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Brain-Drain in Italien

Neben diversen ost- und südeuropäischen EU-Ländern ist auch Italien von der Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte stark betroffen.
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Brain-Drain bedeutet Abwanderung von hochqualifizieren Arbeitskräften und Wissenschaftlern ins Ausland, das Gegenteil davon ist Brain-Gain. In den vergangenen Jahrzehnten, vor allem aber seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 kam es zu starken Abwanderungen von hochqualifizieren Fachkräften aus ost- und südeuropäischen Ländern in wirtschaftlich stärkere EU-Länder und Nicht-EU-Länder, wo es bessere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten gibt. Länder wie Rumänien, Polen, Griechenland, Portugal, Spanien und Italien sind besonders stark von Brain-Drain betroffen.

Der Verlust junger hochqualifizierter Arbeitskräfte stellt ein großes Problem für die betroffenen Länder und auch für die EU dar und steht deshalb ganz oben auf der Agenda der EU. Um die Abwanderung zu stoppen, sollen unter anderem EU-Forschungsmittel in den einzelnen EU-Ländern fairer verteilt werden. „Es gibt keine schnelle Lösung dieses Problems“, wie Jean-Eric Paquet von der Generaldirektion Forschung der EU-Kommission und Bernd Rech vom deutschen Helmholtz Zentrum anmerken, „mittel- bis längerfristig müsste das Ziel sein die Attraktivität von Forschung und Entwicklung gleichmäßiger in den EU-Ländern zu verteilen und einen ausgewogeneren Austausch von Hochqualifizierten innerhalb der EU mit entsprechender Vernetzung und Kooperation zu erreichen, um in Europa Spitzenforschung zu ermöglichen“.

 

Brain Drain in Italien

Kein anderes G7-Land leidet so stark unter der Abwanderung von Fachkräften wie Italien. Besonders nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 ist es zu einem Exodus von jungen hochqualifizierten Menschen mit Universitätsabschluss, sowie von Wissenschaftlern und Forschern ins Ausland gekommen. Zielländer waren das Vereinigte Königreich*, Deutschland, die Schweiz, Frankreich, aber auch außereuropäische Länder, wie Brasilien, die USA und Australien, wo es einerseits entsprechende Arbeitsmöglichkeiten und attraktivere Verdienstmöglichkeiten gibt und die andererseits mehr und interessantere Forschungs-Möglichkeiten bieten.

Brain-Drain ist nicht nur aus sozialer, kultureller, sondern vor allem auch aus wirtschaftlicher Sicht ein großer Verlust. Von den öffentlichen Mitteln, die in die Bildung der hochqualifizierten Emigranten investiert wurden, profitiert nicht Italien, sondern andere Länder. Für eine hohe Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist das Humankapital einer Volkswirtschaft entscheidend. In Italien liegt der Anteil junger Menschen im Alter von 25 bis 34 Jahren mit Universitätsabschluss mit 29,8% weit unter dem EU-Durchschnitt von 40,5%, was die Abwanderung von jungen Menschen mit Hochschulabschluss noch dramatischer macht.

Laut italienischer nationaler Statistikbehörde (ISTAT) haben zwischen 2010 und 2019 insgesamt 899.000 Italiener das Land verlassen**, 208.000 oder 23% davon hatten einen Hochschulabschluss. Nicht nur die Regionen im Süden sind von der Abwanderung betroffen, sondern immer mehr Menschen aus den wirtschaftlich stärkeren Regionen im Norden verlassen Italien.

Die italienischen Regierungen haben diverse Maßnahmen gesetzt, um den Abfluss von hoch qualifizierten Fachkräften aufzuhalten und italienische Fachkräfte, die im Ausland arbeiten, zur Rückkehr zu bewegen***, indem sie versuchten den Arbeitsmarkt effizienter und Forschungsstellen leichter zugänglich zu machen. Doch der italienische Arbeitsmarkt stagniert und die Jugendarbeitslosigkeit ist nach Griechenland und Spanien am höchsten in der EU. Laut neuesten Zahlen der ISTAT lag die Jugendarbeitslosenrate im April 2021 bei 33,7%.

Bei der Entscheidung, das Land zu verlassen, geht es neben fehlenden Arbeitsmöglichkeiten und schlechter Bezahlung vor allem um die wachsende Überzeugung unter den hochqualifizierten jungen Menschen, dass Italien kein Land ist, in dem gut ausgebildete und ehrgeizige Menschen ein erfolgreiches Leben aufbauen können. Junge Italiener mit bester Ausbildung und exzellentem Curriculum haben Erfolg in vielen ausländischen Unternehmen und internationalen Organisationen/Institutionen, das sind alles wertvolle Talente, die dem Land verlorengehen und auf die Dauer die Wettbewerbsfähigkeit des Landes schwächen.

 

Italiens Ausgaben für Forschung und Entwicklung

Vergleicht man die Ausgaben von Forschung und Entwicklung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), in den EU-Ländern, so liegt Italien unter dem EU-Durchschnitt und gibt wesentlich weniger für Forschung und Entwicklung aus, als die anderen großen EU-Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich und die Niederlande, nur Spanien weist noch niedrigere Werte auf, als Italien. 2018 gaben die EU-Länder im Durchschnitt 2,19% Ihres BIP für Forschung und Entwicklung aus, in Italien waren es nur 1,39%.  Verglichen mit 2008 sind die Ausgaben zwar etwas gestiegen, doch Italien, obwohl es nach Deutschland und Frankreich die dritt-größte Volkswirtschaft in der EU ist, rangiert erst an 12. Stelle, selbst Länder, wie Slowenien, Tschechien und Ungarn haben Italien überholt.

 

Gibt es Lösungen?

Italien hat viele große Herausforderungen zu bewältigen. Neben einer enormen Staatsverschuldung****stehen viele andere große Probleme an, um die seit Jahren stagnierende und durch die COVID-Pandemie stark betroffene Wirtschaft anzukurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Eines davon ist die Senkung der hohen Jugendarbeitslosigkeit und die Schaffung von adäquaten Arbeitsplätzen, um die Abwanderung hochqualifizierter junger Menschen zu stoppen.

Um die Gelder aus dem EU-COVID-Wiederaufbaufonds zu erhalten, mussten die einzelnen EU-Länder einen Investitionsplan (Recovery Plan) vorlegen. Italien erhält mit über 191 Milliarden Euro am meisten von allen EU-Ländern. Der italienische Investitionsplan PNRR (Piano nazionale di ripresa e resilienza) inkludiert 6 Haupt-Investitionsbereiche*****, darunter auch ein Investitionsvolumen von über 30 Milliarden Euro für Bildung und Forschung. Ministerpräsident Draghi hat angekündigt, dass diese Investitionen unter anderem auch dafür verwendet werden, „um junge und weniger junge hochqualifizierte Italiener aus dem Ausland zurückzuholen“. Bleibt zu hoffen, dass die entsprechenden Investitionen und Maßnahmen erfolgreich sind. 

 

*Wegen der strikten Brexit-Bestimmungen wird es in Zukunft voraussichtlich weniger Abwanderung ins Vereinigte Königreich geben.

** Im selben Zeitraum sind laut ISTAT 372.000 Italiener, die im Ausland lebten, nach Italien zurückgekehrt.

*** Um Italiener, die im Ausland arbeiten, zur Rückkehr zu bewegen, werden zum Beispiel durch entsprechende Gesetze Steuererleichterungen gewährt.

**** Laut ISTAT betrugen Italiens Staatsschulden im Jahr 2020 2.572 Milliarden Euro, das sind 155,6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

***** die 6 Investitions­-Bereiche des PNRR:

- Digitalizzazione, innovazione, competitività e cultura

- Rivoluzione verde e transizione ecologica

- Infrastrutture per mobilità sostenibile e interconnessa

- Istruzione e ricerca

- Politiche attive del lavoro e della formazione, inclusione sociale e coesione territoriale

- Salute