Roma
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Politik | Gemeindewahl

Der Kampf um Rom

Die Bürgermeisterin pflastert im Eiltempo die Strassen.

Für den prominenten römischen Rechtsprofessor und Leitartikler Sabino Cassese benötigt Italiens Hauptstadt angesichts ihres desolaten Zustands keine Bürgermeisterin, sondern eine Kur ganz anderer Art : "Nello stato in cui versa, alla città servirebbero tre generali di corpo armato delle tre forze, a cui affidare la città per i prossimi 10 anni." Und in Anspielung an die Impfkampagne präzisiert er noch: "Tre Figliuolo. Serve una cura radicale." Der Forderung nach einer Radikalkur für ihre Stadt widersprechen nur wenige Römer. Darüber, wie diese aussehen soll, gehen die Meinungen freilich weit auseinander.

Notorisch überfüllte Mülltonnen, reparaturbedürftige Busse, die Feuer fangen, U-Bahn-Haltestellen, die über Monate wegen Arbeiten geschlossen sind, Verwahrlosung auch in Strassen wie der einst eleganten Via Veneto - die Aufzählung der Übel umfasst eine lange Liste. Jüngster Eklat: eine Wildschweinfamilie auf Nahrungssuche in der Innenstadt der Metropole, wo der Müll um nicht entleerte Container reichlich Nahrung bietet. Die TV-Bilder gingen um die Welt und offenbarten den desolaten Zustand der italienischen Hauptstadt.

 

 

Das Müllproblem ist freilich uralt - seit sich Beppe Grillo bereits vor mehreren Jahrzehnten dem Bau einer Müllverbrennungsanlage vehement widersetzte und eine Deponie ausserhalb der Stadt verhindert wurde. Die Liste der Kritiken an der Bürgermeisterin ist lang: verwahrloste Grünanlagen, gefährliche Schlaglöcher, zunehmende Kriminalität, Drogenhandel auf offener Strasse auch im Touristenviertel Trastevere, Belästigung durch Nahrung suchende Möwen.

Raggi wehrt sich gegen die massiven Kritiken: "Ho la coscienza a posto. Lavoro dalla mattina alla sera. Ho lottato per la legalità e vado avanti.

Seit einigen Wochen hat sich das Bild der römischen Innenstadt freilich verändert. Die Piazza Venezia, der grosse Platz vor dem protzigen Altare della patria, auf dem schon Mussolini seine Brandreden hielt, ist frisch gepflastert. Die vielen Schlaglöcher, die Autofahrer fluchen liessen, sind verschwunden. In ihrem Programm strade nuove seien 574.000 Kilometer frisch asphaltiert worden, frohlockt die Bürgermeisterin. "Raggi hat mehr Strassen gebaut als die alten Römer, so einer der M5S-Gemeinderäte. Die Bürgermeisterin der Hauptstadt hat es beim Urnengang mit drei männlichen Konkurrenten zu tun. Einer davon ist der Anwalt Enrico Michetti, ein populistischer Sprücheklopfer, der durch seine täglichen Auftritte im Privatsender Radio Radio bekannt wurde: "Loro sono la politica, io il nuovo". Er wurde dem Rechtsbündnis von Giorgia Melloni aufgezwungen. In (bisher wenig aufschlussreichen) Umfragen liegt er bei 32 Prozent.

Die Übel der Hauptstadt sind also bestens bekannt. Das mag der Grund dafür sein, dass bei der Gemeindewahl mit 1872 Kandidaten ein neuer, surrealer Rekord erzielt wurde.

Dessen schärfster Widersacher ist der Ex-Finanzminister Roberto Gualtieri, ehemaliger Professor an der Universität Rom, Autor zahlreicher Bücher und profunder Kenner deutscher Kultur. In Umfragen liegt er bei knapp 30 Prozent. Ditter unter den ernstzunehmenden Bewerbern um den Einzug ins Kapitol ist Carlo Calenda, Gründer der Partei Azione und ehemaliger Europarlamentarier. In Umfragen liegt er bei 14 Prozent. Dass einer der Bewerber im ersten Wahlgang eine regierungsfähige Mehrheit erzielt, gilt als ausgeschlossen. Entscheidend dürfte daher die Stichwahl sein, bei der Gualtieri gute Chancen eingeräumt werden. Raggi muss dagegen auf ein Wunder hoffen - und auf weitere, neu gepflasterte Strassen. Roms Tageszeitung Il Messaggero schlägt mit Blick auf die Gemeindewahlen Alarm: "La città e nei guai, il suo letargo è durato troppo e quando il gatto dorme, si sa, i topi, i gabbiani e i cinghiali ballano."

Die Übel der Hauptstadt sind also bestens bekannt. Das mag der Grund dafür sein, dass bei der Gemeindewahl mit 1872 Kandidaten ein neuer, surrealer Rekord erzielt wurde.