Gesellschaft | Kapverden

Unsere Freunde auf dem Vulkan

Was hat ein Vulkanausbruch in 4000 Kilometer Entfernung mit Südtirol zu tun? Über eine Entwicklungszusammenarbeit der besonderen Art auf den Kapverden.

Am Samstag konnte Franz Egger endlich richtig aufatmen. „Die Lava ist nahezu zum Stillstand gekommen, die Gefahr für die Kellerei ist gebannt“, lautete die frohe Nachricht, die ihm der Obmann einer mehr als 4000 Kilometer entfernten Kellerei auf der kapverdischen Insel Fogo am Telefon mitteilte. Eine Woche ist es her, dass der Vulkan auf dem Pico do Fogo, der höchsten Erhebung der Inselgruppe im atlantischen Ozean, erste Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Seit Sonntag hatte der Lehrer der landwirtschaftlichen Oberschule in Auer und Salurner Biobauer mit 1500 Menschen in einem tropischen Weinbaugebiet mitgezittert, war von seinen zahlreichen Kontakten auf der Insel über das Fortschreiten der Lava, über Evakuierungen und erste verschüttete Häusern informiert worden – und hatte von den frenetischen Arbeiten in der dortigen Kellerei erfahren, wo in den vergangenen Tagen noch tausende Flaschen aus 5000-Litern-Fässern abgefüllt worden waren, um die Früchte des letzten Jahres Arbeit vor der näher rückenden Lava zu retten. Noch bis Donnerstag hatte es dramatisch ausgesehen. Nun scheint es sicher, dass die Kapverdianer bei der jüngsten Eruption des Pico do Fogo mit einem blauen Auge davon gekommen ist. „Wir sind sehr froh, weil unser Herzblut, also die Arbeit, die ich mit gar einigen Südtirolern geteilt habe, erhalten bleibt“, sagt Franz Egger.

 

Weinproduktion auf dem Vulkan

Vor 16 Jahren hatte der Oberschullehrer bei einem halbjährigen Aufenthalt auf Fogo  ein Vorzeigeprojekt der sogenannten kleinen Entwicklungszusammenarbeit begonnen – und damit auch ein Netz zwischen Südtirol und der einwohnermäßig genauso großen Inselgruppe vor Senegal zu spinnen begonnen, das heute in alle Teile Südtirols reicht. Das Zentrum auf der anderen Seite des Atlantiks? Eine auf 1600 Metern über dem Meer liegende Hochebene, die in prähistorischen Zeiten aus dem implodierten Krater eines Vulkans entstanden war. Hoch genug, um auch im tropischen afrikanischen Klima die Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht aufzuweisen, die Trauben für die Weinproduktion benötigen; niederschlagreich genug, um in einem Gebiet Trauben reifen zu lassen, in dem Wasser ein knappes und teures Gut ist.

 

Lehrer, Biobauer, Träger des höchsten kapverdianischen Verdienstordens: Franz Egger

„Wie kann aus diesen Trauben ein Wein hergestellt werden, der es mit den qualitativ hochwertigen importierten Weinen auf der auch bei Touristen beliebten Inselgruppe aufnehmen kann“: Das war die Herausforderung, die Franz Egger 1998 im Rahmen eines Projektes der italienischen Entwicklungshilfe anzugehen hatte. Heute gibt es in Fogo zwei Kellereigenossenschaften mit insgesamt 120 Mitgliedern. Aus 5000 Flaschen Wein in den ersten Jahren sind mittweile 150.000 Flaschen pro Jahr geworden. Ein Erfolg, an dem neben vielen Kapverdiandern und  Franz Egger auch viele andere Südtiroler beteiligt sind. Von Beginn an konnte der Biobauer und Lehrer bei seiner Arbeit auf Fogo auf die Unterstützung der Experten der Laimburg und bekannter Winzer wie Martin Aurich zählen, der das Weingut Unterortl auf Reinhold Messners Schluss Juval führt. Wesentlich zum immer dichteren Netz zwischen Südtirol und Fogo trug der Austausch zwischen der landwirtschaftlichen Oberschule in Auer und der SchülerInnen der Kapverden bei. „Begonnen hatte der Schüleraustausch mit einer Benefizkonzert, das unsere SchülerInnen veranstalteten, um einem kapverdianischem Schüler einen Aufenthalt in Südtirol zu ermöglichen“, erzählt Egger. 2010 flogen dann die ersten neun SchülerInnen aus Auer auf die Kapverden; im Jahr darauf folgte die Gegeneinladung für SchülerInnen aus Fogo.

Was SchülerInnen voneinander lernen

Ein Programm, das seither mit steigendem Einsatz aufrechterhalten wird. Beim jüngsten Betriebspraktikum der SchülerInnen aus Auer im Frühjahr 2014 ging es bei weitem nicht nur mehr um den Wein. Da wurde mit den Bauern vor Ort Ziegenkäse hergestellt oder Kuhmilch zu Butter, Joghurt und Graukäse verarbeitet, ein Solartrockner für Obst und Gemüse hergestellt oder aus Zuckerrohr und Bananen Bananenlikör hergestellt. „In diesem Jahr mussten sich die SchülerInnen erstmals in einem Wettbewerb für das Praktikum qualifizieren“, erzählt Franz Egger, „also konkret belegen, welche Fähigkeiten sie haben und weitergeben können.“ Diese wurden zusätzlich vorab mit eigenen Fortbildungskursen erweitert: So lernten die Schülerinnen beispielsweise in der Hauswirtschaftsschule in Haslach wie man Brot mit Maniok und Süßkartoffeln herstellt. Ein Wissen, das sie in den Bäckereien auf Fogo weitergeben konnten, wo bislang nur mit Importgetreide Brot hergestellt wurde. Doch der Wissensaustausch geht in beide Richtungen. Auch die Südtiroler SchülerInnen lernen auf Fogo nicht nur andere Kulturtechniken und neue Produkte kennen. „Sie erleben auch, dass sie ihr Wissen aus der Schule nutzbringend anwenden können – und allem voran, dass es auch ein Leben mit weit weniger Stress gibt“, sagt Franz Egger.

Von der Gelassenheit und Lebensfreude der Kapverdianer erzählt auch die Dokumentation „Der Wein von Kapverden“  von Journalistin Jutta Kußtatscher, der erst kürzlich, im September 2014, auf RAI Südtirol erstausgestrahlt wurde und diese langjährigen Entwicklung in der Zusammenarbeit filmisch nachzeichnet: Zahlreiche SüdtirolerInnen haben mittlerweile persönliche Erfahrungen auf der Vulkaninsel gemacht und mit den Einwohnern geteilt – ob Franz Josef Niedrist aus Girlan, der Material für die DNA-Analysen der dortigen Rebsorten mitmachte, der Edelbrand-Produzent Hansjörg Weis, der mithalf auf Fogo eine Brennblase zu installieren, der Käsemeister des Südtiroler Sennereiverbandes Bertram Stecher, der mit den Kapverdianern sein Wissen zu Herstellung von Ziegenkäse teilte oder Stefan Gruner von der Marmeladenmanufaktur Alpe Pragas.

Im Vorjahr zog es auch Südtirols Fortwirte samt dem damaligen Zivilschutzchef Hanspeter Staffler auf einer Bildungsreise auf die Kapverden; 2012 besichtigte eine Delegation mit dem damaligen Landeshauptmann Luis Durnwalder die Projekte auf Fogo. Zumindest die Bekanntschaft mit Kapverdianern gibt es aber auch auf zahlreichen Höfen in ganz Südtirol, die in den vergangenen Jahren PraktikantInnen beherbergt haben. Darunter auch den nunmehrigen Kellermeister der größeren der beiden Kellereien  in Fogo, der im Jahr 2007 ein achtmonatiges Ausbildungsprogramm an der Laimburg absolviert hatte. „Wir hatte nie Schwierigkeiten Bauern zu finden, die einen Kapverdieaner aufnehmen“, sagt Franz Egger, „im Gegenteil, mittlerweile gibt es schon sehr viele persönliche Beziehungen zur Insel.“

Nächste Gefahr Umsiedlung 

Entsprechend viele Menschen atmen nach der Entwarnung vom Pico de Fogo auch hierzulande auf. Gerade einmal zehn der insgesamt 250 Hektar an Rebenlagen dürften laut ersten Schätzungen zu Schaden gekommen sein. Beide Kellereien und damit auch der gelagerte Wein blieben komplett verschont. Ganz beruhigt ist Franz Egger trotzdem nicht. „Jetzt wird es sicherlich Versuche von der Zentralregierung geben, die Menschen umzusiedeln“, befürchtet er. Schon nach dem letzten Vulkanausbruch 1995 war der fruchtbare Lebensraum in Frage gestellt worden. „Durchschnittlich bricht der Pico de Fogo alle 40 bis 50 Jahre aus“, sagt Egger, „diesmal waren es nur 19 Jahre seit der letzten Eruption.“ Da der Vulkan jedoch nie giftige Gase ausstoße und die Lava sehr langsam und kontrolliert fließe, seien bislang nie Menschen zu Schaden gekommen. Mit entsprechender Vorbereitung und dem Monitoring sollte der wertvolle Lebensraum deshalb weiterhin besiedelt werden, findet der Biobauer und Lehrer. Er hat bereits ein nächstes Projekt im Kopf, mit dem der gelagerte Wein in Notfällen außer Gefahr gebracht werden könnte. In den kommenden Tagen will Egger, der nicht zuletzt Träger des höchsten kapverdianischen Verdienstordens ist, bei der dortigen Landwirtschaftsministerin ein gutes Wort dafür einlegen, dass die Bewohner der Hochebene ihr Zuhause nicht verlassen müssen. „Denn es gibt kein anderes Gebiet auf den Kapverden, wo die Menschen eine so reiche Lebensgrundlage finden“, sagt er.  Und wie es sich in Gefahrenzonen dennoch gut leben lässt, weiß man schließlich auch hierzulande. Es sieht also alles danach aus, als würde der Austausch mit den Kapverden bald um ein weiteres Gebiet bereichert.