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PARASITE

Goldene Palme für Südkorea! Endlich erreicht Bong Joon-ho´s Meisterwerk die heimischen Kinos.
Parasite
Foto: Filmladen

Südkorea musste lange warten. Obwohl die dortige Filmlandschaft floriert und spätestens seit Park Chan-Wooks „Oldboy“ (2003) auch internationale Aufmerksamkeit erhält, dauerte es dennoch bis zum Jahr 2019, dass ein Regisseur die Goldene Palme von Cannes gewinnen konnte. „Parasite“ wurde von der Kritik einhellig gelobt und auch die Jury-Entscheidung schien erstaunlich leicht gefallen zu sein. Selbst nach Bekanntgabe des Gewinners der diesjährigen Festivalausgabe gab es kaum bis keine Gegenstimmen, die den Sieg in Frage stellten. Alle sind mit „Parasite“ zufrieden, und das ist gerade im von polarisierenden Meinungen bestimmten Cannes eine Seltenheit. Aber was steckt nun wirklich dahinter? WAS erzählt Bong Joon-ho, und WOVON?

Im Kern geht es um die südkoreanische Gesellschaft. Von Anfang an begleiten wir die in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie Kim. Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Zu viert leben sie in einem Kellergeschoss, es tropft und pfeift aus allen Löchern. Geld muss her. Als ein Schulfreund des Sohnes ihm vorschlägt, doch als Nachhilfelehrer bei einer der wohlhabenden Familien im Reichenviertel anzuheuern, lässt der sich nicht lange bitten. Einige Dokumente sind schnell gefälscht, und siehe da, es klappt. Der Sohn arbeitet von nun an für die gut situierte Familie Park, die abgeschottet von den niederen Schichten in einer schicken Villa samt Garten wohnt. Als der Sohn erkennt, welche anderen Arbeiten im Haus zu verrichten sind, etwa den Wagen zu fahren, zu putzen oder Kunstunterricht zu leisten, beginnt er nach und nach, seine eigene Familie einzuschleusen. Natürlich unter falschem Namen und vortäuschend, dass man sich einander nicht kennt. Der Alltag in der Villa nimmt seinen Lauf, doch je länger Familie Kim dort ist, desto mehr Geheimnisse offenbaren sich ihnen.

STOP.

Die Inhaltsangabe muss an dieser Stelle enden. Alles andere wäre fatal und würde einen großen Reiz des Film zunichte machen. „Parasite“ weiß im Laufe seiner Handlung das ein oder andere Mal zu überraschen und die Erzählung in eine ganz eigene, düstere Richtung zu lenken. Es fällt schwer, den Film zu besprechen, ohne auf die Wendungen einzugehen, doch man möchte es dennoch versuchen. Denn was schon klar geworden sein sollte, Bong Joon-ho zieht seinen bisherigen Stil auch in „Parasite“ konsequent durch. Internationale Bekanntheit erlangte der Filmemacher mit „The Host“, „Snowpiercer“ und „Okja“. Allen drei Filmen gemein ist der gesellschaftskritische Unterton. Bong Joon-ho erzählt gerne von den Unterschieden in der Gesellschaft, was jene und andere tun und wie sie handeln. „Parasite“ erzählt vom Gegenüber zweier Klassen. Beiden ist bewusst, dass sie anders sind als ihr Gegenüber, und beide verhalten sich dementsprechend. Die reiche Familie Park schenkt den armen Angestellten kaum Beachtung, überspitzt formuliert betrachtet sie sie als Dreck, während Familie Kim einerseits unterwürfig agiert, andererseits aber die Lücken der makellosen Wohlstands-Fassade auszunutzen weiß.

PARASITE Trailer

All das geschieht in glatten, perfekt choreografierten Kamerabildern. Wer einige Werke des südkoreanischen Kinos kennt, der weiß: Ästhetik können sie. Jede Einstellung gleicht einem Gemälde, und das Setdesign schafft einen wunderbaren Kontrast zwischen der versifften Kellerwohnung der Kims und dem glanzvollen, sauberen Innenräumen der Park-Villa. Die Kamera tanzt darin förmlich und bewegt sich wie bei einem Ballett. Untermalt mit mal dramatischen, mal opernhaften Klängen schafft Bong Joon-ho damit eine Überstilisierung, die auch Kollegen wie Park Chan-Wook gemein ist. Man entzieht sich dem Realismus zu Gunsten ästhetisch überhöhten Erzählweisen, die die Möglichkeiten des Mediums bis zum Ganzen ausreizen. Dem zuzuschauen, ist ein wahrer Genuss. „Parasite“ ist wunderbar gespielt und schafft es, bis zum Ende spannend zu bleiben. Der Film entzieht sich dabei einer eindeutigen Genre-Einordnung und pendelt irgendwo zwischen Gesellschaftskritik, Psychothriller, Schwarzer Komödie und Tragödie. Bong Joon-ho liebt es wie bereits in früheren Werken, die Mittel verschiedener Genres in einen Topf zu werfen, kräftig umzurühren, und mit einer völlig neuen Mischung zu überraschen. In „Parasite“ zeichnet er so gut wie noch nie ein Bild der aktuellen südkoreanischen Gesellschaft. Angesichts des Titels darf gerne spekuliert werden. Er lässt sich auf zweierlei Weisen deuten. Denn sowohl die arme Familie Kim, als auch die reiche Familie Park sind im wahrsten Sinne des Wortes Parasiten, Schmarotzer. Die einen, weil sie sich langsam in den von Wohlstand bestimmten Alltag einschleichen und davon profitieren, die anderen, weil sie die billigen Arbeitskräfte mit offenen Armen empfangen und deren Leid für ihre Zwecke ausnutzen.

Es bleibt nichts zu sagen, bis auf: Schauen Sie sich diesen Film an. Nicht nur, weil er einer der besten in diesem Jahr ist, sondern auch, weil das europäische Publikum durchaus Nachholbedarf im Bereich des asiatischen und speziell südkoreanischen Kinos hat. Das Schmarotzen sei Ihnen in diesem Fall gestattet.