Chronik | Verfassung

"Lasst euch nicht mit Autonomiezuckerle abspeisen"

Zwischenruf vom Alt-Senator: Schützen wir nicht nur unseren eigenen Garten, treten wir noch entschiedener gegen diese Verfassungsreform auf, fordert Oskar Peterlin.

Während Premier Matteo Renzi  in Rom versucht, der Blockade einer Verfassungsreform im Senat mit Verhandlungen beizukommen, arbeitet in Südtirol ein Alt-Senator in die entgegengesetzte Richtung: Oskar Peterlini, langjähriger Vertreter Südtirols in Palazzo Madama und mittlerweile als Uni-Professor mit Autonomie und Verfassungsrecht befasst, wird nicht müde, seinen Sorgen über die geplante Zentralisierung Italiens Ausdruck zu verleihen. Die würde in der von Renzi geplanten Fassung noch weiter gehen, als es die Verfassungsväter von 1948 gedacht haben, kritisiert Peterlini. Wieder rückgängig der zaghafte und unvollständige Aufbruch Italiens in Richtung Föderalismus, den die Verfassungsreform 2001 mit sich gebracht hat. Gestrichen der gesamte Absatz an konkurrierenden Zuständigkeiten in Kapitel 117 der Verfassung, womit ein Großteil wichtiger Kompetenzen in Bereichen wie Energie, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Forschung oder Unterricht wieder dem Staat übertragen wird. Zur Scheinvertretung degradiert der Senat, der in der aktuellen Fassung der Reform fast vollkommen von der Gesetzgebung ausgeschlossen und mit der Abschaffung der Direktwahl zusätzlich geschwächt würde.

 „Ich würde davor warnen, dieser Verfassungsreform wegen eines Autonomiezuckerls zuzustimmen oder sie auch nur passiv zu dulden." 

Das ist das Szenarium, das Oskar Peterlini beunruhigt  – und gegen das der Universitätsprofessor sich einen noch entschiedeneren Einsatz von Südtirols Vertretern in Rom wünscht. „Ich würde davor warnen, dieser Verfassungsreform wegen eines Autonomiezuckerls zuzustimmen oder sie auch nur passiv zu dulden“, appelliert an seine Nachfolger in Rom. Denn so wertvoll deren bisherige Arbeit und die erreichten Ausnahmebestimmungen und Schutzklauseln für Südtirol seien: In diesem Fall reiche es nicht, nur auf den eigenen Garten zu schauen, findet der Ex-Senator. Denn der droht auch mit Schutzwall recht bald von außen überschwemmt werden. Warum? Einerseits weil Südtirol allen Ausnahmebestimmungen zum Trotz vom  Rückwärtsdrehen der Förderalismusschraube betroffen sein würde. „2001 wurden auch Zuständigkeiten an die Regionen übertragen, die über das Autonomiestatut hinausgehen“, sagt Peterlini. Südtirol hätte davon automatisch profitiert – „wie von einem Scheinwerfer, der von außen sein Licht in unsere Autonomie hineinwirft“. Sobald der Scheinwerfer nun wieder ausgemacht wird, würden aber auch diese Kompetenzen wieder wegfallen, warnt Oskar Peterlini.

"Eine Autonomie ist in einem Zentralstaat immer schlecht gebettet und gefährdet.“ 

Noch mehr Sorge bereitet ihm allerdings Südtirols Stellung in einem stark zentralisierten Staat.  „Eine Autonomie ist in einem Zentralstaat immer schlecht gebettet und gefährdet.“  Neid und Missgunst, die auch Landeshauptmann Arno Kompatscher bereits in seinen ersten Monaten zu spüren bekommen hat, würden noch einmal immens ansteigen. „Man ist immer die Ausnahme von der Regel und muss diese ständig verteidigen“, sagt Peterlini. Bei der Finanzierung angefangen, die bereits heute auf rund 70 Prozent statt der im Autonomiestatut vorgesehenen 90 Prozent der Steuereinnahmen zurückgefallen sei, bis hin zu den wirtschaftlichen Erfolgen, die Südtirol schon derzeit geneidet werden.

Schwierig ist es auch heute schon in Rom, räumt der Altpolitiker ein. Doch die wirklich harten Zeiten sieht er dann kommen, wenn Premier Renzi wie derzeit absehbar, Neuwahlen durchsetze und daraus gestärkt hervorgehe. „Lange wird die SVP nicht mehr von der Rolle profitieren können, das Zünglein an der Waage zu sein, “, fürchtet er. Umso stärker müsse nun ihr Auftreten gegen die Reform sein., die Verteidigung der Rechte der Regionen und der Kampf für den Ausbau eines förderalen Senats. Denn, so Peterlini: „Jetzt ist es an der Zeit, endlich ein bissl über den bisherigen Garten hinauszuschauen.“

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Harald Knoflach Di., 29.07.2014 - 13:34

die haltung der südtiroler parlamentarier ist kurzsichtig, opportunistisch und fast schon schäbig - vor allem anderen nach autonomie strebenden provinzen und regionen gegenüber. für ein "zuckerle" - das noch dazu bitter ist und wohl relativ bald ausgelutscht - wirft man die föderalistischen prinzipien über bord.

Di., 29.07.2014 - 13:34 Permalink
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Benno Kusstatscher Di., 29.07.2014 - 14:16

Antwort auf von Harald Knoflach

Harald, vollste Zustimmung! Aber eine Beobachtung:

Mir kommt es grad so vor als ob einige wenige unserer Parlemantarier (allen voran Palermo) mehr mit Nachbarprovinzen zusammen arbeiten, als an die Öffentlichkeit gelangt. Dabei kommuniziert genau der Palermo mehr also die anderen. Man könnte fast meinen, dass dies bewusst nicht kommuniziert wird, weil man sich fürchtet, von unsrer Öffentlichkeit dafür abgestraft zu werden. Diesen Eindruck habe wenigstens ich von unserer "Öffentlichkeit".

Di., 29.07.2014 - 14:16 Permalink
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Klaus Hartmann Di., 29.07.2014 - 19:30

der cinque stelle bewegung wird ohne weiteres vorgeworfen sie hätte kein programm und eine autoritäre führungsstruktur - alle sind sich einig - thema abgehakt.
renzi (es ist bezeichnend dass man nicht mehr vom partito democratico spricht), der wohlgemerkt im februar dieses jahres ein bündnis mit dem rechtskräftig verurteilten berlusconi einging, traut man hingegen zu italien zu retten.
kennt jemand sein programm? weiss jemand wohin er und berlusconi dieses land führen will? ist er ein demokrat (auch innerhalb seiner eigenen partei)?
oder sind wir bloß "von der scheiße in die jauche" geraten?
und was die reformen renzis/berlusconis anbelangt so bin ich der meinung dass sie sich entweder der politischen debatte stellen sollen oder der kahn soll versenkt werden.

Di., 29.07.2014 - 19:30 Permalink