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Vom alten Wesen Tirols

Unter dem Titel „Südtirol – Eine Elegie“ stand die ARUNDA-Ausgabe Nr. 9 von 1979, verfasst vom gebürtigen Bozner Autor und Kunstkritiker Kristian Sotriffer (1932 – 2002).
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„Vom alten Wesen Tirols“ ist ein weiteres Thema des Buches, das ich für salto bearbeitet habe.

Wer nach charakteristischen, in dieser Form und Vielfalt nur in Südtirol vorzufindenden Behausungen Ausschau hält, in denen sich das bäuerliche Element mit dem kleinadelig-bürgerlichen trifft oder getroffen hat, der findet sie angesichts der verschiedenen Typen des Herrenhauses und Adelssitzes. Derartige Edelsitze reichen vom bäuerlichen Maierhof bis zum schlossartigen Areal und den zahlreichen Varianten dazwischen. Mehr als Schlösser und Burgen kennzeichnen sie das Lebensgefühl einer hervorgehobenen Schicht, die weniger ihre Privilegien und Wohlhabenheit, als vielmehr einen bestimmten Lebensstil darzustellen verstanden hatte, der das verriet, was man heute bei ähnlich gut situierten Bürgern dieses Landes meist vergebens sucht: Kultur.

Diese heute wie Refugien anmutenden Anlagen, die zu pflegen und erhalten gewiss eine ebenso schwierige Aufgabe ist, wie der Schutz anderer hervorstechender Kulturgüter diesem Land, sind an verschiedenen Orten zu finden: innerhalb und außerhalb von Dörfern und Städten, an einsamen Plätzen. Immer bilden sie eine Augenweide für jene, denen an der individuellen Sonderart jedes einzelnen dieser Edelsitze gelegen war. Weil sich in ihnen so viel vom alten Wesen Tirols und seiner stolzen Eigenart manifestiert, muss auf diese Edelsitze mit Nachdruck hingewiesen werden. Man erkennt sie heute mitunter nur noch an ihren Resten, an Rund- und Spitzbogen oder Portalen wie in Margreid oder in Lana. Anderswo wurden sie in Gasthöfe oder Hotels umgewandelt. Schlanderegg in Schlanders wurde ein Café und die Schlandersburg zum Gerichtsgebäude und heute Sitz der Bibliothek und der Landesämter. Wie man damit begonnen hatte, Bauernhöfe burgartig auszubauen, zeigen die sogenannten Schildhöfe. Sie waren der Besitz von Lehensleuten, die im Dienste der Grafen von Tirol standen und zum Kriegsdienst als Reiter verpflichtet waren. Man erkennt sie heute meist an ihren turmartigen, viereckigen Aufbauten inmitten ihres Areals.

In reinster Form findet man sie immer wieder im Pustertal, etwa in Dietenheim bei Bruneck, mit Erkern und Fenstergittern versehen und in ihrer Eigenart nur noch vom reichen Überetscher Baustil übertroffen. In Überetsch handelt es sich dann nicht mehr um einzelne hervorstechende Häuser, sondern um ganze Baugruppen, geschlossene Komplexe, von denen einige auch noch ins Mittelalter zurückreichen. Es lässt sich erkennen, wie selbstverständlich man südliche und nördliche Formelemente in ein neues, der Natur dieser Landschaft entsprechendes Ambiente einzugliedern verstand. Rundbogenfenster, Freitreppen, Bogengänge oder Säulen sind der italienischen Renaissance entlehnt, während die Eckerker, auch Portale und Malereien, nordisch-gotisches Erbe weiterführen.

Im Burggrafenamt sind es vor allem die Türme, von denen die Anlage vieler Edelsitze bestimmt wird. Ursprünglich ein Wehr- oder Fluchtturm, später Wohnturm, wird er in seiner viereckigen Form im 16. und 17. Jahrhundert nochmals aufgenommen, nun jedoch verputzt und mit schindelgedecktem Zeltdach versehen. Häufig umschließen die einzelnen Trakte mit ihren Galerien einen Mittelhof wie den von Kampan, ein Edelsitz, der wie andere über eine Hauskapelle verfügt. Als Hauptdenkmal des sogenannten Überetscher Stils zitiert Josef Weingartner Mühlburg, von einer Ringmauer umschlossen und vom bekannten italienischen Baumeister Silvestro Del Gallo im Jahr 1580 errichtet. Ringberg, das heutige Südtiroler Weinmuseum, ist bestimmt vom Viereck sowohl im Grundriss, wie in den steingerahmten Fenstern. An solchen und anderen Orten erfährt man, was Südtirol einmal war.