Wirtschaft | Vergabegesetz

Wo bleibt die Autonomie?

Scharfe Kritik der Gewerkschaften am Entwurf zum neuen Vergabegesetz: In Sachen Sozialstandards würden die EU-Vorgaben nicht in vollem Ausmaß umgesetzt.

Es geht um viel Geld, wenn ab Mittwoch im Landtag über die neuen Regeln im Vergabewesen diskutiert wird. 2 Milliarden Euro im Jahr ist der Kuchen wert, der in Südtirol alljährlich über öffentliche Aufträge verteilt wird. Ein Bereich, der sich in den vergangenen Jahren zu einem der heißesten wirtschaftlich-sozialen Brennpunkte entwickelt hat. Denn die Praxis der öffentlichen Körperschaften, immer mehr Aufträge auszuschreiben und sich dabei vorrangig am Preis zu orientieren, hat sowohl bei heimischen Unternehmen und Genossenschaften wie auch bei Arbeitnehmern zu großen Problemen geführt.  Von vieldiskutierten Fällen im Sozialbereich wie dem Begleitdienst von SchülerInnen mit Behinderung bis hin zu unlauterer Konkurrenz und zu Lohndumping im Bausektor oder bei Reinigungsfirmen.

Entsprechend auf Trab hält das Thema seit Jahren die Gewerkschaften: „Wir haben viele Hinweise erhalten, dass bei Ausschreibungen Firmen zum Zug kamen, die Löhne und Sozialabgaben nicht oder unpünktlich gezahlt haben“, macht ASGB-Chef Tony Tschenett ein Beispiel. Beim Pflegepersonal oder im Reinigungswesen gäbe es vielfach völlig unterschiedliche Anstellungsformen und Bezahlungen, mit denen Kollektivverträge umgangen werden. Doch wie bei allen anderen Problemen in Zusammenhang mit Ausschreibungen prallte die Kritik bei der öffentlichen Verwaltung bislang am Hinweis ab: Uns sind die Hände gebunden.

Schritt vorwärts oder rückwärts?

Mit dem neuen Vergabegesetz besteht dagegen nun die Chance, einen Schritt vorwärts zu kommen, betonten Vertreter der vier heimischen Gewerkschaften bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montag Vormittag. Nur: Der nun vorliegende Gesetzesvorschlag habe dazu nicht das Zeug - und bringe eher einen Schritt rückwärts „In Sachen Sozialstandards bleibt dieser Gesetzesvorschlag eindeutig hinter der nationalen Vorgabe zurück“, kritisierten  Alfred Ebner, Toni Serafini, Michele Buonerba und Tony Tschenett einstimmig. Abgesehen davon, dass das nationale Ermächtigungsgesetz, mit dem die EU-Normen im Vergabebereich rezipiert werden, noch nicht einmal definitiv verabschiedet sei. „Auf staatlicher Ebene wurde bei der Umsetzung der EU-Normen aus gewerkschaftlicher Sicht eine Minimallösung erreicht“, erklärten die Gewerkschafter. „Und nun wird diese in Südtirol auch noch unterboten – wo wir uns sonst immer damit brüsten, wie vorbildlich unsere Autonomie gegenüber den staatlichen Bestimmungen ist?“

Nicht zuletzt in einer Sitzung mit dem zuständigen Gesetzgebungsausschuss brachten die Gewerkschaften ihre Kritik bereits vor. Angehört wurden sie aber bislang zu wenig, meinen sie. Deshalb geht nun im Vorfeld der Diskussion des Gesetzesvorschlags im Landtag ein Schreiben an alle 35 Landtagsabgeordneten, in dem die Gewerkschaften noch einmal auf die größten Versäumnisse im Gesetzesvorschlag  hinweisen.

Unter staatlichen Standards

Nicht übernommen wurden laut ihnen bislang folgende Bestimmungen, die im staatlichen Ermächtigungsgesetz bzw. den EU-Normen enthalten sind.

  • die verpflichtende Einhaltung von Kollektivverträgen und die Überprüfung der Angemessenheit der Personalkosten vor der Zahlung von Aufträgen in all jenen Fällen, in denen die Personalkosten mehr als 50% des gesamten Auftragsvolumens ausmachen.
  • eine bessere Bewertung von Unternehmen, die Personal aus Südtirol  beschäftigen im Rahmen der Qualitätsbewertung
  • die Berücksichtigung von spezifischen Umwelt- und Sozialzertifizierungen bei der Qualitätsbewertung
  • Einführung einer solidarischen Haftung zwischen Auftraggeber, Auftragnehmer und Subunternehmer falls Löhne, Steuern und Sozialabgaben nicht bezahlt werden.
  • Nicht-Berücksichtigung der Personalkosten und Kosten für die Arbeitssicherheit bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten.

Darüber hinaus fordern die Gewerkschaftsvertreter eine Ausdehnung der Schutzbestimmungen auf Sub-Unternehmen, die schließlich auch direkt von der öffentlichen Verwaltung bezahlt werden sollen. Stark angekreidet wurde auch, dass ein Passus, der im eben verabschiedeten Landesgesetz zum öffentlichen Nahverkehr enthalten ist, im Vergabegesetz einfach vergessen wird: Im Fall einer Weitergabe von Dienstleistungsverträgen muss demnach das Unternehmen, das einen Auftrag von einem anderen übernimmt, dessen Personal übernehmen.

Sollte der Gesetzesvorschlag tatsächlich in der Form verabschiedet werden, schließen die Gewerkschaften nicht aus, das der Staat selbst das Gesetz zurückwirft. „Vor einem solchen Rekurs wurde auch ausdrücklich auf einer Tagung zum Vergabegesetz Mitte Oktober gewarnt", sagen sie. Und zwar von niemand geringerem als Pierluigi Mantini, Professor am Politecnico di Milano, der in der Regierungskommission für die Umsetzung der europäischen Richtlinien im Vergabewesen sitzt. "Tatsache ist für die Gewerkschaften, dass sich die Landesregierung beim neuen Vergabegesetz, was den Schutz der Betriebe anbelangt, teils sogar über die EU-Bestimmungen hinauswagt. Beim Schutz der Arbeitnehmer fehle dagegen offenbar nicht nur der Wille, die eigene Autonomie auszureizen, sondern selbst das staatliche Niveau zu erreichen. Dabei verlieren auch Betriebe, wenn Sozialstandards nicht streng kontrolliert würden, unterstreicht UIL-Gewerschafter Toni Serafini: „Denn in dem Fall sind sie der unlauteren Konkurrenz all jener ausgesetzt, die nicht ehrlich arbeiten.“