Politik | Autonomie

Das Glacis der restaurativen Autonomie

Wir erleben den Schwenk von der Territorialautonomie zurück zur (nein, nicht zur ethnischen, sondern zur) historischen Autonomie. Restaurative Autonomie nenne ich sie.

Kürzlich konnten wir lesen, wie unser Landeshauptmann den Begriff der Territorialautonomie, an den sich so manche, identitätsstiftende Hoffnungen klammerten, zu relativieren beginnt. Gepaart mit ein paar Aussagen zum Proporz im dritten Statut, könnte man dies als Bekenntnis zur ethnischen Autonomie werten. Ins Bild passt da auch die Offenheit gegenüber den ladinischen Gemeinden im Belluno, Anpezo, Col und Fodom.

Hört man aber etwas genauer hin, ist der ethnische Aspekt in diesem neuen Gedankengebäude aber gar nicht vordergründig, vielleicht sogar überwunden. Vielmehr definiert sich das Autonomiebedürfnis (finanzielle Aspekte bewusst ausgeklammert) über die Restauration des historischen Territoriums.

Als die Gemeinde Voltago Agordino per Referendum um Anschluss ans Trentino bittet, werden die Südtiroler Politiker, die ja bekanntlich in der Mehrheit die gemeinsame Region mit dem Trentino auflösen möchten, sofort klar in ihrer Position: Zimmerhofer:  hier gibt es keine historischen Gründe. Leitner: markanter Unterschied zu den ladinischen Belluneser Gemeinden, die einmal zu Tirol gehörten. Und in friedlichem Einklang auch der Steger von der SVP: Gemeinde Voltago Agordino hat nie unserer Region angehört.

Letzter spricht etwas unsensibel und trotz Kritik wiederholt den Voltagern jegliches sprachliches Minderheitenrecht ab. Von ethnischer Minderheit hatte ja auch nie jemand etwas behauptet. LH Arno Kompatscher fasst es in der Pressemeldung dann auch für jeden verständlich zusammen:

Man dürfe nicht den Fehler machen, die Autonomie als reine Territorialautonomie zu sehen, warnte LH Arno Kompatscher, ansonsten könnte man alle mit ins Boot nehmen. Die SVP als Regierungspartei stimme nur für die Angliederung jener Gemeinden, mit denen es historische Verbindungen gebe. Den anderen Gemeinden gelte unsere Unterstützung und Solidarität, auch im Kampf um mehr Autonomie. Die Solidarität drücke sich auch in Finanzleistungen im Rahmen des Mailänder Abkommens aus.

Hat wohl zu heißen, hätte sich die Solidarität mit den Grenzfonds erschöpft. Und dann der krönende Satz Kompatschers:

„Davon abgesehen müsse die Südtiroler Autonomie eine Südtiroler Autonomie bleiben.“

Das verstehe jetzt wer wolle. Wenn sich die historischen, aber italienischen Gemeinden Valvestino, Magasa oder Pedemonte ans Trentino anschließen, dann geht das der Südtiroler Autonomie gut, wenn es das teils-ladinische Voltago tut, dann wäre letztere gefährdet? Also wird der Grenzfond wie ein Glacis aufgeschüttet zur Verteidigung der restaurativen Autonomie. Die Burgmauern werden aber höchstens bei historischen Territorien versetzt. Um ethnische Minderheiten oder auch die um Sprachminderheiten zwischen Asiago und Sappada/Plodn geht es in diesem Unterfangen offensichtlich nicht. Geht’s also doch nur um die, sie sich den Kaiser wieder ersehnen?

Das Glacis der 48 Grenzgemeinden

Erwähnenswert noch der Einklang mit dem Trentino, dessen Landtag nun Voltagos Antrag ebenso abgelehnt hat. Dass sich auch die Trentiner ein restauratives Gewand übergezogen haben, ist auch in Belluno nicht unbeobachtet geblieben:

«Il no di Trento non mi meraviglia per niente», spiega Danilo Marmolada del Bard, «quando avevano detto il sì condizionato a Taibon c'era Dellai che aveva vedute molto più aperte di Rossi».

Letzterer klärt seine Position:

Il presidente Rossi ha spiegato che la linea, decisa di comune accordo con l'Alto Adige, è quella di sostenere le rivendicazioni della provincia di Belluno nei confronti del Veneto. Sul piano della riforma costituzionale Rossi ha ricordato di aver fatto pressione, con Kompatscher, per spingere le regioni ordinarie ad utilizzare il terzo comma dell'articolo 116 della Costituzione che prevede la richiesta di deleghe allo Stato. Con la legge Delrio si parla già di una possibile autonomia per le province di Sondrio e Belluno. 

Und von welchem Erfolg das gekrönt ist, konnten wir diese Woche bereits in Belluno e Sondrio: stoppata la ‘miniautonomia’ lesen. SVP und PATT scheinen da konsistent zu handeln. Ob die Verweigerer Kronbichler und Gnecchi für ihr konträres Stimmverhalten noch eine vernünftige Erklärung bringen werden, steht in den Sternen. Ihnen haben wir es zu verdanken, wenn in der Nachbarprovinz über uns behauptet wird:

Trentini e bolzanini continuano a tenersi stretti la loro autonomia con la complicità sempre più manifesta del Governo e del centrosinistra. […] Mi fa poi sorridere come in Trentino-Alto Adige si continui a parlare con semplicità imbarazzante di “minoranze etniche”, di “lingua”, di “tradizioni peculiari” come se vivessimo in due galassie parallele.

Wir leben in einer Galaxie, die sich über Bilaterismus mit Rom definiert. Schließlich orientiert sich die restaurative Autonomie alleine an Rom und an der Historie.

Bild
Profil für Benutzer Willy Pöder
Willy Pöder So., 08.02.2015 - 05:56

In obigem Bericht wird Präsident Kompatscher u. a. zitiert: "Die Solidarität drücke sich auch in Finanzleistungen im Rahmen des Mailänder Abkommens aus. Demnach bedarf auch die 'Sextner Dolomiten AG' dieser Solidarität, denn in ihre Kassen flossen Gelder aus dem 'Fondo Brancher', dank Durnwalders und dessen Nachfolgers. Konkret in den Genuss kommen sollte u. a. eigentlich die Gemeinde Comelico Superiore und speziell deren Fraktion Padola. Was nicht ist, kann ja noch werden. Derweil, so haben wir neulich im Film gesehen, ermittelt dort - also jenseits des Kreuzbergpasses auf Territorium der Provinz Belluno - die "Kripo Bozen". Natürlich nicht in Sachen 'Mailänder-Abkommen/Fondo Brancher', sondern in einem viel weniger aufregenden filmischen Mordfall. Wann's ums Geld geht, spricht man weder von ethnischen und noch von territorialen Grenzen. Es lautet und zählt allein das Kommando Zugriff!

So., 08.02.2015 - 05:56 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Willy Pöder
Willy Pöder So., 08.02.2015 - 05:57

In obigem Bericht wird Präsident Kompatscher u. a. zitiert: "Die Solidarität drücke sich auch in Finanzleistungen im Rahmen des Mailänder Abkommens aus". Demnach bedarf auch die 'Sextner Dolomiten AG' dieser Solidarität, denn in ihre Kassen flossen Gelder aus dem 'Fondo Brancher', dank Durnwalders und dessen Nachfolgers. Konkret in den Genuss kommen sollte u. a. eigentlich die Gemeinde Comelico Superiore und speziell deren Fraktion Padola. Was nicht ist, kann ja noch werden. Derweil, so haben wir neulich im Film gesehen, ermittelt dort - also jenseits des Kreuzbergpasses auf Territorium der Provinz Belluno - die "Kripo Bozen". Natürlich nicht in Sachen 'Mailänder-Abkommen/Fondo Brancher', sondern in einem viel weniger aufregenden filmischen Mordfall. Wann's ums Geld geht, spricht man weder von ethnischen und noch von territorialen Grenzen. Es lautet und zählt allein das Kommando Zugriff!

So., 08.02.2015 - 05:57 Permalink