Gesellschaft | Corona-Soap - Part 5

Wuah-wey

Klagelied der Tschänäreschn Covid-19
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Foto: Pixabay

Was bisher geschah … 
 Corona-Soap - Part 1: Morituri te salutant 
 Corona-Soap - Part 2: Houm-Skuuling 
 Corona-Soap - Part 3: Nachbeben  
 Corona-Soap - Part 4: Cui bono?  

„Wuah-wey“. Muss Englisch sein. In der ersten Schulstunde nach den 6-Monate-Sommerferien hat uns die Englischlehrerin noch einmal aufgeteitscht, dass man im Englischen einfach wahllos Buchstaben aneinander reiht, die mit der Aussprache dann rein gar nichts zu tun haben. Wie der Lieblingssong ihrer Lieblingsband „Snap!“ aus dem letzten Jahrhundert. Echt unterirdische Musik! Schreiben tut man's: „I've got the power“, aber gesprochen wird es „Agathe Bauer“. Oder eben „Huawei“ und „Wauh-wey“.

Y5p

Gott-sei-Dank spricht man den Modellname genauso aus, wie man ihn schreibt: Y5p. Mein neues Händy. Hat mir der Papi geschenkt. Für's Zeugnis. Wenn ich zwei Zehner habe, gibt's ein Trappele,  hatte er versprochen. Zwei Tage vor Schulschluss hat er meine Frau Direktor angerufen, um zu fragen, wie viele Zehner ich im Zeugnis habe - rein informativ - ob er mir also ein Händy kaufen muss oder nicht. Da hat die Direktorin präservativ (oder wie das heißt) für den Nachmittag sofort eine außerordentliche Notenkonferenz einberufen. Jetzt habe ich alles Zehner im Zeugnis - obwohl sich die Englischlehrerin total quer gelegt hat. Im Selbstschutzweg hat das die Frau Direktor gemacht, sagt mein Papilein. Er sagt aber nie „Frau Direktor“ zu ihr, sondern immer nur „Ulli“, besser „Schnulli“. Die sind zusammen Schule gegangen und ich glaube, es gab keinen Schultag, wo der Papi die Schnulli nicht gepluit hat - okei, wenn er gut drauf war, hat er sie nur getochtlt.

Jetzt in der Fünften gehöre ich nicht nur zu den Großen - also fast erwachsen - sondern bin mit den ganzen Zehnern auch die Beste meiner Klasse. Wir haben jetzt übrigens alles Einzelbänke, was ich total doof finde, weil ich jetzt in Walsch nicht mehr vom Leonardo abschreiben kann. Das ist der Bua vom Dorfkarpf. Wir hatten einen Diel (ich bin nähmlich wie der Donald Dumb der totale Diel-Meker): Der Leonardo lässt mich abschreiben und ich lerne ihm im Gegenzug Dialekt. Weil als Walscher hast du es bei uns brutal zach. Wenn du ein astreines Hochdeutsch sprichst, halten dich alle für einen Piefke, mit Akzent bist und bleibst du ein Walscher, der zwar gut Deutsch kann, aber ein Doiger bist du nie. Der Leonardo soll einmal beim Land arbeiten, hat sein Papà gesagt und da ist Bilinguismo unabdingbar: Fließend Tedesco und Dialekt.
Zudem müssen wir bei jedem Lehrerwechsel die Hände waschen, wofür die ersten 38 Unterrichtsminuten draufgehen, weil wir nur einzeln und mit Maschgra auf die Toilette dürfen. Und wir müssen ordentlich lüften. Damit das nicht vergessen wird, hat die Hausmeisterin von den Gemeindearbeitern präservativ alle Fenster aushängen lassen. Für den Winter will sich die Schnulli um so Thermoanzüge für die Everestbesteigung kümmern. Die Oberalp kann Covid-Schutzausrüstungen, da ist eine Reinhold-Messner-Kluft in Kindergröße ein Kinderspiel, hat sie gemeint. Bestellen will sie das über die Sanität - die sind auch totale Diel-Meker - und weil der Schullandesrat ist so mit der Wirtschaft und seiner Streitpartei beschäftigt, dass er gar keine Zeit für irgend welche nörgelnde Lehrer hat. Dazu Fäustlinge, Funktionsunterwäsche … nur die Sauerstoffmasken kann sich die Salewa sparen. Kriegen schon den zerzerifizierten Mund-Nasen-Schutz nicht hin und außerdem lassen sich diese Plastikdingsbums zum Schnaufen so schwer über die Schlauchhudern ziehen. Haben wir damals beim Hintertoler mit der Zeitung bekommen. Der Alex, der Bua vom Tirolerheim Alpine Mountain Ressort, hat nur die blauen Chirurgenmasken, weil seine Eltern kaufen keine Zeitung - die lesen immer, was die Gäste bei der Abreise im Papierkorb zurücklassen.
Dass wir in der großen Pause nicht mehr Derwischilatz oder Wer-hat-Angst-vorm-schwarzen-Mann spielen dürfen, stört nur die Kindergartler von der Vierten abwärts. Die haben kein Händy und das Rumstehen mit einem Meter Abstand ist deshalb total langweilig.
Die Aisha ist auch wieder aufgetaucht. Hatte seit dem 5. März niemand mehr gesehen - nicht in den zwei Microsoft-Teams-Sitzungen, die wir im Lokdaun hatten und auch sonst nicht. Kannst dir vorstellen, dass die einen Kompjuter hat - hat ja nicht mal ein Händy. Dafür ist ihre große Schwester jetzt das beliebteste Mädchen an ihrer Schule, unten in Brixen. Weil sie, wie die Aisha seit dem Kindergarten einen Nikab (bin nicht sicher ob sich die Ganzkörpermaske so schreibt) trägt, weiß sie, wie man das perfekte Mäke-ap ohne Lippenstift und Rouge hinbekommt.
Keine Ahnung was aus der Mathe-Tante geworden ist. Hat sicher der Virus gfossn. Egal. Hätten sowieso Ende März eine neue Lehrerin bekommen. Schon blöd dieser Lokdaun. Das Schuljahr 2019/2020 hätte ein Rekordjahr werden können: vier verschiedene Mathe-Lehrerinnen in einem Jahr! Die haben eine Berufsbezeichnung, die ich mir nie merken kann. Hatte eine Eselsbrücke dafür. Das sind so arme Schlucker, dass sie nur ganz karge Kost essen. Ah ja: „Supp“-“Plenten“.
Ich muss nur noch dieses Jahr durchhalten, sagt mein Papi, dann bekomme ich in der Mittelschule meinem Intellekt entsprechend, hochgebildete Akademiker als Lehrer: Alles Professoren! Haben alle habilitiert, weil sonst wäre das ja Titelanmaßung wie beim Brennerdoktor. Mein Papi weiß so viel, kein Wunder, dass er eine hochbegabte Tochter hat.    

P40 Pro+

Ich hätte schon lieber ein P40 Pro+ oder sofort ein iPhone gehabt - wegen der Ultra Vision Leica 5-fach Kamera. Habe ich dem Papi auch gesagt. Er könnte mir 1.363,75 Gründe nennen, warum kein Monatslohn aus meiner Hosentaschen schauen muss, hat er gemeint, aber gesagt hat er nur einen: Er braucht meine Fotos nur für Recherchezwecke, wurscht ob sie link sein. Er wohnt ja jetzt unten in Brixen bei seinem neuen Mann und da mich die Mama an den Besuchstagen immer bringt - weil so einen wie den Papa lässt sie nicht mehr über die Schwelle - kommt er nicht mehr ins Dorf. Muss eben ich beim Hintertoler die Preisschilder fotografieren. Die Preise trage ich in eine Tabelle ein (nach drei Monaten Houm-Skuuling mit Anton.app, Duolingo, Schlaukopf oder Youtube bin ich zum Ditschital Nehtiev der Familie ernannt worden) und der Papi vergleicht sie mit denen im Supermarkt, gegenüber der Aquarena, da wo man am Kreisverkehr nach Stufels fährt. Da kauft mein Papachen immer ein. Das sieht dann so aus:

In der Liste fehlt die Pravda der Jäger und Wilderer - so nennt sie mein Tati. Wo immer über Wolf und Bär berichtet wird und zur „Entnahme“ von Goldschakal und des noch gefährlicheren Untiers namens LH geblasen wird: Das Jagdblatt der Südtiroler - kostet überall gleich zu viel, sagt der Papi. Auch keine Äpfel soll ich fotografieren - sind ihm zwider. Oder Salat, besonders den roten, findet er total bescheuert.
Er ist immer noch im Robin-Hood-Modus, sagt die Mami. Seit ihm ein Wisch des Marketing-Fritzen des hds unter die Finger gekommen ist, hat er ein neues Feindbild. Habe die Stellen fotografiert, die er unterstrichen hat und da steht (die Rechtschreibfehler habe ich extra mit abgeschrieben):
„Die globalisierte Gesellschaft wird sich wieder zurückentwickeln und sich auf ihre lokalen Strukturen besinnen … Bereits vor Corona ermöglichte der Handel in den unseren Dörfern und Gemeinden die Grundversorgung vor Ort und dank kurzer Wege auch ein ökologisches Einkaufsverhalten … Die Monopolstellung von Onlinegiganten wie Amazon und Alibaba löst sich zugunsten mehrerer kleinerer Unternehmen auf, die weniger abhängig von globalen Produktionsketten und schneller lokal verfügbar sind“.
Das hat er am Rand auch kommentiert: „Wer soll das Bezahlen, wer hat soviel Geld“. „Warum mosert der Moser-Bua immer gegen den Onlinehandel, wenn sich eh alles in Wohlgefallen auflöst“. Dann etwas zum Kürzel hds und einer Krankheit, das ich nicht verstanden habe. Und dreimal unterstrichen: „Protektionistenpack!!!“.
Ich versteh nicht was er gegen das HdS hat? Auf www.hds.bz.it schreiben die über sich selbst: „Das HdS versucht, Solidarität konkret zu leben, Integration zu fördern, mit Nachhaltigkeit zu experimentieren, Not effizient und unbürokratisch zu lindern.“ Wäre der Sars nicht dazwischen gekommen, hätten wir sie und ihre Neger unten im Jakob-Steiner-Haus in Milland besucht. Scheinen nicht die egoistischen Lobbyisten zu sein, über die mein Papilein immer wettert. Wird er immer gasig, wenn ich ihn darauf anspreche. „Weißt du wieviel am Ende des Geldes noch Monat übrig war, als wir wegen des Lokdauns nur beim Hintertoler einkaufen konnten?“, blafft er mich dann an. Dann schimpft er darüber, dass der Hintertoler das mit der Wegekostenwahrheit für 15 Kilometer Fahrt vom Großverteiler zu seinem Laden wohl überreizt hat; dass das Geld in diesem Land nur für eine Berufsgruppe auf den Bäumen wächst; dass laut AFI die Inflation in Bozen zwischen April 2010 - April 2019 um 16% gestiegen ist, aber die Lohnsteigerung nur durchschnittlich 4% Betrug; der Tourismus als Brandbeschleuniger die Lebenshaltungskosten befeuert… Was dann kommt, kenne ich schon. Er hält inne, gibt mir einen dicken Kuss und sagt: „Ich schweife ab“.
Ich erinnere mich noch, dass ich März, April, Mai jede Menge dicker Küsse, aber kein Taschengeld bekommen habe.

iPhone 11 Pro Max

Die Mami macht auch immer ein Gewese wenn's ums Geld geht. Letzten Sonntag hat sie sogar geweint - mal wieder. Weil sie zur Zeit so wompet ist, aber doch einen Ausflug machen wollte, sind wir auf die Plose gefahren. Waren wir ewig nicht. „Aui und oi sein 50 Euro“, hat der Liftmensch gesagt. Diese Schrottbahn hätte sie sicher mit irgendeinem Prozentsatz ihrer Steuern gezahlt, hat die Mami geplärrt. Eine Whotsäpp-Freundin hätte ihr geschrieben, dass 75% der neuen 10er Kabinenbahn am Karerpass auf die Kölnerhütte vom Land bezahlt werde. Wie bei der Seiseralmbahn, wo das Untier namens LH mal Präsident des Verwaltungsrates war: Verluste werden verstaatlicht, Gewinne privatisiert (und die Bauern subventioniert) - da sind sich Mami und Tati ausnahmsweise einig.
Nachdem sich die Mami beruhigt hatte, war sie nur mehr froh, dass sie nur für zwei Erwachsene und ein Kind zahlen musste und mein kleiner Bruder in ihrem Bauch gratis durch ging.
Oben sind wir auf dem „Woody Walk“ gewandert - schreibt man so, hab's fotografiert. Das passt, hat die Mami gemeint, da bist du mit tausend anderen Spaziergänger echt auf dem Holzweg: Die Rutsche die mördergefährlich aussieht, rutscht nicht; das Baumstamm-Telefon ist irgendwie verstopft und da wo früher die Holzkühe zum Reiten standen, steht jetzt ein Speicherbecken für Schneekanonen. Die Viecher sind sicher darin abgesoffen, hat die Mami gefrotzelt.
Am Ende sind wir noch im Restaurant an der Bergstation eingekehrt. Die Mami hätte fast wieder geheult, weil sie für drei Obstschnitten, zwei Cappuccini und meine Waldfrüchte-Buttermilch 24,50 Euro bezahlen sollte. Bevor sie mit dem Hyperventilieren (so nennen sie die Atemübungen im Gebärmutterkurs, wo sie einmal die Woche hingeht) richtig in Fahrt kam, hat mein Zweit-Papi die Rechnung übernommen.
Den mag ich nicht besonders. Das einzig gute an ihm ist sein Händy: Ein iPhone 11 Pro Max. Ist von Äppl. Das ist auch Englisch und heißt Apfel. So eine Marke würde mein Erst-Papi nie kaufen.