Kultur | Salto Weekend

Ihre Bilder, ihre Worte

Das Bild, das wir von Flüchtlingen haben - metaphorisch wie fotografisch - bestimmen  diese fast nie selbst. Eine Ausstellung im Frauenmuseum Meran ändert das konkret.
I’m leaving after 4 years inside the camp: Ich bin Sariya und das ist mein Pass. Jeder Strich den ich gezogen habe, steht für eine Woche Leben im Flüchtlingslager. Ich habe vier Jahre meines Lebens versäumt: Jetzt darf ich gehen.
Foto: Sariya Wakili
Das Flüchtlingslager Diavata, in einem nördlich gelegenen Industrievorort Thessalonikis unter Militärführung hat, wie es die gebürtige Meranerin Elisa Reiterer bei der Ausstellungseröffnung am Freitagabend beschrieb „den Charme von Baukarton mit Beton und Stacheldraht außen herum“. Die gebürtige Meranerin traf dort auf Reisen den fotografischen Autodidakten Mattia Bidoli, den sein soziales Engagement - ursprünglich als Straßenmagier - dort hin führte. Im Lager Diavata gründete Bidoli eine „Photography School“ für junge Frauen und Mädchen. Es sind deren Bilder (von Konzept, Pose, Model, über das Fotografieren bis hin zur Nachbearbeitung) welche wir in Meran, in einer Auswahl von 50 Stück sehen. Bidoli war Wegbereiter, stellte Kameras zur Verfügung, führte in deren Gebrauch ein und gab Ratschläge.
Den Druck der Bilder haben die Stadt Palmanova und der Circolo Fotografico Palmarino gesponsert, die Gemeinde Meran und der Südtiroler Club Alpbach, sowie das Forum Alpbach Network bekundeten bei der Vernissage ihre Freude, dass die Bilder nach Südtirol gekommen sind und die Hoffnung, dass sie nach dem 12. März nach Tirol und Wien weiter reisen werden.
Ergänzt werden die Bilder durch ein, zwei Sätze der 16 bis 28-jährigen Geflüchteten und einen Titel, beide sind vor Ort über einen QR-Code Reader zugänglich. Wessen technische Kompetenzen oder Gegebenheiten das übersteigt sei beruhigt: Die Fotos in „Sie nahmen uns die Stimme. Also erzählen wir unsere Geschichte durch Bilder.“ sprechen bereits für sich eine starke Sprache. Sollte es einem aber möglich sein, so lohnt es sich auf jeden Fall den eigenen Besuch digital um die Stimmen der Protagonistinnen zu erweitern.
 
 
Wir begegnen Mädchen und jungen Frauen, welche sich über den Zugang der Kunst mit ihren Ängsten, Traumata und Vergangenheit, ihrer gegenwärtigen Situation, aber auch ihren Wünschen und Träumen konfrontieren. Dabei sind einige der Bilder kraftvoll aufrüttelnd, verstören in der Intimität in welcher sie auf persönliche Schicksale der jungen Frauen verweisen, von welchen nicht wenige mit sexualisierter Gewalt oder Zwangsehe in Berührung gekommen sind. Die Bilder sind professionell, doch nicht spießig, legen trotz Hochglanz und großer Klarheit nicht eine Tendenz zur Metapher bei schweren Themen, oder auch zum Spiel ab, was erfrischend und berührend ist. Zum Teil zeigen sich die Frauen selbstbewusst, treten uns offen und mit einer Botschaft des „Empowerments“, der Selbstbefähigung und -bekräftigung also, gegenüber, zum Teil auch, was ebenso großer Stärke bedarf mit Gesten der Verletzbarkeit und des Schmerzes.
 
 
In vielen Bildern findet auch eine Auseinandersetzung mit Burqa und Hijab statt. Die, wie die Realitäten und Kulturen im Flüchtlingslager vielfältige Ausstellung bezieht hier nicht Position, sie zeigt individuelle Einstellungen zu verschiedenen Formen des Kopftuchs: Von Hosnia Sadat, welche in „But her fly“ den Moment einfängt in welchem sie zum ersten Mal ihren Schleier (mit Schmetterlingen) abnimmt und ihn im Wind flattern lässt, bis zu Zohre Mussakhan, welche im Text zu „Freedom is not free“ prägnante Worte findet: „Den Schleier (im Bild eine Burqa) tragen zu müssen bedeutet Gefängnis, wenn man ihn nicht tragen will. Aber gezwungen zu werden, den Schleier abzunehmen ist ein neues Gefängnis.“ Dass Kleidung identitätsstiftend sein kann verdeutlicht auch ein Beitrag der Hazara Zeinab, welche, in der Tür des Containers mit Stolz ihre Tracht zeigt, die sie auf ihre Flucht mitnahm. In Bezug auf diese schließt sie mit dem Satz: „Vielleicht werden wir in Afghanistan verfolgt weil man neidisch auf uns ist.“
 
 
Im Titelbild dieses Artikels „I’m leaving after 4 years inside the camp“ zeigt Sariya Wakili uns stolz ihren Pass. Am Container hinter ihr, in welchem sie die letzten vier Jahre verbracht hatte, in blauer Farbe ein Strich für jede Woche des Aufenthalts. Der Ort - ein Zwischen- oder Nicht-Ort von vielen der Frauen als Gefängnis oder Nirgendwo beschrieben - wird in diesem und in weiteren Bildern fast so greifbar, wie die starken Protagonistinnen. Ein Zuhause ist dieser Ort nicht, auch wenn sich Versuche finden, ihn zu einem solchen zu machen: Bemalte Container und auch „Stay Home“ von Masoumeh Tajik, welche einige der stärksten und mit zwölf Bildern die meisten Werke beigesteuert hat: Im provisorischen Zelt sitzend hält sie ein Pappschild in die Kamera auf dem der Aufruf zuhause zu bleiben steht, den wir zu Beginn der Corona-Pandemie vielfach in sozialen Netzwerken gelesen haben. Es ist das einzige Bild auf welchem Covid, wenngleich indirekt vorkommt. Was „Stay home“ allerdings macht, ist an einem Ort, der von der Zeit im Rest der Welt abgeschnitten ist (man vergleiche auch mit einem anderen Bild Tajiks „Time“, wenn man die Ausstellung besucht), uns einen Orientierungspunkt zu geben.
 
 
Durch die Ausstellung hinweg macht man es sich nicht einfach, sucht keine Abkürzung zu einem gemeinsamen Bild, wie es zum Teil in den Medien gezeichnet werden würde. Die Abwesenheit der Künstlerinnen war am Abend spürbar, die ausgestellten Fotografinnen sind mittlerweile zwar alle fort aus dem Lager, aber auch noch nicht ganz in Europa aufgenommen worden. Sie warten in verschiedenen EU-Ländern, die meisten in Deutschland, auf ihren Asylbescheid und dürfen bis zu diesem Zeitpunkt das Land nicht verlassen, auch wenn sie gerne zur Vernissage gekommen wären.
Das letzte Wort ließ Elisa Reiterer dreien der Fotografinnen, welche dieser Statements mit nach Meran gaben und auch wir wollen mit einem von diesen, mit Erlaubnis von Masoumeh Tajik, enden:
 
„We went through very hard days to get here. Behind each of these photos are stories that are a part of our life. These are pains, wounds, and words that we wanted to say, but could not and were not allowed to say. We are some girls who found a tool called camera, to say all our unsaid things. Because they said in our ears since we were children: shush, keep quiet, don't scream, girls should be silent. Girls belong in the kitchen. You can not do anything. They always turn us off. They cut our feet so that we could not walk. But we are not a toy to be played with. We are human beings who only want freedom. Our name is not a refugee. We have names. We are some girls who were forced to leave our country and we have to stay in the refugee camp. we are human like you.“
-Masoumeh Tajik
 
Übersetzung des Redakteurs:
„Wir haben harte Tage durchgemacht, um hier anzukommen. Hinter jedem dieser Fotos stecken Geschichten, die Teil unseres Lebens sind. Diese sind Schmerz, Wunden und unausgesprochene Worte, die wir sagen wollten, aber nicht sagen konnten, nicht sagen durften. Wir sind ein paar Mädchen, die ein Mittel namens Kamera gefunden haben um unsere unausgesprochenen Dinge zu sagen. Denn seit wir Kinder waren, haben sie uns ins Ohr gesprochen: „Psst, sei ruhig, schrei nicht, Mädchen sollten still sein. Mädchen gehören in die Küche. Du darfst nichts tun.“ Sie stellen uns immer ab. Sie haben uns in die Füße geschnitten, damit wir nicht gehen können. Aber wir sind keine Spielsachen mit welchen man spielen kann. Wir sind Menschen, die nur ihre Freiheit wollen. Unser Name ist nicht „ein Flüchtling“. Wir haben Namen. Wir sind ein paar Mädchen, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen und in einem Flüchtlingslager zu bleiben. Wir sind Menschen wie du.“