Politik | Staatl. Referendum

Direkte Demokratie: so lieber nicht

Das staatsweite Referendum am Sonntag könnte wieder einmal scheitern. Als Instrument direkter Mitbestimmung wird es damit diskreditiert. Wie konnte es soweit kommen?
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Am kommenden Sonntag sind 46 Millionen Wahlberechtigte in Italien aufgerufen, über die Abschaffung von 5 Gesetzesartikel an der Urne abzustimmen. Laut Umfragen wird es die deutliche Mehrheit der Italiener eher bleiben lassen. Wieder einmal wird das Beteiligungsquorum von 50% dafür sorgen, dass die Gültigkeit verhindert wird und der ganz Aufwand umsonst war. Damit wird das Referendum als Instrument direkter Mitbestimmung der Bürger immer mehr diskreditiert. Wie konnte es soweit kommen?

Zunächst die unzureichende Information. Seit der Einführung des Referendums 1974 hat sich der Staat nie verpflichtet gefühlt, verständlich und zeitgemäß über die anstehenden Abstimmungen inhaltlich zu informieren. Eine offizielle Webseite mit sachlicher Darstellung der 5 Referendumsfragen sucht man vergeblich, von einem Abstimmungsheft nach Schweizer Beispiel ganz zu schweigen. Die Behörden beschränken sich auf Papierplakate mit kleingedrucktem Gesetzestext. Vorsintflutlich. Zum Glück haben sich Wikipedianer erbarmt und eine ausgezeichnete Kurzdarstellung geliefert einschließlich der Positionen aller Parteien: auf Italienisch, Englisch, Französisch und Spanisch. Aber nicht auf Deutsch.

Für eine deutschsprachige Information über den Inhalt der fünf Referendumsthemen fühlte sich auch in Südtirol keine Institution zuständig, weder das Regierungskommissariat noch der Landtag. Da auch die Parteien weitestgehend auf Bewerbung und Stellungnahmen verzichtet haben, gab es keine öffentliche Debatte und die Beteiligung wird hierzulande auf ein Minimum sinken. Ganz so als gingen Fragen der Justizreform die Südtiroler einfach nichts an. Zum Glück hat die Initiative für mehr Demokratie auf ein gut gemachtes Heft von „Più Democrazia Italia“ hingewiesen, freilich nur auf Italienisch, zum Herunterladen. Anmerkung am Rande: am Sonntag werden in Italien in verschiedenen Regionen Lokalwahlen und Referendum zusammengelegt, die Zusammenlegung eines Landesreferendums mit dem Staatsreferendum am 29.5. ist von Rom hingegen untersagt worden. Warum?

Und damit zu den Themen selbst. Das Severino-Gesetz zur Wählbarkeit von rechtskräftig Verurteilten, die periodische Bewertung der Richter:innen, die Trennung zwischen Staatsanwalts- und Richterkarrieren, die Einschränkung der Untersuchungshaft mögen für die Radikale Partei zwar zentrale Themen sein, denn sie haben zusammen mit der Lega diese Referenden lanciert. Doch wie aus der Geschichte des Referendums in Italien ersichtlich, eignen sich komplexere Reformvorhaben nicht unbedingt dafür, die Mehrheit der Wählerschaft an die Urne zu bringen. Referendumsfähigere Themen, die Millionen von Menschen bewegen wie die Liberalisierung des Anbaus von Cannabis und die Zulassung des assistierten Suizids sind vom Verfassungsgericht abgelehnt worden. Dank der Einführung der online-Unterstützungsunterschrift im August 2021 werden jetzt Promotoren dazu verleitet, weniger attraktive Themen zur Abstimmung zu bringen. Doch überschätzen diese Kreise bei Weitem ihre Fähigkeit, die Mehrheit der Italiener an die Urne zu bringen. Ohne Abschaffung des Beteiligungsquorums nützt die online-Unterschrift wenig.

Und damit zum Elend der direkten Demokratie in Italien. Statt die Referendumsrechte in der Verfassung von Grund auf zu reformieren (hier Vorschläge) und auszubauen, hat das Parlament nur kleine Erleichterungen wie eben die Online-Unterschriftensammlung erlaubt. Der M5S hatte zu Beginn der laufenden Legislatur 2018 großspurige Versprechen in Sachen Bürgerbeteiligung abgegeben, sogar einen Minister für direkte Demokratie (R. Fraccaro) installiert. Umgesetzt worden ist fast nichts. Es gibt immer noch das Quorum, es gibt immer noch kein Recht auf Volksinitiative, keine Pflicht des Staats zu seriöser Information der Bürger, keine Beschränkung des allmächtigen Verfassungsgerichts. Kein Wunder, wenn die Bürger und Bürgerinnen immer mehr das Vertrauen und Interesse verlieren. Nicht nur die Anliegen der Promotoren werden am kommenden Sonntag auf der Strecke bleiben, auch die direkte Demokratie als solche wird einen Rückschlag erleiden.

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Alessandro Stenico Sa., 11.06.2022 - 21:56

Ein Abstimmungsheft nach Schweizer Beispiel, gesendet an 46 Millionen Wähler, oder an 26 Familienoberhäupter würde horrenden Summen kosten ??
Es genügen schon die 400 Millionen Spesen für die Abhaltung der fünf unsinnige Referendum.
Auf die meisten italienischen Medien und teilweise auch auf lokale Deutsche wurden die fünf Fragen erklärt. Die Materie ist einfach zu komplex um es kurz und bindig zu erklären, es sind Fragen die nicht an Wähler gestellte werden sollten.

Sa., 11.06.2022 - 21:56 Permalink