Umwelt | Bürgerentscheid

Gratis fahren - geht das?

Während in Südtirol das Abo Plus abgeschafft wird, fährt man in der estnischen Hauptstadt Tallinn seit einem Jahr in Bus und Bahn gratis durch die Stadt.

In keiner anderen Hauptstadt der Europäischen Union gibt es das: einen Gratis-Nahverkehr, für den die BürgerInnen nichts zusätzlich zahlen. Tallinn in Estland macht es nach einer Bürgerbefragung vor: Busse und Strassenbahnen verkehren in der 400.000-Einwohner-Stadt seit 2013 flächendeckend gratis. Etwa 75 Prozent der Bevölkerung sagte bei der einwöchigen Bürgerbefragung in Tallinn Ja zur Initiative der Stadtverwaltung.

Gratis ist relativ, natürlich kostet der Öffentliche Nahverkehr. 20 Millionen Euro wurden in Tallin dafür veranschlagt. Aus Umstrukturierungen bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben soll das Geld beschaffen werden.

Die Stadt hilft dabei mit umstrittenen Mitteln nach: buchstäblich über Nacht wurden auf mehreren Straßen in der Innenstadt Fahrstreifen in Busspuren umgewandelt und die Ampelschaltung zugunsten von Bus und Bahn geändert. Gerade im Berufsverkehr, in dem die Straßen schon zuvor stark verstopft waren, bringt die geänderte Verkehrsführung viele Autofahrer auf die Palme. Doch ersten Untersuchungen zufolge scheint das Konzept aufzugehen. Im Januar waren bisher 15 Prozent weniger Autos unterwegs als in den beiden Vormonaten, während Busse und Bahnen in derselben Zeit sechs Prozent mehr Passagiere beförderten. Schreibt faz.net.

Die belgische Stadt Hasselt hatte seinen Öffentlichen Nahverkehr 1997 für Fahrgäste kostenlos gemacht. Dadurch stieg die Zahl der Nutzer nach Angaben der Stadtverwaltung von täglich im Schnitt 1.000 (1996) auf 12.600 (2006). Das Experiment fand europaweit Beachtung. Im April 2013 wurde zurückgerudert, zahlen wird wieder zur Pflicht.

Und Südtirol? Ein Wahlgeschenk wird abgeschafft. Das Abo+ wird es so nicht mehr geben. Unterschiedlichste Reaktionen ruft dies hervor. Unter anderem einen Kommentar auf barfuss.it

Und nun ist dieser Moment gekommen, in dem die Ära Widmann vorbei und das Versprechen vergessen ist. Neue Ideen und mehr Geld müssen her: Doch ein Beitrag von Kindern und Jugendlichen von 25 Euro pro Jahr, wie er zurzeit diskutiert wird, ist der falsche Weg. Denn 25 Euro im Jahr sind sinnlos, unfair und realitätsfern. Warum? Schauen wir uns die Zahlen an, die das unterstreichen: Momentan fahren in Südtirol alle Schüler und Senioren ab 70 völlig gratis. Studenten, Auszubildende und Senioren zwischen 65 und 70 wiederum zahlen 150 Euro. Und der Höchstsatz, den ein Pendler mit dem Südtirol Pass bezahlt – also de facto die Kosten seines Abos – liegt bei 640 Euro. Diese Diskrepanz von 25, 150, 640 muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Und sich in Erinnerung rufen, dass der fleißige Pendler, der 640 Euro zahlt, mit seinen Steuern auch noch einen weiteren Teil der Kosten übernimmt. Denn zurzeit werden knappe 24 Prozent der Kosten des öffentlichen Nahverkehrs durch das Geld der Pendler und Tickets finanziert – der Rest kommt aus der Steuerkasse. Mit der 25-Euro-Aktion für Kinder und Senioren über 70 soll dieser Prozentsatz auf 35 Prozent gehoben werden, weil die EU diesen Anteil jetzt vorschreibt.