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Gemeinsam lernen!

Gemeinsam lernen! Als erste in Italien bietet die Uni Bozen einen Studiengang an, wo Menschen mit Lernschwierigkeiten zusammen mit jenen ohne Beeinträchtigung studieren.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Es ist Donnerstag, 17 Uhr, Uni Bozen, Hörsaal D103. Professorin Annemarie Saxalber spricht in einfacher, leicht verständlicher Sprache, dafür aber zweisprachig, zu ihren Studenten/-innen. In der heutigen Vorlesung doziert sie über “Lesen und Schreiben zum Thema Natur”. Ungefähr 20 Studierende hören gespannt und aufmerksam zu, Menschen mit kognitiver Behinderung welche zusammen mit jenen ohne Beeinträchtigung diesen neuen Studiengang besuchen.

Als erste und bisher einzige Uni Italiens überhaupt hat die Freie Universität Bozen nämlich seit heuer ein Fachgebiet eingerichtet, welches sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten wendet.

Vorlesung aktiv

Wie jeden Donnerstag versammeln sich die Studenten beim Haupteingang der Uni - langsam trudeln sie alle ein, es wird herzhaft begrüßt, geredet und gelacht. Die Stimmung ist gut, dem alten und neuen Präsidenten von "People First" Jochen Tutzer wird gratuliert und man freut sich auf die bevorstehende Vorlesung. Zusammen geht es in den ersten Stock in den Vorlesungsraum.

Im Hörsaal D103 steht heute wieder "Didaktik: Gemeinsam lernen" auf dem Programm. Unterlagen werden verteilt und dann geht es auch schon los. Die Vorlesung gestaltet sich als sehr aktiv. Die Studenten sind motiviert und beteiligen sich sehr lebhaft und produktiv am Unterricht. Sie werden stark mit einbezogen, sich eigene Gedanken zu machen, mit ihrer Phantasie zu spielen um Antworten und Ideen zu finden.

Das Studium “Gemeinsam lernen” umfasst insgesamt 3 Themen-Schwerpunkte. Am Beginn des Kurses werden die Themen Natur, Umwelt und Gesellschaft behandelt, dann kommen die Rechte im Alltag an die Reihe, während es im letzten Themenblock um Internet, Facebook und neue Medien geht und wie selbige die Kommunikation und das Zusammenleben verändern.

Gemeinsamer Lernprozess

Die Studenten lernen von ihren Professoren und die Professoren von ihren Studenten. Es ist ein gemeinsamer Lernprozess der da vonstatten geht. Es handelt sich um eine neue Methode des Lehrens und Lernens.

Für die Professoren ist es eine große Herausforderung. Andererseits aber auch eine große Genugtuung, wenn man sieht mit welch einem Enthusiasmus und einer Freude die Studenten zu Werke gehen. Die Herausforderung besteht darin, Wissen in verständlicher Sprache zu vermitteln und noch tiefer auf die einzelnen Bedürfnisse der Studenten einzugehen. Außerdem werden alle Vorlesungen zweisprachig abgehalten. Die Dozenten versuchen Inhalte einfach zu kommunizieren um sie in einen verständlichen Rahmen zu bringen.

Wie es dazu kam

Darum geht es auch im Studium Generale: es soll sich eine Art Partnerschaft entwickeln zwischen Universität und Studierenden.

Mit der Einführung des Studium Generale wurde ein erster Schritt getan, die Universität allen interessierten Bürgern zugänglich zu machen und ihnen die Möglichkeit zu geben in ein Universitätsstudium hinein zu schnuppern. Dieser neue Kurs ist nun ein weiterer Sprung in diese Richtung.

Nachdem eine Frau mit kognitiver Beeinträchtigung das Studium Generale besucht hatte, sie aber in einigen Fächern auf Schwierigkeiten getroffen war, reifte die Idee ein Studium für Menschen mit Lernschwierigkeiten anzubieten. Es wurde ein Arbeitskreis* gegründet mit dem Ziel besser auf Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingehen zu können und mit dem konkreten Vorhaben so einen Studiengang ins Leben zu rufen. Initiiert wurde es von Prof. Walter Lorenz, seines Zeichens Rektor der Uni Bozen; dem "AEB" (Arbeitskreis Eltern Behinderter), der sich seit über 35 Jahren schon für die Integration von Menschen mit Behinderung in Kindergarten, Schule und Arbeitswelt sowie für Förderungs- und Betreuungsangebote einsetzt; sowie einigen Universitäts-Professoren, Vertretern von "People First" und vorallem von vielen jetzigen Vorlesungsbesuchern/innen, Menschen mit Beeinträchtigung, die in den Arbeitskreis mit einbezogen wurden.

Eine Lehrveranstaltung mit Zukunft

Schon nach den ersten paar Wochen und Vorlesungen kann man diese neue Lehrveranstaltung als durchaus gelungen bezeichnen. Man spürt eine große Freude seitens der Beteiligten endlich auch mal selber Student sein zu können, und nicht immer nur von Geschwistern oder Freunden Erzählungen von der Uni zu hören. Seit heuer haben sie endlich selber die Möglichkeit zu studieren, Themen zu vertiefen, sich weiterzubilden, mit dem Ziel ihr Allgemeinwissen zu vergrößern und sich mit anderen Menschen auszutauschen. Niemand wird mehr ausgegrenzt, die Uni wird erlebbar gemacht, auch und vor allem für Menschen mit Behinderung.

*Beim Arbeitskreis beteiligt waren:
Prof. Walter Lorenz, Rektor der Freien Universität Bozen
Prof. Gabriella Maria Dodero, Freie Universität Bozen
Patrick Haidacher, Vorlesungsbesucher
Jochen Tutzer, Vorlesungsbesucher
Francoise Poveda und Gertrud Calenzani, AEB
Manuel Bozzolan, Vorlesungsbesucher
Ruth Jamnik, BZG Salten-Schlern, geschützte Werkstatt „Kimm“
Sonia Rabensteiner, Vorlesungsbesucherin
Karin Pfeifer, Vertreterin von People First und Vorlesungsbesucherin
Johannes Knapp, People First
Luca Ferretti, Vorlesungsbesucher
Sylvia Rainer, Freie Universität Bozen
Reinhard Gunsch, Landesabteilung Familie und Sozialwesen
Prof. Sascha Plangger, Universität Innsbruck
Johanna Marsoner, BZG Unterland, Sozialzentrum Kurtatsch
Robert Mumelter, People First