Politik | Griechenland-EU

Unvereinbarkeiten

Der kleine, aufmüpfige und unbotmässige EU-Staat Griechenland zeigt die Grenzen und Schwächen der Eurozone auf. Die disziplinierten Eurostaaten verzweifeln daran.

Seit fünf Jahren wissen die Mitglieder der Eurogruppe, dass der griechische Staat vor dem Bankrott steht.  Das Problem wurde verdrängt, was dank der schwachen Athener Regierungen auch möglich war.  Die Widersprüche dieser Vogel-Strauss-Politik kamen ans Licht, als der Linke Alexis Tsipras vor einem halben Jahr in Griechenland die Macht übernahm.

Seine Wirtschaftspolitik, seine politischen Methoden, seine Ideologie erwiesen sich schon bald als völlig unvereinbar mit der in Brüssel dominierenden Sparpolitik , der vorherrschenden konservativen Ideologie und der geringen Wertschätzung aller Formen von direkter Demokratie. 

Kein Wunder, dass die Verhandlungen letztendlich scheiterten .

 Alexis Tsipras hätte sich beugen müssen, heisst es unisono in Brüssel . Das aber wäre  mit den Wahlversprechen der Syriza-Regierung in Athen unvereinbar gewesen.

Von den griechischen Wählern hatte Tsipras folgenden Auftrag erhalten: Schluss mit der Sparpolitik und weg mit der Troika aus Griechenland!    Zugleich plädierte eine Mehrheit  der befragten Bevölkerung für den Verbleib Griechenlands im Euro.  

Was also ? Wenn Griechenland in der Eurozone bleiben will, muss es die Regeln der dort vorherrschenden Austeritätspolitik  berücksichtigen.  Wenn Griechenland die Sparpolitik abschafft , steht wiederum die Mitgliedschaft in der Eurozone  auf der Kippe.    

In Puncto Schluss mit der Sparpolitik musste der griechische Ministerpräsident bald sein Scheitern zur Kenntnis nehmen.  Er hätte einlenken und seine Wahlversprechen brechen können. Damit hätte er  den Verbleib Griechenlands in der Eurozone garantieren können - um den Preis, seine Auffassung von Wirtschaft , Politik und Ehrgefühl zu verraten.

Die in Brüssel verhandelnden griechischen Politiker griffen zuletzt auf Mittel zurück, die in nordeuropäischen Ländern unüblich und grundsätzlich anstrengend und nicht zielführend  sind : Taktieren, provozieren, Finten legen, Position wechseln, um den Gegner zu verwirren usw.

Dadurch wurde die ohnehin emotional aufgeheizte antigriechische Stimmung in den Kommissionen weiter vergiftet.Und so machten die völlig aufgelösten und erzürnten Eurogruppen-Chefs einen unverzeihlichen Fehler:  sie warfen die Griechen just in dem Moment  hinaus, als Tsipras als letzten Trumpf die Volksabstimmung in Griechenland ankündigte.

Wie können die als demokratische Staaten eingestuften EU-Länder  eine "Volksabstimmung" als derart skandalös einstufen , dass  sie einen Mitgliedsstaat (GR)  dafür  bestrafen ? Ist denn eine Volksabstimmung nicht das demokratischste aller Mittel, um eine Jahrhundertentscheidung zu treffen?  

Dass die Eurogruppen-Chefs keinen besseren Vorwand als ausgerechnet das Referendum fanden ,  um die Verhandlungdelegation aus Athen hinauszukomplimentieren,  spricht Bände.  Beweist es doch, wie undemokratisch  und autoritär die in Brüssel versammelten Austeritätspolitiker sind. 

Die Lobeshymnen von Peppe Grillo auf Alexis Tsipras ( den er zuerst stark kritisiert hatte ) zeigen, welch Eigentor sich die EU-Sparpolitiker geschossen haben.

Noch etwas wurde im Trubel um Griechenland versäumt: die EU-Bürger darüber aufzuklären, worum es bei den Verhandlungen mit Griechenland eigentlich ging.  Doch Transparenz ist die Sache der Eurogruppenchefs nicht  : sonst würde ja bald klar werden, dass die EU-Bürger nicht für die griechischen Mitbürger zur Kasse gebeten werden, sondern für die deutschen und französischen Banken, die sich in Griechenland verzockt haben.

Die griechische Linksregierung hat in den letzten Monaten viele, gravierende Fehler begangen. Oft benahmen sich die Mitglieder der Syriza- Verhandlungsdelegation  wie Lausbuben oder wie Unistudenten auf politischen Grossveranstaltungen, bei denen nur diskutiert und nichts entschieden wird.

Trotzdem : mir als Südtirolerin sind die Griechen  lieber als die artigen Eurogruppen-Mitglieder. Die Griechen haben für eine Sache gekämpft. Sie wollten die Sparpolitik abschaffen oder  mildern und stattdessen das Marshall-Plan-Nachkriegsmodell wieder salonfähig machen, das  Europa Wohlstand und Frieden gebracht hat. Dieses Europa ist mein Europa. 

Was hätte meine Elterngeneration erreicht, als sie für die Südtirol-Autonomie kämpfte, wenn sie immer den Kopf eingezogen hätte? Und die Südtirol-Aktivisten, die ihr Leben riskierten, als sie für die Heimat auf die Barrikaden gingen?  All das fällt mir ein, wenn ich an die Griechen denke, die in Brüssel nicht gekuscht haben.

Sie sind  dafür von den austeritäts-hörigen Kniefall-Medien verhöhnt und unter Druck gesetzt worden.  Als sich die griechische Regierung  des Scheiterns und der Widersprüche bewusst wurde,  rief sie  als "ultima ratio" ein Referendum aus, um dem Volk die letzte Entscheidung zu überlassen.

Wenn das ein Skandal ist, sollten wir den Beibehalt dieser Euro-Zone  überdenken.  Denn die überstürzte Einführung des Euro, bei der nicht nur Griechenland die Bilanzen frisiert hat, provozierte Streit und Neid zwischen den europäischen Nationen, wie sie nach dem zweiten Weltkrieg noch nie existierten. 

Beim Geld hört die Freundschaft auf, heisst es so treffend. Deshalb sollte man dem Geld innerhalb eines Staatenbundes, wie es Europa einer ist, nicht die einzige und wichtigste Bedeutung zumessen. Das aber geschah, als mit Pauken und Trompeten der Euro eingeführt wurde.  

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Dr. Streiter Mo., 29.06.2015 - 20:29

Ein fantastischer Artikel der mit offenen Karten spielt, nur zwei Dinge:

1. Es gibt einen retorischen Kniff "wir retten nicht die Griechen sondern die Banken". Die Griechen schulden den Banken. Wenn sie jemanden Geld schulden müssen sie diese Schulden bedienen oder sie werden ihnen erlassen. Daher leiht die EU den Griechen Geld. Sonst müssten sie die Schulden erlassen. Das mag redlich erscheinen aber ein guter Grund dagegen neben vielen anderen: warum nur Griechenland? Italien hat eine horrenden Staatsverschuldung. Sie sehen: verkürzte Retorik ist eine heikle Sache.

2. Man kann nicht am Morgen mit der Eurogruppe verhandeln und sie am Abend mit einer verkappten Volksabstimmung nach der Verhandlungsfrist überraschen. Grundlage einer Verhandlung ist dass man dem Wort des Gegenüber am Ende des Tages auch ein klein wenig vertrauen kann. Dieses Grundvertrauen wurde von Tsipras mit den Füssen getreten. Niemand hätte anders reagiert als Dijsselbloem, Schäuble und Co.

Mo., 29.06.2015 - 20:29 Permalink
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Harald Knoflach Di., 30.06.2015 - 13:59

Antwort auf von Dr. Streiter

genau. nur hat sie das nicht. wie überhaupt noch kaum jemand in Südtirol - der das demokratischste aller mittel grundsätzlich befürwortet - mir stichhaltig erklären konnte, was an einer demokratischen abstimmung in südtirol so fundamental anders bzw. falsch wäre.
mich täte die argumentation wirklich interessieren. frau brugger, vielleicht lesen sie das ja und antworten mir. würde mich freuen.

Di., 30.06.2015 - 13:59 Permalink
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Christian Mair Di., 30.06.2015 - 10:40

"In wenigen Sätzen ..... das dunkelste Kapitel der Euro-Krise: Den bedingungslosen Freikauf der Gläubiger von überschuldeten Banken zulasten der Steuerzahler. Schon in mindestens 52 Fällen haben Europas Regierungen von Insolvenz bedrohte Banken mit Staatsgeld gestützt und deren Kreditgeber so vor Verlusten bewahrt." http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/eurokrise-staatsgeheimnis-bankenr…

Di., 30.06.2015 - 10:40 Permalink
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Alfonse Zanardi Di., 30.06.2015 - 20:58

Antwort auf von Christian Mair

So einfach ist es nicht: mit dem Bankrott eines Staates sind auch dessen grosse Gläubiger insolvent. Und wenn eine Bank insolvent ist sind auch die Einlagen der Sparer weg. Das ist ja genau der Grund warum die griechischen Bürger am Bankomaten stehen oder ihr Geld - auch das legal versteuerte - ins Ausland bringen.
Der Hinweis auf die Sicherheit der Einlagen bringt den Politiker immer wieder dazu die gierigen Banken freizukaufen.
Gut finde ich das auch nicht.
Die Banken sollten aufhören den überschuldeten Staaten (also fast allen) Kapital zur Verfügung zu stellen. Sie tun das in der bisher umwiderlegten Annahme dass sie auch im Insolvenzfall aufgefangen werden, was ihnen beim privaten Schuldner natürlich verwehrt bleibt.

Di., 30.06.2015 - 20:58 Permalink
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Martin Federspieler Di., 30.06.2015 - 23:25

Bei Frau Brugger und ihrem Idol Tsipras sehe ich v.a. eine Unvereinbarkeit:
Die ihrer Ansichten mit der Realität, denn sie weigern sich konsequent den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Wer gibt auch gerne zu, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben, Frau Brugger?
Der Vergleich mit dem Marshall-Plan ist genau so absurd wie jener mit den Südtirol-Aktivisten.
Die Ursachen der griechischen Krise sind weder Krieg noch ethnisch-wirtschaftliche Ausgrenzung, sondern der Umstand, dass die griechische Gesellschaft (auch in guten Zeiten) insgesamt nicht Imstande war, ihr Land zukunftsfähig und einigermaßen krisenresistent zu organisieren.
Und - ohne die Geschichte genau zu kennen - nehme ich an, dass die Vertreter Deutschlands damals ihre "Geldgeber" in den Verhandlungen nicht an der Nase herumgeführt haben, genauso wie auch die politischen Vertreter Südtirols auch in schwierigen Zeiten ihren Verhandlungspartnern immer mit Respekt begegnet sind.
Und wer ein Land, das bereits mit 170% seiner jährlichen Wirtschaftsleistung mit zusätzlichen Schulden retten will, anstatt es durch Reformen und Sparmaßnahmen auf Kurs zu bringen, hat oder will wohl die Grundprinzipien von Ursache und Wirkung nicht wahrhaben.
Und vor allem sollte der (oder die) sich hüten, die Banken als die Ursache allen Übels zu geißeln. Denn wer soll denn den Griechen sonst noch mehr Geld leihen??
Frau Brugger: ich würde es begrüßen, wenn Sie sich in dieser Angelegenheit als befangen erklären und von weiteren Artikeln zum Thema absehen.
Und vielleicht sich stattdessen hernieder lassen, die Meinungen anderer zu kommentieren.

Di., 30.06.2015 - 23:25 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 01.07.2015 - 07:40

Antwort auf von Martin Federspieler

Da hat jemand nicht richtig aufgepasst. Die griechische Delegation hat mehrmals und wiederholt darum gebeten, mit der Schuldenspirale endlich aufzuhören. Auch der IWF wirbt für seriöse Umschuldungsmaßnahmen. Trotzdem wurde im Ende-Juni-Paket nichts dergleichen den Griechen schriftlich angeboten. An wem wird das wohl liegen?

Mi., 01.07.2015 - 07:40 Permalink
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Profil für Benutzer Benno Kusstatscher
Benno Kusstatscher Mi., 01.07.2015 - 07:54

Wenn Du von Geldern sprichst, die geflossen sind, solltest Du unterscheiden, was bei den Griechen angekommen ist und was dazu diente, europäische (und andere) Investoren und Gläubiger frei zu halten. Wenn man von den jüngsten Zahlen spricht, sollte man die "normalen" Geldflüsse zwischen EU und Mitgliedgsstaaten herausrechnen. Wenn Du von einem Grexit sprichst, solltest Du jene Summen getrennt bedenken, die nur als Garantien im Raum stehen. Das mit dem temporären Grexit zur Selbstgenesung halte ich für eine Mär, die von Einzelinteressen geschürt wird und nicht von Verfechtern einer gesunden Großwetterlage.

Mi., 01.07.2015 - 07:54 Permalink
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Martin Daniel Mi., 01.07.2015 - 19:09

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Was häufig unterschätzt wird: die Gelder wurden v.a. verwendet, um das Land liquide zu halten. Das mag neoliberal und bankentechnisch klingen, aber wie wichtig das ist/war, zeigt sich in diesen - und hoffentlich nicht noch deutlicher in den kommenden - Tagen. Europa hat 5 Jahre ein Land, das de facto pleite war, zahlungsfähig gehalten. Vielleicht war das im Nachhinein gesehen ein Fehler.

Mi., 01.07.2015 - 19:09 Permalink