Entwicklung der Stadt sowohl von der Oppositionsbank als auch der Regierungsbank vorantreiben? „Ich sehe schwarz“, sagt Josef Tschöll. „Denn der Bürgermeister ist eine Prima-Donna, er sieht nur, was er im Kopf hat, da gibt es keinen konstruktiven Dialog.“

Der Fall Freienfeld lehrt die SVP aber auch, wie vorzeitig provozierte Neuwahlen enden können. „In Freienfeld hat man den Menschen zu wenig vermitteln können, warum es zu Neuwahlen gekommen ist“, sagt Bezirksobmann Polig. Würde es in Sterzing gelingen? „Schauen wir einmal, wenn die Prozesse losgehen“, meint Josef Tschöll. Vielleicht hat der Sterzinger Langzeit-Bürgermeister bis dahin aber auch schon seine letzte Amtsperiode hinter sich gebracht.