Politik | 70 Jahre Pariser Vertrag

Schwieriger Neubeginn

Namhafte HistorikerInnen zeichnen in einer salto-Serie den Weg zum ersten Automiestatut nach. Teil 1: Eva Pfanzelter über die alliierten Militärregierung in Südtirol.

Am 2. Mai 1945 schreibt Erich Amonn in sein Tagebuch: „Schwerster Tag meines Lebens, aber notwendig, um wenigstens ein Stück Tiroler Boden vor völliger Verwüstung zu retten, und zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.“ Es ist das Ergebnis einer Unterredung mit Bruno de Angelis, dem Vertreter des Comitato di Liberazione Nazionale (CLN), der von den Deutschsprachigen und von der deutschen Wehrmachtsführung die Übergabe der Verwaltung des Landes gefordert hatte. In diesen letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkrieges herrschte in Südtirol verwaltungstechnisch und auch militärisch totales Chaos. Die Befehlsstrukturen waren unklar, Zuständigkeiten und Kompetenzen nicht mehr erkennbar. Geheimdienstberichte meldeten alliierte Einheiten und zahlreiche Partisanenverbände, die Richtung Südtirol vorrückten. So übernahm Bruno De Angelis als Präfekt die Verwaltung des Landes, ließ italienische Fahnen hissen und präsentierte die Provinz beim Einmarsch der Amerikaner als ein von Partisanen befreites Gebiet.

„Schwerster Tag meines Lebens, aber notwendig, um wenigstens ein Stück Tiroler Boden vor völliger Verwüstung zu retten, und zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.“
Erich Amonn, 2. Mai 1945

Doch die Amerikaner hatten bereits Vorkehrungen getroffen. In Bozen übernahmen am 4. Mai amerikanische Besatzungseinheiten unter dem Ziviloffizier William E. McBratney zügig die Verwaltung. Sie begannen mit dem Aufbau der Zivilregierung nach Richtlinien vom Jänner des Jahres, die festlegten: Die Provinz werde „nicht von Italien abgetrennt“, eine „Weiterführung der Politik der Zwangsemigration“ entlang der Optionsabkommen sei unwahrscheinlich und „Vorkehrungen für den Schutz der deutschsprachigen Bewohner des Südtirol (als eine Minderheit im italienischen Staat)“ werden in die „endgültigen Vereinbarungen mit Italien aufgenommen“. McBratney war es daher auch, der beiden Sprachgruppen eine politische Vertretung zusicherte und eine Tageszeitung (die heute noch bestehenden Alto Adige und Dolomiten) erlaubte. Während sich die italienische Sprachgruppe politisch vom CLN vertreten fand, kam es unter diesen Vorzeichen am 8. Mai 1945 zur Gründung der Südtiroler Volkspartei.

In der Praxis verlief der Übergang von Kriegs- zu Besatzungszeit beinahe problemlos, auch wenn sich die Dolomiten und die Alto Adige eine wahre Presseschlacht lieferten, sodass sich McBratney gezwungen sah, am 31. Mai 1945 und im September einen „Burgfrieden“ mit harscher Pressezensur einzuführen. Ebenso Anlass zu heftigen Klagen gab das undisziplinierte Verhalten der Truppen der Folgore, der Partisaneneinheiten, die die Alliierten bei den Besatzungsaufgaben unterstützten. Ihre wahllosen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung trugen nicht unwesentlich zum anhaltenden Misstrauen zwischen den Ethnien und zwischen Besatzungseinheiten und der italienischen Verwaltungsbeamten bei.


Südtirol als Schatzkammer


Trotz des einigermaßen friedlichen Überganges gab es einige aufsehenerregende Ereignisse: International war sicherlich einmal die Befreiung prominenter, ehemaliger Dachau-Häftlinge in Niederdorf und am Pragser Wildsee Anfang Mai 1945 eine Sensation. Im Frühjahr und Sommer 1945 kam es außerdem zu aufsehenerregenden Festnahmen, wie beispielsweise jener von Rudolf Rahn, dem deutschen Botschafter in Meran. Gerda Bormann, die Frau von Hitlers Stellvertreter Martin Bormann, und 14 Kinder wurden in Wolkenstein festgesetzt. Ebenfalls in Gröden fanden die Besatzungsbehörden Margaret Boden Himmler und Gudrun Himmler, Frau und Tochter von Reichsführer-SS Heinrich Himmler.

Es waren jedoch nicht nur Menschen nach Südtirol geflüchtet, auch Kunstwerke wurden hier versteckt. In St. Leonhard im Passeier und in Sand in Taufers im Ahrntal fanden sich die Depots gesammelter, unschätzbar wertvoller Kunstwerke aus den Uffizien in Florenz. Ebenso aufsehenerregend war der Fund einiger hundert Goldfässer in der Festung in Franzensfeste.


Flüchtende und Flüchtlinge
 

Gleichzeitig setzte in den Frühjahrs- und Sommermonaten 1945 ein Flüchtlingsstrom bis dahin ausgekannten Ausmaßes ein, denn in Deutschland und Österreich fanden sich bei Kriegsende etwa eineinhalb Millionen italienischer Zivilisten, illegal zurückkehrende OptantInnen sowie Jüdinnen und Juden, die vor den Pogromen in Osteuropa flüchteten und nach Israel oder in die USA wollten sowie zahlreiche Nazis, die über Italien vor der alliierten Justiz flohen. Trotz rascher Organisation von Transport, Unterkünften und Essen durch alliierte Behörden und das Internationale Rote Kreuz wurde Südtirol bald von einem unkontrollierten Strom von Flüchtlingen überrannt: Allein im Monat Mai waren es in etwa 90.000 Personen. Die Flüchtlingslager und -unterkünfte, die daraufhin im ganzen Land eingerichtet wurden, konnten erst im Laufe des Jahres 1946 langsam abgebaut werden.

Flüchtlingslager am Bozner Dominikanerplatz: Abtransport der Menschen.

Das Damoklesschwert Option

Nicht in den Genuss der Hilfe internationaler Flüchtlingsorganisationen kamen die optierten SüdtirolerInnen. Sie hatten mit den Optionspapieren die italienische Staatsbürgerschaft aufgegeben und jene des Deutschen Reiches beantragt. Dieses Deutsche Reich gab es im Mai 1945 nicht mehr, in Österreich wurde die Staatsbürgerschaft des nun zur feindlichen Besatzungsmacht deklarierten Nazi-Regimes nicht anerkannt. Das hieß für tausende ausgewanderte SüdtirolerInnen, dass sie bei Kriegsende staatenlos waren, also keine internationalen Hilfsgüter bzw. Heimtransporte beanspruchen konnten: Viele von ihnen machten sich daher illegal auf den Weg über die Brennergrenze zurück Richtung Heimat. Das Passieren der Grenze war allerdings nur für wenige Tage möglich, innerhalb von zehn Tagen nach Kriegsende wurde der Brenner abgeriegelt. Es fanden strenge Kontrollen statt, die aufgegriffenen Illegalen kamen in die Auffanglager am Brennersee und in der Nähe von Gossensaß. So strandeten rückkehrwillige OptantInnen oft monate- und jahrelang in den Sammellagern in Innsbruck, Hall und Wattens in Nordtirol.

Nicht viel besser hatten es die OptantInnen, die in Südtirol verblieben waren oder in Österreich eine neue Heimat gefunden hatten. Auch sie waren bei Kriegsende Staatenlose und hatten dadurch keinen Anspruch auf Sozialleistungen, Wohungs- und Essenszuteilungen. Weder die italienische noch die österreichische Regierung zeigte in der wirtschaftlich, sozial und politisch prekären Situation des Kriegsendes Interesse an einer schnellen Lösung der Staatsbürgerschaftsfragen.

Im Gegenteil, die Südtiroler OptantInnen wurden spätestens im Sommer 1945 zum politischen Spielball: Die italienische Regierung drängte auf Gültigkeit der Optionsabkommen von 1939. Das besetzte Österreich hatte andere Sorgen. Dort häuften sich die Klagen über die kriminellen SüdtirolerInnen massiv und zunehmend wurde ihnen die angebliche Bevorzugung bei der Stellen- und Wohnungsvergabe sowie des Bezuges von Sozialleistungen vorgeworfen.

„Die Südtiroler OptantInnen wurden spätestens im Sommer 1945 zum politischen Spielball.“

Keine internationalen Fürsprecher

Für Südtirol gab es in diesen Monaten keine internationalen Fürsprecher: Auf internationaler, politischer Ebene ging es Ende Juni, Anfang Juli 1945 in Richtung Potsdamer Konferenz, also in Richtung Aufteilung der verheerenden Überlassenschaften des Krieges unter den Mächtigen der Welt. Dabei war auch absehbar: Italien entwickelte sich unmittelbar nach Kriegsende zum Testfall für die Zusammenarbeit der alliierten Supermächte nach dem Krieg. Hier zeichneten sich erste Diskrepanzen und kommende Konfliktlinien im Kalten Krieg ab.

Auch deshalb entschieden die amerikanischen Besatzer, dass Südtirol bis zum Ende der Außenministerkonferenz in London, die für Mitte September angesetzt war, unter alliierter Verwaltung bleiben sollte, um kein Präjudiz für die dort zu treffenden Entscheidungen bezüglich des italienischen Friedensvertrages zu schaffen. So ist wohl letztlich den Amerikanern die Aufnahme jenes Passus in die ersten Verhandlungen der Alliierten am 14. September 1945 mit Italien zu verdanken, die als „Vorentscheidung“ für Südtirol in die Geschichte einging: Österreich wurde darin erlaubt, Vorschläge „hinsichtlich kleinerer Grenz-Berichtigungen zu seinen Gunsten vorzubringen“.

„Italien entwickelte sich unmittelbar nach Kriegsende zum Testfall für die Zusammenarbeit der alliierten Supermächte nach dem Krieg. Hier zeichneten sich erste Diskrepanzen und kommende Konfliktlinien im Kalten Krieg ab.“

  Italien im September 1945
 

Für Italien endete die Londoner Außenministerkonferenz damit in einem Desaster, nicht einmal zu einem gemeinsamen Kommuniqué hatte man sich durchringen können. Das bedeutete: Keinen Friedensvertrag, keine Revision der Waffenstillstandsbedingungen, keine Zustimmung, das Land als „friendly cobelligerent“ (freundschaftlichen Kriegsverbündeten) einzustufen, kein „non-punitive agreement“ (nicht-bestrafender Friedensvertrag) und schließlich absehbarer Verlust aller Kolonien. Außerdem: Keine Rückgabe aller von den Alliierten besetzten Provinzen an die italienische Verwaltung und damit wachsender Druck auf die äußerst instabile Koalition. Hinzu kamen katastrophale wirtschaftliche Prognosen für den kommenden Winter. Das alles führte zu einer handfesten Regierungskrise. Und für Südtirol bedeutete dies schlichtweg, dass die italienische Regierung jede Entscheidung auf die lange Bank schob. Allerdings übersahen die führenden Kräfte dabei, dass sich die internationale Lage, vor allem aber die Haltung der Amerikaner deutlich zu Ungunsten des Mittelmeerlandes entwickelte. Den Italienern wurden daher in den folgenden Monaten viele Regelungen schlichtweg diktiert, von einer Mitbestimmung konnte nicht die Rede sein.
 

Beendigung der Alliierten Militärregierung

 

Als wirksamste Waffe der Alliierten gegenüber der italienischen Regierung erwies sich die Beibehaltung der Alliierten Militärregierung in besetzten Gebieten: Ende August 1945 empfahlen die amerikanischen Behörden, die Rückgabe der Provinz an die italienische Verwaltung an Bedingungen zu knüpfen: Die Deutschsprachigen sollten weitreichende Zugeständnisse im Bereich der Schule erhalten, die marodierenden, italienischen Partisanentruppen, die Folgore, müssten unverzüglich aus der Provinz abgezogen werden, die Staatsbürgerschaftsfragen gehörten gelöst – an eine Weiterführung der Politik der „Zwangsemigration“ entlang der Optionsabkommen sei nicht zu denken – und die italienische Regierung solle den Deutschsprachigen Autonomiezugeständnisse machen.

Als die italienische Regierung am 22. September über die Entscheidungen der Londoner Außenministerkonferenz unterrichtet wurden, (Österreich offiziell erst am 1. Mai 1946), deponierten die Amerikaner diese Anliegen. Die Regierung erklärte sich in mehreren Schreiben danach immer wieder zu großzügigen Gesten gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung bereit, doch diese Versprechen waren schwammig formuliert und ohne konkrete Umsetzungsvorschläge. Im alliierten Hauptquartier schätzte man sie daher als leere politische Stimmungsmache ein. Die Beendigung der Militärregierung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

„Die Regierung erklärte sich in mehreren Schreiben danach immer wieder zu großzügigen Gesten gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung bereit, doch diese Versprechen waren schwammig formuliert und ohne konkrete Umsetzungsvorschläge.“

Erst im November 1945 gelang es den Briten erfolgreich Überzeugungsarbeit im US-State Department zu leisteten: Außenminister Byrnes willigte nach Geheimgesprächen schließlich ein, die alliierte Besatzung in Südtirol zu beenden und die Provinz Ende des Jahres 1945 an die reguläre italienische Verwaltung zurückzugeben. Gleichzeitig solle noch einmal vehement auf die Umsetzung der alliieren Forderungen gedrängt werden.
In der Zwischenzeit schafften alliierte Behörden einige fait accomplí:
 

Volksschuldekret und Abzug
 

Wegen ausständiger gesetzlicher Regelung durch Italien erließen die Alliierten im September/Oktober eine Schulregelung und unterstützten die Deutschsprachigen bei der Organisation von Schweizer Schulbüchern. So nahmen die Volksschulen (deutschsprachige und italienischsprachige) trotz Lehrkräftemangels und fehlenden Schulräumen im Oktober 1945 den regulären Betrieb auf. Die italienische Regierung stimmte der Schulregelung zu und erließ Ende Oktober das „Erste Volksschuldekret“. Innerhalb weniger Wochen folgten die Regelungen für den deutschsprachigen Mittelschulbereich.

Auch in der Lösung der Frage der Folgore-Einheiten übernahmen die Alliierten die Initiative: Die italienischen Partisaneneinheiten wurden im Oktober der alliierten Besatzung unterstellt. Im November wurde ihr Abzug in den Süden – offizieller Wortlaut war, dass die Einheiten zu Trainingszwecken verschickt wurden – angeordnet und sie sollten durch britische Einheiten ersetzt werden. Vehemente Interventionen der italienischen Regierung führten schließlich dazu, dass einige italienische Einheiten des regulären Militärs an ihrer Stelle in Südtirol einziehen konnten.
 

Optantendekret, Wählerlisten und Autonomieregelung
 

Ein weiteres Diktat drohte Italien in Staatsbürgerschaftsfragen: Anfang November veranlassten die Alliierten die Erstellung der Wählerlisten in der Provinz Bozen unter Einbeziehung aller deutschsprachigen SüdtirolerInnnen, die zwar optiert hatten, aber nicht ausgewandert waren. Die umgehenden Proteste der italienischen Regierung hatten immerhin zur Folge, dass die alliierten Behörden zwar versprachen, alle Menschen mit gültiger österreichischer und deutscher Staatsbürgerschaft auszuweisen, gleichzeitig aber die Erstellung der Wählerlisten unbeirrt fortsetzten.

Daraufhin legte die italienische Regierung am 21. November einen Vorschlag zur Lösung der Optantenfrage vor: Er sah genau das vor, was die Alliierten seit Monaten zu unterbinden versucht hatten, nämlich eine rigide Interpretation der Staatsbürgerschaftsfragen. Die Reaktionen der alliierten Stellen auf den Gesetzesvorschlag waren dann auch allesamt negativ und sie lassen sich wohl am besten mit einem Schreiben an Degasperi vom 21. Dezember 1945 wiedergeben: „Die Alliierten betrachten die Einsetzung eines solchen Gesetzes in Südtirol nicht mit Wohlwollen und wären nicht bereit, seine Umsetzung zu unterstützen.

Am auffälligsten ist darüber hinaus wohl der anhaltende Druck der alliierten Stellen was die Einsetzung einer Autonomie für die deutschsprachige Minderheit betraf. Die von Rom immer wieder formulierten Autonomieversprechen waren dann allesamt angelehnt an die Autonomie für das Aostatal und allesamt enthielten sie als Autonomiegebiet das gesamte Trentino. Die Vorschläge gingen den amerikanischen Behörden nie weit genug. So bestanden sie bis weit in den Herbst 1945 darauf, dass bei der Rückgabe der Provinz an die italienische Verwaltung Autonomieregelungen für die Deutschsprachigen öffentlich bekannt gegeben werden müssten. Als dies aufgrund der innenpolitischen Situation immer unwahrscheinlicher wurde – die Regierung Parri stürzte Ende November, Degasperi wurde zum Ministerpräsident mit der schwierigen Aufgabe, eine neue Koalition zusammenzubringen - beharrten sie auf zuminest einer öffentlichen Bekanntgabe: Am 19. Dezember 1945 wurde die Rückgabe der nördlichen Provinzen in der Presse publiziert. Sie erfolge aber „ohne dass dies ein Präjudiz für eventuelle Grenzänderungen sei, die im Friedensvertrag erfolgen konnten.“ Am selben Tag, dem 19. Dezember, deponierte Staatskanzler Renner in Wien bei den Alliierten die Forderung der österreichischen Regierung nach einer Rückgaben Südtirols an Österreich. In einer Rede schloss sich tags drauf Bundeskanzler Figl mit dem berühmt gewordenen Satz, Südtirol sei eine Herzenssache Österreichs den Forderungen an.
 

Fazit
 

Sollte ich also eine These für eine amerikanische Südtirolpolitik 1945 formulieren, so lautet diese wohl: In diesen Monaten wurde eine weitreichende Autonomie verspielt! Die Vertreter der Südtiroler Volkspartei zusammen mit den Kollegen in Österreich schätzten die Situation in den Herbstmonaten 1945 anders ein: Hier verfolgte man konsequent die „Selbstbestimmungs-Strategie“. Mit Petitionen und Unterschriftensammlungen versuchte man die Alliierten über die Situation in Südtirol aufzuklären und von der Legitimität der Forderung der Rückkehr zu Österreich zu überzeugen. Aber Aufklärung brauchten die alliierten Behörden keine und wie der Ausgang eines Plebiszits wäre, wusste man in London und Washington DC genau. Hier gab es andere Gründe, Südtirol bei Italien zu belassen: Die Wasserkraftwerke, die kommunistische Gefahr, vor allem aber Italiens instabile interne Situation und zunehmend ging es darum, resümierte frustriert der amerikanische Außenminister James Byrnes im Februar 1946, sich mit allen Verhandlungspartnern (auch der UdSSR) „überhaupt auf einen Friedensvertrag für das Land einigen zu können.“ Um Details ginge es schon lange nicht mehr, sondern um „akzeptierbare Formulierungen“. Tatsache ist aber auch, dass sich die italienische Regierung bis zum Abschluss des Friedensvertrages nicht sicher war, die Nordgrenze am Brenner belassen zu können. Daraus erklären sich wohl die Verhandlungen im Jahr 1946, an deren Ende am 5. September 1946 das Gruber-Degasperi-Abkommen steht: Ein Dokument, das m. E. zwar fraglos als Magna Charta Südtirols gelten kann, das aber dennoch ein Dokument diplomatischer Schwäche Österreichs und des anhaltend starken Zentralismus Italiens ist und die Chance auf eine starke Autonomie schon 1946 gänzlich verspielte.

Weiterführende Literatur: Eva Pfanzelter, Südtirol unterm Sternenbanner. Die amerikanische Besatzung Mai-Juni 1945. Mit Fotodokumentation und DVD, Bozen 2005.

Die Bozner Historikerin Eva Pfanzelter (47) ist seit 2010 Assistenzprofessorin und seit 2016 assoziierte Professorin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte: Europäische und regionale Zeitgeschichte, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik, Holocaust Studies, Digital Humanities. Pflanzelter wird am kommenden Montag auf der Tagung der Südtiroler Landesregierung  auf Schloss Sigmundskron eine der Referentinnen sein.


Lesen Sie morgen (1. September) Teil 2: Rolf Steininger über das Gruber-Degasperi-Abkommen

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Marcus A. Mi., 31.08.2016 - 16:22

Ein sehr interessanter Artikel! Danke

Gerade wir Südtiroler sollten die Geschichte nie vergessen und speziell in der Flüchtlingsfrage mehr Sensibilität zeigen.

Besonders dieser Absatz sollte zu denken geben: "Dort häuften sich die Klagen über die kriminellen SüdtirolerInnen massiv und zunehmend wurde ihnen die angebliche Bevorzugung bei der Stellen- und Wohnungsvergabe sowie des Bezuges von Sozialleistungen vorgeworfen."

Mi., 31.08.2016 - 16:22 Permalink
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Philipp Trafojer Mi., 31.08.2016 - 22:09

Gratulation zu diesem super Artikel! Danke!

Wäre schön, falls der Leser in einem eigenen Artikel über die Gründe informiert würde, warum die SVP damals so verhängnisvoll >>konsequent die „Selbstbestimmungs-Strategie“

Mi., 31.08.2016 - 22:09 Permalink
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Rainald Sensbach Mo., 05.09.2016 - 11:54

Inhaltlich nicht schlecht. Nur das generische Femininum - siehe "OptantInnen" u.ä. - läßt einen narrisch werden. Hoffentlich sind die Veranstalter und Zuhörer auf Sigmundskron schon so weit (gewesen), daß ihnen auch akustisch deutlich wurde, was es bedeutet, wenn man sich "frauen-powerisch" über die Unterschiede zwischen biologischem und grammatikalischem Geschlecht hinwegzusetzen müssen glaubt, wie es leider in vielen "akademisch"-korrekten Publikationen heutzutage der Fall ist.

Im übrigen vermisse ich den angekündigten Teil 2: Steininger .....

Mo., 05.09.2016 - 11:54 Permalink