Politik | Griechenland

An die Arbeit, Alexis!

Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras muss entweder die Schulden neu verhandeln oder neue Geldquellen beschaffen. Er hat dafür einen Monat Zeit.

Mit einem Besuch des Akropolismuseums in Athen ( unbedingt zu empfehlen wie auch das Benaki-Museum !!) habe ich meinen Griechenland-Aufenthalt abgeschlossen. Das tat mir gut, um Abstand zu gewinnen von den umwälzenden Ereignissen der letzten Tage.

Ich fasse zusammen : ein deutlicher, aber nicht überraschender Wahlsieg des linken Parteibündnisses Syriza, das im wesentlichen die auseinandergebrochene sozialistische Pasok-Partei beerbt hat. Mit Syriza ist in Europa zum ersten Mal nach dem Krieg  eine dezidiert linke Partei an die Macht gekommen, die der EU sehr kritisch gegenübersteht. Andererseits ist Syriza  mit den orthodoxen , griechischen Kommunisten KKE  so verfeindet, dass Tsipras keinen Augenblick daran gedacht hat, sie in eine Regierung zu bitten. Auch vor den zahllosen linken Splitterparteien mit den horrendesten Namen und Symbolen hütet sich Tsipras.

Keine Berührungsängste zeigte Tsipras gegenüber der rechtspopulistischen, nationalistischen und fremdenfeindlichen ANEL-Partei, die er als Koalitionspartner in die Regierung holte.  Womit bewiesen ist, dass der neue Regierungschef kein grosser Ideologe, wohl aber ein beinharter Pragmatiker ist. 

 ANEL- Chef Kammenos ist ein deklarierter Merkel-Hasser. Von Deutschland fordert er die seit langem fällige Begleichung der Kriegsschulden. Dabei geht es nicht nur um die Zwangsanleihen während der deutschen Besatzung, sondern um die bei der Schuldenkonferenz von 1953 NICHT erlassene Hälfte der Reparationsschäden, die Griechenland noch zustehen.

Laut Kamenos schuldet Deutschland den Griechen inklusive Zinsen 116 Milliarden Euro. Damit könnte ein Grossteil der Schulden bezahlt werden. Nur gute Anwälte könnten Deutschland zur Zahlung zwingen, heisst es in Athen und Berlin, denn freiwillig zahlt Deutschland erwiesenermassen nie.

Ebenfalls überraschend : das Bekenntnis von Alexis Tsipras zum Atheismus. Als erster Regierungschef schwor er nur vor dem Staatspräsidenten auf die Verfassung, nicht aber - wie es bisher üblich war - auch vor dem griechisch-orthodoxen Erzbischof. Die angestrebte, strikte Trennung zwischen  Kirche und Staat könnte nicht deutlicher unter Beweis gestellt werden.   

Dass Alexis Tsipras erst kürzlich von Papst Franziskus im Vatikan empfangen worden ist und zwischen den beiden ein gutes Einverständnis herrscht , tut dieser neuen laizistischen und pragmatischen Politik offensichtlich keinen Abbruch. Auch haben die 80.000 in Griechenland lebenden Katholiken Tsipras gewählt, nicht etwa, weil sie meinten, er sei gläubig, sondern weil sie sich von ihm ein Ende der griechischen Sozialmisere erhoffen.

Die auf zehn Minister zusammengekürzte Regierungsmannschaft hat Tsipras in 48 Stunden zusammengestellt. Keine Frau ist darunter, wohl aber der als Bürgerschreck gehandelte Mathematiker Yanis Varoufakis in der Rolle des neuen Finanzministers. Der 56jährige hat nach Studienaufenthalten in England und Australien an der Austin-Universität in Texas gelehrt. Er bezeichnet sich als Marxist , doch sein bester Freund ist der Wirtschaftswissenschaftler  James Galbraith, Sohn des berühmten Ökonomen John Kenneth Galbraith, der einst Chefberater von  US-Präsident John F. Kennedy war.

 J.K. Galbraith war ein Verfechter des Sozial- und Wohlfahrtsstaates. An diese Tradition knüpfen Tsipras und Varoufakis an, wenn sie ein Ende der neoliberalen Sparpolitik fordern.  Das Motto des neuen griechischen Finanzministers  lautet nicht : " zerstören wir den Kapitalismus" , sondern:  "zertrümmern wir die Basis der Oligarchen " .      

Wird es der neuen Regierung in Athen gelingen, die korrupte Kaste abzuschaffen, ohne selbst in den Sog von Klientel- und Misswirtschaft zu geraten?  Schön wärs.  Inzwischen gilt : abwarten und Tee trinken - oder vielleicht besser Ouzo ( den griechischen Nationalschnaps).

 

  

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Alfonse Zanardi Mi., 28.01.2015 - 21:10

Er ist jetzt schon brav zum russischen Botschafter gelaufen, wie ein "Hundl".
Ich frag' mich wirklich warum Tsipras so viele Sympathien zukommen (inklusive jene der Autorin), ich denke es handelt sich um einen oberflächlichen Guevara-Reflex.
Ich finde sein Verhalten und das seiner Wähler kindisch, und ich fürchte es ist untermauert von Ahnungslosigkeit.

Mi., 28.01.2015 - 21:10 Permalink
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Alfonse Zanardi Do., 29.01.2015 - 09:06

Antwort auf von Alfonse Zanardi

Junger Revoluzzer von links, Typus Che Guevara, dringt mit radikalen Parolen nach vorn und verspricht die Revolution.
Das weckt in manchem "Salon-Sozialisten" sozial-romantische Gefühle und führt zu Begeisterung.
Ich versteh's nicht - ganz besonders nicht im griechischen Kontext.
Mehr zu diesem Standpunkt bei Spiegel Online: http://goo.gl/y13smo

Do., 29.01.2015 - 09:06 Permalink
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Klaus Hartmann Mo., 02.02.2015 - 15:48

Antwort auf von Alfonse Zanardi

Wir haben den Glauben an eine gerechte(re) Welt verloren. Den Glauben an eine gerechte(re) Aufteilung der Ressourcen. Den Glauben an Solidarität. Den Glauben an eine Ordnung die den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt stellt und wirtschaftliche und politische Belange dieser Würde unterordnet. Schade.
Was uns bleibt ist Zynismus.
Zynismus gegenüber all jenen die sich noch einen Funken jener Hoffnung und Kampfbereitschaft bewahrt haben die wir brauchen um uns gegen eine lebens- und menschenverachtende Politik und Finanzwirtschaft zur Wehr zu setzen.
Zynismus gegenüber all jenen die an einen Ausweg aus der Krise glauben der nicht notwendiger weise über die zunehmende Verelendung und Ausbeutung breiter Bevölkerungsschichten und über die schrittweise Aushöhlung unserer Demokratien erfolgen muss.
Zynismus gegenüber all jenen die noch an Gerechtigkeit glauben.
Zynismus gegenüber all jenen die sich noch trauen Visionen zu haben.
Wer es heute in Europa wagt das politische und wirtschaftliche Establishment in Frage zu stellen wird sehr schnell an den Rand gedrängt.
Bereits sozialdemokratische Forderungen (wie jene Athens) werden als linksradikal, utopisch, verklärt und dümmlich abgestempelt.
Ich bin froh dass es sie noch gibt – diese Spinner.

Mo., 02.02.2015 - 15:48 Permalink
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Klaus Hartmann Mi., 04.02.2015 - 16:29

Antwort auf von Roland Kofler

Ob's so einfach ist? Wohl kaum!
Aber weil es so schön ist die Dinge zu vereinfachen und weil ich komplizierte Dinge fast nie verstehe will ich Ihnen eine nette Geschichte erzählen. Um die Geschichte noch netter zu machen werden Sie und ich in dieser Geschichte die Hauprollen spielen.

In dieser Geschichte geht es darum wie Sie (Gläubiger) von mir (Schuldner) ihr Geld zuückbekommen können, das Sie mir (und hier beschönige ich) völlig uneigennützig geliehen haben um meine Schulden die ich bei Dritten (Banken) habe begleichen zu können.
Nehmen wir weiters an, dass ich mich auch deshalb verschuldet habe (nicht nur!!) weil ich von Ihnen Luxusgüter kaufte die ich mir nicht leisten konnte. Aber das wussten Sie natürlich auch nicht.
Außerdem habe ich mit Ihnen bereits Verträge zum Ankauf weiterer Luxusgüter unterzeichnet. Aber das war ja bevor ich Sie über meine missliche Lage unterrichtet habe.

So weit so gut. Jetzt nehmen wir weiter an, dass ich ein Landwirt bin und meine Schulden von meiner Hände Arbeit und von dem was mein Hof abwirft begleichen muss.
Was Sie mir als Ausweg anbieten ist folgendes: Sie leihen mir Geld unter der Bedingung, dass ich im Gegenzug SPAREN (großgeschrieben wohlgemerkt) muss.
Von den bereits unterzeichneten Lieferverträgen für Luxusgüter lassen Sie mich aus verständlichen Gründen natürlich nicht zurücktreten. Wo kämen wir da hin.

Sie leihen mir also Geld:
85% des Geldes leiten Sie sofort an die Banken weiter; zur Begleichung der dort fälligen Zinsen und Zinseszinsen;
10% muss ich aufwenden um Ihnen weiter Ihre Luxusgüter abzukaufen und 5% stehen mir zur Verfügung um meinen Hof wirtschaftlich auf Vordermann zu bringen.

Und weil 5% des Geldes nicht ausreichen um meinen Hof mit dem nötigsten zu Versorgen muss ich, sie hatten es mir ja bereits angekündigt: SPAREN.
Deshalb schlagen Sie mir vor meinen Tieren das Essen abzugewöhnen da das Futter für meine Tiere einen erheblichen Posten meiner Ausgaben ausmacht.
Ob das wohl gut geht?
Bevor meine Tiere tot umfallen sollten wir beide uns überlegen ob es nicht doch Alternativen zur Sanierung meines Hofes gibt und wir vielleicht BEIDE, wenn schon nicht als Gewinner, dann wenigstens nicht als Verlierer und vielleicht als Freunde aus dem Schlamassel rauskommen.

Mi., 04.02.2015 - 16:29 Permalink