Chronik | Trivelle

Nicht genug sagen Ja

86 Prozent stimmten mit ja, aber das Referendum zum Förderstopp für Öl und Gas scheitert am 50-Prozent-Quorum. Nirgendwo war die Beteiligung so niedrig wie in Südtirol.

Südtirol ist ein Vorzeigeland. Lebensqualität, BIP, Einkommen pro Kopf, Tourismus, Umweltbewusstsein – In all diesen Rankings liegt unsere Provinz im italienweiten Vergleich im Spitzenfeld, manche führt sie sogar an. Doch nach dem Referendum vom 17. April steht fest: In Sachen politischer Partizipation hat Südtirol noch einiges an Aufholbedarf. Vorweg: Das Referendum zur Einstellung der Erdöl- und -gasförderung vor den italienischen Küsten ist am 50 Prozent-Quorum gescheitert. Nur 32,15 Prozent der Abstimmungsberechtigten machten am Sonntag in ganz Italien von ihrem Recht Gebrauch. Das Ergebnis ist also, unabhängig vom Ausgang, nicht gültig. Auch wenn 86,44 Prozent Ja zum Förderstopp gesagt haben.

Bereits die niedrige Beteiligung von knapp mehr als 32 Prozent kann als demokratisches Armutszeugnis gedeutet werden. Einzig in der Basilikata wurde das 50-Prozent-Quorum erreicht (50,16 Prozent). Am absolut niedrigsten war die Beteiligung am Referendum allerdings in Südtirol. Als einzige Provinz erreichte sie nicht einmal die 20-Prozent-Marke. Nur 17,61 Prozent der Abstimmungsberechtigten ging zu den Urnen. Zum Vergleich: Im benachbarten Trentino waren es 32,39 Prozent.

Risultati ottimi”, frohlockt Ministerpräsident Matteo Renzi nach Bekanntwerden der Zahlen. Er hatte die Konzessionen für die 26 vom Referendum betroffenen Förderanlagen verlängert. Diese bleiben nun angesichts des nicht erreichten Quorums auf unbestimmte Zeit bestehen. Renzi hatte im Vorfeld des Referendums zur Nicht-Teilnahme aufgerufen und für viel Empörung gesorgt. In Südtirol scheint der Appell aus Rom für besonderen Anklang gesorgt zu haben.


Hier die Resultate der Südtiroler Gemeinden.

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pérvasion Mo., 18.04.2016 - 08:12

Befürworter und Gegner waren sich nicht einmal einig, worüber da genau abgestimmt wird...
Am allerschlimmsten fand ich, dass das Referendum eher als Abstimmung pro oder contra Renzi interpretiert wurde, sogar parteiintern im PD. Und das hohe Quorum... ist sowieso ein Relikt aus anderen Zeiten. Alles zusammen die besten Voraussetzungen für ein Scheitern.

Mo., 18.04.2016 - 08:12 Permalink
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pérvasion Mo., 18.04.2016 - 10:31

Antwort auf von Michael Schlauch

So ironisch ist das nicht. Vorausgesetzt, dass ich ein (so hohes) Quorum für anachronistisch halte, weiß bei einer Abstimmung *ohne* Quorum jede/r bescheid, dass sie/er die Entscheidung anderen überlässt, wenn sie/er nicht teilnimmt. Die Schlagzeilen beziehen sich also in beiden Fällen auf völlig unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen... während 35% in einem Fall ein Scheitern sind, sind sie es im anderen Fall eben nicht.

Mo., 18.04.2016 - 10:31 Permalink
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Michael Schlauch Mo., 18.04.2016 - 10:59

Antwort auf von pérvasion

Die Rahmenbedingungen sind im Nachspiel nicht unterschiedlich: in beiden Fällen liegt die Konsequenz komplett in den Händen der Exekutive. Rechtlich hindert nichts Penta und Renzi die Interpretationen des jeweils anderen zu übernehmen, zumal die Vorgangsweise bei Benko viel mehr Schwachpunkte (allein was die Fragestellung, Auszählung betrifft) hat als das richtige Referendum, das jetzt komplett ignoriert werden wird.

Mo., 18.04.2016 - 10:59 Permalink
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Waltraud Astner Di., 19.04.2016 - 00:27

Antwort auf von pérvasion

Wegen der derzeitigen Ausnahmesituation in Bozen und der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Kommissars kann die Befragung bzgl. des Benko- Projekts nicht als reguläres Referendum, sondern allenfalls als Meinungsumfrage vergleichbar etwa mit der eines Meinungsforschungsinstituts betrachtet werden. Auch ohne eine solche Umfrage hat der Kommissar wie gesagt alleinige Entscheidungsbefugnis, braucht also auch weder auf eine Meinungserhebung noch auf ein Referendum nach geltenden Regeln zurückgreifen. Warum sollte er auch. Die gewählten Vertreter hatten lange genug Zeit eine Stadtregierung zu bilden, haben es aber nicht geschafft den Wählerwillen umzusetzen. Aber nichtsdestotrotz, täglich müssen Entscheidungen getroffen werden. Wenn es die Stadtregierung nicht macht, dann eben der Kommissar. Wieso sollen Entscheidungen erst wieder dann getroffen werden, wenn es einen Gemeinderat gibt, das Leben geht trotzdem weiter. Bis die Stadt Bozen sich endlich bequemt zu arbeiten, fließt womöglich noch mehr Wasser die Talfer hinunter.
Was das Quorum betrifft ist zu sagen, dass es auch möglich sein muss in einer Frage nicht entscheiden zu müssen, ohne deshalb die Entscheidung an diejenigen zu übertragen, die hingehen. Wenn ich nicht hingehe, heißt das, dass ich nicht entscheiden kann oder will. Ich will aber auch nicht die Entscheidung denen überlassen, die hingehen, weil ich das denen evtl. auch nicht zutraue. Ich möchte, dass die gewählten Politiker entscheiden, ich möchte sozusagen die Entscheidungsbefugnis den Volksvertretern zurückgeben. Dazu ist eben das Quorum da. Wenn ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung der Meinung ist, dass die gewählten Volksvertreter, aus welchen Gründen auch immer, entscheiden sollen, dann ist das legitim und durch ein Quorum vorzusehen. Ansonsten müssen wir das Schweizer Modell anstreben. In diesem Modell entscheiden GRUNDSÄTZLICH jene die hingehen, was aber nur bei diesem Modell legitim ist.

Di., 19.04.2016 - 00:27 Permalink
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Michael Schlauch Di., 19.04.2016 - 00:37

Antwort auf von Waltraud Astner

Ganz richtig: eine Meinungsumfrage wie die in Bozen macht eine Entscheidung des Kommissars nicht mehr oder weniger legitimer als sie vorher schon ist, wird aber so inszeniert. Warum ist diese Inszenierung notwendig? Weil es eben an der Legitimität Zweifel gab und gibt, u.a. weil die ganze Prozedur an einem gerichtlich beanstandeten Dekret vom Ex-Bürgermeister hängt, welches die Entscheidung des letzten Gemeinderats umkehrt.

Di., 19.04.2016 - 00:37 Permalink
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Waltraud Astner Di., 19.04.2016 - 07:40

Antwort auf von Michael Schlauch

Die Legitimität des Gemeinderatsbeschlusses kann auch bezweifelt werden. Wenn ein Beschluss nur de jure und nicht de facto zustandekommt, muss angenommen werden dass der Wählerwille nicht dargestellt wird. Bei 21 Ja, 19 Nein und 3 Enthaltungen sieht jeder de facto eine Zustimmung. Kommt sie bloß aufgrund der Wahlarithmetik nicht zustande, ist das ein Grund zur Anfechtung. Der Beschluss mag rechtlich in Ordnung sein, aber wie gesagt, den Wählerwillen widerspiegelt er nicht. Und darauf wird es doch wohl ankommen.

Di., 19.04.2016 - 07:40 Permalink
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Martin Daniel Mo., 18.04.2016 - 09:29

Die Benko-Befragung hatte 35% - in 7 Tagen. Das wären dann ca. 5% am Tag. Übrigens: mit derselben Wahlbeteiligung aber weit weniger Ja-Stimmen haben die Niederländer das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine versenkt, nachdem 27 Staaten ratifiziert und ihr eigenes Parlament und Regierung zugestimmt hatten... Demokratie a la carte!
Und ja, das Referendum wurde instrumentalisiert und zweckentfremdet und die Bezeichnung "Trivellazioni" war zudem irreführend - es wird nicht (neu-) gebohrt, sondern aus bestehenden Anlagen weitergepumpt.
Auch beim Flughafenreferendum wird versucht bei der Fragestellung zu mogeln, diesmal seitens der Landesregierung - siehe gerechtfertigte Pöder-Kritik.

Mo., 18.04.2016 - 09:29 Permalink
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Stefan Troyer Mo., 18.04.2016 - 10:19

Antwort auf von Martin Daniel

Ich weiß nicht, ob es wertend gemeint ist, wenn Sie sagen, dass "nicht (neu-) gebohrt, sondern aus bestehenden Anlagen weitergepumpt" wird. Ein großes Argument für ein Nein oder die Enthaltung (bei uns ja leider gleichbedeutend...) war jedenfalls, dass "getätigte Investitionen geschützt werden müssen".
Ich frage mich, ob dies auf Wasserkraftwerke nicht zutrifft, wo auch für mittlere Ableitungen unter 3 MW nach Ablauf der Konzession dieselbe neuerdings nicht neu ausgeschrieben und eventuell auch nicht neu vergeben werden kann, womit die Anlage stillgelegt wird... oder haben Bohrplattformen eine so schlechte Rendite, dass sie nicht innerhalb einer Konzessionsdauer abbezahlt werden können?

Mo., 18.04.2016 - 10:19 Permalink
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Stefan Troyer Mo., 18.04.2016 - 10:21

Antwort auf von Stefan Troyer

Uiuiui, was für ein Kuddelmuddel... der Satz soll natürlich lauten:
"[...], wo auch für mittlere Ableitungen unter 3 MW nach Ablauf der Konzession dieselbe neuerdings neu ausgeschrieben und eventuell auch nicht neu vergeben werden kann, womit die Anlage stillgelegt wird..."

Mo., 18.04.2016 - 10:21 Permalink
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Martin Daniel Mo., 18.04.2016 - 18:23

Antwort auf von Stefan Troyer

Nein, nicht wertend gemeint. Es geht mir nur darum, dass immer vom "Stop der Ölbohrungen" geredet wurde (ich selbst glaubte bis kurz vor dem Wahltermin, dass es - auch - um neue Erschließungen ginge), während die Bohrungen zur Erschließung der Felder mitsamt ihren Eingriffen in den Meeresboden vor Jahrzehnten gemacht wurden und es hauptsächlich um die Fortführung laufender Gasförderungen geht. So verlieren Umweltaktionen leider an Glaubwürdigkeit.
Ich teile Ihre Meinung, dass die Konzessionen selbstverständlich ausgeschrieben werden müssen und wundere mich, dass die EU bisher nicht eingeschritten ist, anders als bspw. bei den Autobahnkonzessionen. Der freie Wettbewerb war doch stets etwas vom Heiligsten der europäischen Integration...

Mo., 18.04.2016 - 18:23 Permalink
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Martin Daniel Mo., 18.04.2016 - 18:31

Antwort auf von Martin Daniel

... und natürlich können, sollen Anlagen auch stillgelegt werden, wenn Italien andere (saubere) Energiequellen zu erschließen vermag. Ob das auch dann sinnvoll ist, wenn dafür von Putin und den Saudis Öl eingekauft und per Tanker ins Land gebracht werden muss, weil die Umstellung bzw. eine Reduzierung des Energiebedarfs nicht zeitnah möglich ist, ist eine andere Frage. Südtiroler Fernheizwerke werden auch mit Gas betrieben.

Mo., 18.04.2016 - 18:31 Permalink
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Massimo Mollica Mo., 18.04.2016 - 10:22

Antwort auf von Michael Schlauch

Grazie mille per il contributo! Io credo che non se ne sia parlato abbastanza. E credo anche che il SOFTWARE LIBERO sia la soluzione. Del resto le operazioni bancarie le faccio tutte online, non sarà infallibile ma una certa sicurezza l'avrà, no?

Mo., 18.04.2016 - 10:22 Permalink
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Sepp.Bacher Mo., 18.04.2016 - 10:33

Abgesehen, dass bei uns keine wirkliche Information und Auseinandersetzung stattfand, ist das 50-Prozent-Quorum einfach unrealistisch! Zu Zeiten wo der Bürgermeister von Bozen oder der amerikanische Präsident nur mit einer rund 40 %-igen Beteiligung gewählt werden/wurden!
Nun wäre es Aufgabe der Südtiroler Parlamentarier, speziell jener der SVP, die so einen guten Draht zu Renzi haben, eine neues Italien-weites Gesetz zur direkten Demokratie mit Reformen auf die Wege zu bringen. Seit den 1970-ger-Jahren hat kein Referendum mehr, die 50%-Hürde geschafft!

Mo., 18.04.2016 - 10:33 Permalink
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Christian Mair Mo., 18.04.2016 - 10:56

"l'Italia ha investito più di 300 milioni di euro in un voto serio, che è però stato attaccato apertamente e minato dai suoi principali capofila politici. Quasi 20 milioni di italiani hanno diligentemente esercitato il diritto di voto, pur sapendo che questo sarebbe probabilmente stato annullato. È ora di svegliarsi, Bella Italia, e di abolire questo quorum, che mette in questione la vostra democrazia, potenzialmente molto vibrante. " (Bruno KAufmann)(http://www.swissinfo.ch/democraziadiretta/punto-di-vista_come-la-maledi…)

Mo., 18.04.2016 - 10:56 Permalink
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Thomas Benedikter Mo., 18.04.2016 - 23:24

Das Quorum hat sich wie üblich als "ammazzareferendum" erwiesen, die ganze Veranstaltung war wie die meisten italienweiten Volksabstimmungen seit 1997 (Ausnahme: die Volksabstimmung zur Atomkraft) vergeblich. Nicht das mangelnde Interesse der Bürger (32% sind für eine energiepolitisches Problem, das bei weitem nicht alle Regionen direkt berührt, gar nicht schlecht) hat zum Scheitern am Quorum geführt, sondern der durchs Quorum ermöglichte Boykottaufruf Renzis und des PD. Dazu kommt der Mangel der echten Volksinitiative in Italien. Das abschaffende Referendum kann die Volksinitiative nie und nimmer ersetzen. Nur mit dieser könnten die Bürger beispielweise einen seriösen nationalen Energieplan einfordern zwecks rascherem Umstieg auf erneuerbare Energien. Renzi geht in der Energiepolitik wie in der Haltung zur Bürgerbeteiligung den falschen Weg. In seiner Verfassungsreform wird das Quorum nur dann gesenkt (auf 50% der Beteiligung bei den jeweils vorangegangenen Parlamentswahlen), wenn 800.000 Unterschriften gesammelt werden. Das macht diese Art von Referendum für die Bürger überhaupt nicht interessanter. Das Quorum muss endlich fallen, doch gibt es in Italien auch keine Volksinitiative für Verfassungsänderungen.

Mo., 18.04.2016 - 23:24 Permalink
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Thomas Benedikter Di., 26.04.2016 - 09:15

Dank dem Sandro BX für den Hinweis auf die neuen Vorhaben, abrogative Referenden zu lancieren. Tatsächlich eine Reihe interessanter und wichtiger Themen, die Renzis neoliberale Linie einbremsen könnten.
Doch haben die meisten Themen von ihrer Mobilisierungskraft her, eine geringe Chance, das Quorum von 50% zu schaffen. Das ist unrealistisch, wie Sepp Bacher zu Recht schreibt, und vor allem auch ungerecht. Somit müsste zuallererst das Quorum weg, bevor man sich die Riesenmühe der Unterschriftensammlung und Referendumskampagne antut. Was in dieser Hinsicht fehlt ist die Verfassungsinitiative, das Volk müsste per Volksabstimmung Artikel der Verfassung abändern können.
Wie geschrieben, hat Renzi dies hinsichtlich des Quorums bereits getan, aber völlig unzureichend (Senkung des Quorums auf 50% der Beteiligung bei den letzten Parlamentswahlen, sofern die gesammelten Unterschriften mindestens bei 800.000 liegen). Eigentlich eine Schikane, eine neue Ungerechtigkeit: denn, wenn es Sinn macht, dass nur die Hälfte der Wählerschaft einer Referendumsentscheidung Legitimation verleihen, warum dann die Erhöhung der erforderlichen Unterschriftenzahl? Ein weiterer guter Grund beim bestätigenden Verfassungsreferendum vom Herbst 2016 gegen die Renzi-Reform zu stimmen. Noch eine schlechte Nachricht: am 20. April 2016 hat die Kammer einen Volksinitiativgesetzentwurf zur Wasserwirtschaft gebilligt, der so entstellt wurde, dass jetzt wieder die Privatisierung des Wassers ermöglicht wird, im krasser Verletzung des Ergebnisses des Volksentscheids von 2011. Eine weitere Lücke im Gesetz: man kann sogar Referendumsentscheidungen auf diese Weise einfach unterlaufen.
Fazit: all diese Referendumsinitiativen für direkte Demokratie müssten zusammenfinden, um zunächst Verfassungsänderungen zur Reform des Referendums durchzusetzen.

Di., 26.04.2016 - 09:15 Permalink