Parlamento
Foto: upi
Politik | Wahlgeplänkel

Kommt eine Verfassungsreform ?

Mitten im Wahlkampf zieht der M5S-Vorsitzende Giuseppe Conte den Vorschlag einer Verfassungsreform aus dem Zylinder. Meloni willigt ein.

Beide sitzen im selben Boot. Dass sie auch in dieselbe Richtung rudern, darf allerdings bezweifelt werden. Denn Giorgia Meloni blickt einem sicheren Wahlsieg entgegen - und damit dem erstmaligen Einzug in den römischen Chigi-Palast. Salvinis Lega droht dagegen mit rund 12 Prozent das schlechteste Wahlergebnis der letzten Jahre. Meloni überholt ihn nicht nur im Süden, sondern auch im wirtschaftsstarken Norden der Halbinsel, in deren Regionen die Lega mitregiert. Die norditalienischen Unternehmer kreiden Salvini vor allem seine ständigen Versuche an, Regierungschef Draghi zu stürzen und ihm bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Prügel in den Weg zu legen.

Symptomatisch für den Gegensatz war letzthin der Auftritt der beiden bei Italiens wichtigstem Unternehmerforum in Cernobbio, wo Meloni geschickt versuchte, ihr Image als EU-feindliche Politikerin abzuschütteln: Rom  bleibe filoatlantista: "Quello che conta è il nostro programma" so Meloni entschieden. Matteo Salvini blieb dagegen seinem populistischen Kurs treu: er forderte Steuersenkungen, eine flat-tax von 15 Prozent auf alle Einkommen und die bereits zur Gewohnheit gewordene Amnestie für Steuersünder. Seiner Sympathie für Putin blieb der Lega-Chef auch beim jüngsten Besuch in Moskau treu - mit einem Aufsager vor dem Roten Platz: " Qui non c´è un lavavetri, non c'è un rom, è una città in cui tutti rispettano le regole, non ci sono mendicanti e non c'è cartaccia per terra." In Rom freilich könnte es Salvini schon bald mit grösseren Unannehmlichkeiten zu tun haben als den cartacce per strada. Der Zürcher Tagesanzeiger etwa schliesst einen Rücktritt des Lega-Chefs nicht aus: "Fällt seine Partei unter 12 Prozent, stünde seine Leadership zur Debatte. Vielleicht bricht die Lega dann auch auseinander."

 

 

Qui non c´è un lavavetri, non c'è un rom, è una città in cui tutti rispettano le regole, non ci sono mendicanti e non c'è cartaccia per terra." 
Matteo Salvini auf dem roten Platz in Moskau

Je näher der Wahltermin rückt, desto rauer freilich werden die Töne. Am vollbesetzten Mailänder Domplatz stellte Giorgia Meloni der EU die Rute ins Fenster: "In Europa sono tutti preoccupati per Meloni al governo e si chiedono cosa succederà. Ve lo dico io cosa succederà: che è finita la pacchia e anche l'Italia si metterà a difendere i propri interessi nazionali come fanno gli altri." Nationalismus pur. 

Rauer werden die Töne auch zwischen bisherigen Verbündeten wie dem Partito Democratico und der Fünf-Sterne-Bewegung. Enrico Letta: "La verità è che i 5 stelle restano il partito di Grillo. E che Conte è un progressista della domenica che fino a qualche mese fa non sapeva scegliere tra Le Pen e Macron." Ungewohnt harte Töne. Überraschungen sind freilich in Italiens Politik nie auszuschliessen. So zeichnet sich urplötzlich eine verfassungsgebende Versammlung ab - 25 Jahre nach der Bicamerale von Massimo D´Alema. La Stampa spricht von einem flirt sulle riforme zwischen zwei politischen Parteien, die bisher nicht durch gegenseitige Sympathiebekundungen aufgefallen sind: Fünf-Sterne-Bewegung und Fratelli D´Italia. Einem solchen Vorhaben könnte Enrico Lettas PD schwerlich tatenlos zusehen. Das Ziel: eine Verfassungsänderung in Richtung "semipresidenzialismo o premierato".

Es zeichnet sich urplötzlich eine verfassungsgebende Versammlung ab - 25 Jahre nach der Bicamerale von Massimo D´Alema.

Auch Azione-Gründer Carlo Calenda schwenkt nun auf diesen Kurs ein: "Una commissione bicamerale è una buona proposta di metodo. Se si farà ci impegneremo." Umstrittenster Punkt des Entwurfes ist die  sfiducia costruttiva - ein Misstrauensvotum, dessen Annahme einen sofortigen Regierungswechsel zur Folge hätte.