Gesellschaft | G.S. Excelsior

Aus Liebe zum Trikot

Der GS Excelsior ist die ungewöhnlichste Fußballmannschaft Südtirols. Salto-Reporter Andreas Inama hat eine Woche lang mittrainiert. Teil 2 seiner Reportage.
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Foto: G.S. Excelsior

 

 Da noi un ragazzo deve venire per amore della maglia, non per il rischio di perderla.
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

Nur langsam trudelt das ganze Ensemble für den Abend ein, schließlich zähle ich 18 Spieler, eine nicht zu unterschätzende Beteiligung eingedenk der manchmal echt mageren Trainingsbeteiligung bei einigen meiner Ex-Vereinen, wo Trainingspräsenz eine tragende Rolle bei der Aufstellung am Wochenende einnimmt. Bevor wir uns ans Eingemachte machen, wollen Pedro und Toni noch einmal das Spiel am Wochenende Revue passieren lassen und besprechen. Man hat sichtlich knapp verloren, 2:1 hieß es am Ende. Obwohl es sich angesichts der gewöhnlichen Ergebnisse – die man nicht selten im Fußballjargon als Klatschen bezeichnen würde – um einen kleinen Achtungserfolg für die Mannschaft handelt, ist weder bei den Trainern noch bei den Spielern etwas von Selbstzufriedenheit zu spüren. „Dobbiamo cercarci di più in campo, c'è chi cerca di fare troppo da solo. Uno non vince la partita da solo, si vince insieme. L'uno-due è l'ABC del calcio. È semplice. È inutile prendere la palla, saltarne uno, due ed il terzo ti porta via la palla”, Pedro deckt unverhohlen die Schwächen der Mannschaft im letzten Spiel auf, der Trainer fasst niemanden mit Samthandschuhen an. Kindergeburtstag ist hier nicht. Pedro hat eine klare Stimme und angenehme Art und Weise, Kritik zu üben. Ruhig, untermauert von hektischen, meiner Belustigung beitragenden Gesten, schafft er es, seine Umkleidekabine zu erreichen. Die Spieler hören zu, keiner fühlt sich dazu angehalten, die Augen vom Trainer abzuwenden und ihm bei seinem Monolog zu unterbrechen. So auch nicht die zahlreichen Spieler aus anderen Ländern, die eigentlich noch große Schwierigkeiten mit Italienisch haben. Es wird alles aufgesogen, ob verständlich oder nicht.

 

„Abbiamo perso troppe rimesse laterali e se vi ricordate, giovedì scorso avevamo lavorato un'ora solo su quelle: Allora, io dico :va bene ridere e scherzare, va bene un allenamento divertente, ma nel momento dell'esercizio bisogna mettercela tutta. Perché ho visto gente che gli è arrivato un passaggio storto e lo ha fermato con la mano. Durante la partita non puoi mica stoppare la palla con la mano. Quindi anche se vi arriva la palla sporca, dovete impegnarvi a cercare di stopparla: con la coscia, col petto, di piede. Invece abbiamo fatto ‘sto esercizio ridendo ed infatti abbiamo commesso tanti errori.” Toni ist in seiner Art zu reden schon etwas martialischer, nicht selten füllt er seine Ansagen mit viel Pathos aus, hie und da entwischt ihm ein Fluchen. Gemeinsam haben beide Ansprachen, dass sie meine Vorstellung von einem undisziplinierten Spaß-Haufen im Null Komma nix ins Land der Märchen verweisen. Ich habe vor mir zwei sehr gut vorbereitete Übungsleiter und eine Mannschaft, die trotz einiger Verständigungsprobleme mancher an den Lippen der Chefs hängen. Man merkt, dass sowohl Pedro als auch Toni, beides Freiwillige seit neun beziehungsweise acht Jahren, ihrer Aufgabe mit einer gehörigen Portion Herz nachgehen. Die ganzen Niederlagen und Rückschläge der letzten Jahre haben diese beiden Männer offenbar sehr gut weggesteckt, von Zynismus in den Ansprachen keine Spur, die Mannschaft wird konstruktiv kritisiert und ehrlich motiviert: „Per quanto riguarda la partita abbiamo fatto una buona partita. Siamo andati vicini a portare a casa un risultato positivo. Mi dispiace, perché era una partita alla nostra portata. Buon primo tempo, dove siamo stati ordinati e, visto le ultime partite, mettere un‘uomo davanti alla difesa ci aiuta. La prossima andrà meglio, ne sono convinto.”

 

In questi anni ci siamo permessi in un certo senso  di accogliere uno spaccato della nostra società, insomma senza mai dover dire di no a nessuno. -
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

Die Harmonie, die in dieser zusammengewürfelten Truppe herrscht, manifestiert sich erstmals beim ersten Aufwärm-Spielchen. Vom Prinzip her ist es einfach, man spielt Fangen. Jedoch interpretiert Excelsior das Spiel auf eigene Weise: Wer gefangen wird, wird nicht einfach mit einer einfachen Berührung zum Fänger. Dem Gefangenen wird dies mit flacher Hand und ordentlich Schmackes, vorzugsweise in den Nacken, mitgeteilt. Zwischen den spürbaren Rachegelüsten der Opfer und einem gelegentlichen lauten Klatschen wurde viel gelacht und gescherzt, jeder mit jedem, ob man sich auf sprachlicher Ebene verstand oder nicht. Das Spielchen steht symbolisch dafür, was diese Mannschaft antreibt und jeden einzelnen stolz macht, Teil davon zu sein: Respekt und Toleranz gegenüber seinen Mitspielern gepaart mit einer heftigen Brise ganz normalen Wahnsinns.

 

Nach dem Spielchen geht es ans normale Einlaufen; etwas unkonventionell, aber das gehört hier wohl ein bisschen zum Selbstverständnis. Ich geselle mich zu einem dunkelhäutigen Spieler, auch er in einem phosphoreszierenden Augenschmaus gekleidet. Er heißt Faisal, stammt aus Ghana, klein aber stämmig, mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme. Ich traue mich erstmals einen der afrikanischstämmigen Athleten über seinen Weg von zuhause nach Italien zu fragen. Faisal ist wie so viele mit dem Boot angekommen. Italienisch spricht er nur gebrochen, wir unterhalten uns auf Englisch. „Es war sehr hart, nicht alle haben es geschafft. Es wurden wahllos Menschen zusammengepackt und auf die Nussschale gebracht. Wir waren viel zu viele Menschen für das kleine Boot.“ Er spricht sehr gefasst über seine Erfahrungen, in denen der junge Ghanaer mit seinen gerade einmal 21 Jahren viel Leid und Tod erlebt hat. „Weißt du was? Ich war mir sicher, dass ich es schaffen würde. Ich spürte das; Gott war mit mir.“ Faisal ist wie die anderen eher zufällig zur Mannschaft gestoßen. Es gefällt ihm sehr gut, meint er. „Das beste hier? Es sind die Trainer. Ich konnte einmal längere Zeit nicht trainieren und kam erst nach einigen Wochen zurück. Die Trainer kamen zu mir und sagten mir, sie hätten mich vermisst. Das hat gut getan, sie sind sehr gute Menschen.“

 

Il divertimento è un ingrediente che non può mancare. Magari non deve essere sempre quello più importante; per rispetto nei confronti dei nostri ragazzi e degli avversari, noi dobbiamo chiedere sacrificio e dedizione.
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

Am Wochenende ist Spieltag angesagt. Excelsior empfängt den Tabellenzweiten aus Oltrisarco. Alle finden sich pünktlich eine Stunde vor Spielbeginn ein. Toni hat eine Riesenration belegter Semmeln im Schlepptau. „Dopo ogni partita in casa organizziamo un 'terzo tempo'. Invitiamo gli avversari a mangiare un boccone con noi per concludere la giornata.“ Da das Feld noch nicht frei ist, müssen sich die Spieler auf dem Asphalt vor der Anlage warm machen. Nach einer halben Stunde aufwärmen geht es aufs Feld, es ist angerichtet. Der Schiedsrichter lässt mich mit auf die Bank gehen, ich kann das Spiel und die Atmosphäre bei den Trainern aus nächster Nähe miterleben.

 

Excelsior gerät sehr schnell in Rückstand, ein ungerechtfertigter Elfmeter bedeutet nach zwei Minuten das 0:1. Pedro und Toni sind im Spielmodus, laut und wild gestikulierend coachen sie, was es zu coachen gibt. Und wie schon mehrmals geschehen im Laufe der letzten Woche beobachte ich das Geschehen mit positiver Verwunderung. Die Mannschaft spielt im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr diszipliniert, einen Teil der ersten Halbzeit ist man die bessere Mannschaft, kann das spielerische Übergewicht aber nicht in Zählbares ummünzen. Ich selbst steigere mich immer mehr ins Spiel rein und lasse mich von der Stimmung der Trainer und der Einwechselspieler anstecken. Langsam, aber sicher wird mir klar, was Massimo mit der besonderen Bindung, die man zur Mannschaft aufbaut, in unserem Gespräch gemeint hat. Es überrascht mich selbst, wie sehr ich mich schon mit dem Verein und dem Drumherum identifiziere. Wut bei Fehlentscheidungen, Freude bei gut gelungenen Aktionen, Frust bei den Gegentoren – eine Woche Excelsior hat ihre emotionalen Spuren hinterlassen. Ich beobachte Toni und Pedro, zwei Männer, die das Excelsior-Gen im Laufe eines knappen Jahrzehnts aufgesogen haben und mittlerweile mit jeder Faser ihres Körpers vorleben. Die Spieler auf der Bank, darunter auch einige der sehr guten, die aber ob des Minuten-Kataloges erst später zum Einsatz kommen, fiebern mit, feuern an – nicht einmal wird ein Fehler abfällig kommentiert oder ein Mitspieler lauthals kritisiert, nicht beim zweiten, nicht beim dritten, auch nicht beim endgültigen vierten Gegentor.

Esiste anche da noi la frustrazione per la sconfitta, però ci sono dei fattori che aiutano a superarla.
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

Anpfiff zur dritten Halbzeit. Wir haben uns mit der gegnerischen Mannschaft versammelt, essen, trinken und, wie es sich nach einem Spiel gehört, diskutieren. Als ich den ersten Bissen von meiner Semmel nehme, muss ich mit leichtem Bedauern das erst Mal feststellen, dass meine Zeit bei Excelsior nun sein abruptes Ende nimmt. Ich hätte mir nicht ausgemalt, dass nach nur einer Woche beziehungsweise zwei Trainingseinheiten und einem Spiel „auf der Bank“ fast schon der Wille da wäre, geradewegs mitzumachen. „Puoi venire quando vuoi“ heißt es mehrmals, sei es von Seiten der Trainer, Massimo oder der Spieler. Jeder wird hier mit offenen Armen aufgenommen, sogar nervtötende Journalisten.
Ich beginne mich nach und nach zu verabschieden, natürlich anmerkend, dass ich wohl als Fan immer wieder Spielen beiwohnen werde. So herzlich ich anfangs begrüßt wurde, werde ich auch verabschiedet. Nie kam mir das Gefühl auf, einfach der Journalist zu sein, der in Aussicht einer guten Story einen Artikel über die Mannschaft schreiben wird. Ich wurde nicht als Fremdkörper wahrgenommen oder jemand, der eh nur kurz da ist, sondern als integraler Bestandteil des Teams, dem man authentisch gegenübertrat. Wie in so vielen Episoden dieser Woche lebte jedes Element von Excelsior das vor, wofür das Trikot stand: Toleranz, Verständnis, Respekt – bei Excelsior besucht man nicht nur eine Schule fürs Leben, man lebt sie auch vor.