Matteo Renzi
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Politik | Kampf um Stimmen

Wahlkampf der alten Gesichter

Das Duo Calenda und Renzi stürzt sich in den Wahlkampf. Und Berlusconi darf erstmals wieder kandidieren.

Noch hat der Wahlkampf zur Kür des neuen Parlaments im September kaum begonnen. In der hochsommerlichen Ferienzeit ist das ohnehin sinkende Interesse der Bürger an der Politik freilich noch geringer als sonst. Aber an Polemiken fehlt es trotzdem nicht. So hat Giorgia Melonis Ablehnung, ihr Programm am Sitz der Auslandspresse in Rom zu erläutern, beträchtlichen Staub aufgewirbelt. Die ultrarechte Favoritin lehnte die Einladung in den traditionsreichen Sitz der stampa estera ab - einem Zusammenschluss aller Auslandskorrespondenten in der italienischen Haupstadt - von Le Monde über Times bis zum Nachrichtenmagazin Newsweek. Stattdessen schickte sie ein dreisprachiges video, das in englischer, französische rund spanischer Sprache ihre politischen Vorstellungen erläuterte. Die Ablehnung hat auch deshalb beträchtlichen Staub aufgewirbelt, weil Einladungen in den Sitz der Auslandspresse üblicherweise als Ehre empfunden und geschätzt werden und der Wahlsieg der Rechtsallianz nach allen aktuellen Umfragen als sicher gilt. Mit dem Video freilich wollten sich die römischen Korrespondenten nicht zufriedengeben.

Mittlerweile hat die KZ-Überlebende und Senatorin Liliana Segre Meloni aufgefordert, die grün-weiss-rote Flamme aus dem Listenzeichen ihrer Partei zu entfernen: "Ricordare significa opporsi alle idee che sono alla base del fascismo."

 

 

Im Lager der Parteien zeichnen sich indessen neue Entwicklungen ab. So haben Carlo Calenda und Matteo Renzi ein Wahlbündnis beschlossen, nachdem jenes zwischen PD-Chef Enrico Letta und Calenda gescheitert war. Beide halten sich für das Amt des zukünftigen Premiers für geeignet, was bei ihrem ausgeprägten Seltbstbewusstein kaum verwundern kann. Calenda, Journalist und Autor, Sohn des Schriftstellers Fabio Calenda und der Regisseurin Cristina Comencini stammt aus Roms Bürgertum, war Pressechef der Fiat, enger Mitarbeiter von Ferrari-Chef Montezemolo, Spitzenexponent der Confindustria, Vertreter Italiens bei der EU und Wirtschaftsminister unter Premier Paolo Gentiloni. Nach dem Bündnis mit der Fünf Sterne-Bewegung und Contes Wahl zum Regierungschef kehrte er dem Partito Democratico den Rücken und gründete 2019 die neue Partei Azione. Bei der jüngsten Bürgermeisterwahl in Rom verfehlte er jedoch den Einzug in die Stichwahl - ein herber Rückschlag. Mit Matteo Renzi hat er nun einen "neuen" Partner für sein Wahlbündnis gefunden: "Ih:r Slogan : "Io e Matteo contro il caos."

 

Neun Jahre nach seiner Suspendierung wegen Steuerdelikten darf sich auch der fast 86-jährige Silvio Berlusconi wieder um einen Sitz im Senat bewerben. 

Die Zeiten, da Renzi 2014 europaweit für Schlagzeilen sorgte, als er mit 35 Jahren zum jüngsten Regierungschef der Halbinsel aufstieg, sind freilich längst vorüber. Renzi bastelte damals hartnäckig an einer Verfassungsreform zur Abschaffung des Senats und scheiterte schliesslich an jener Selbstüberschätzung, die ihn dazu verleitete, im Dezember 2015 das Referendum über die Verfassungsreform zu einem Votum über seine Person umzufunktionieren: "Se perdo il referendum, la mia carriera politica sarà terminata. Questa è democrazia". Das hat sich einmal mehr als Lüge erwiesen und sieben Jahre später bewirbt sich der mittlerweile zum Parteichef von Italia viva Aufgestiegene erneut um einen Sitz im Parlament. Die Fraktionen seiner Partei in Kammer (33) und Senat (15) bestehen ausschliesslich aus Überläufern.

In diesem surrealen Szenario wirkt es durchaus überzeugend, dass auch ein weiterer alter Bekannter erneut für den Senat kandidiert: neun Jahre nach seiner Suspendierung wegen Steuerdelikten darf sich auch der fast 86-jährige Silvio Berlusconi wieder um einen Sitz im Senat bewerben. Dass er gleichzeitig eine Verfassungsreform zur Einführung des presidenzialismo mit Rücktritt von Staatspräsident Mattarella fordert, demonstriert einmal mehr, dass in Italien stets alles beim Alten bleibt. La solita tristezza.

 

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Karl Trojer Di., 16.08.2022 - 11:37

Schade und schwer zu verstehen, dass dieses an Kultur so reiche Land Italien sich politisch so konfus zeigt ! Persönliche Eitelkeiten überwiegen und liefern das Gemeinwohl fahrlässig dem Messer aus...
Gestern lief auf arte ein Film über Mahatma Gandi..., ein von Liebe und Weisheit getragener Mensch und dabei ein sehr erfolgreicher Politiker !

Di., 16.08.2022 - 11:37 Permalink