Gesellschaft | Bündnis für Familie

Liebe PolitikerInnen, hört den Pädagogen doch mal zu!

Irmgard Pörnbacher, Geschäftsführerin des "Bildungsweg Pustertal", will nicht länger zuschauen. Wie die Politik sich am Arbeitstisch theoretische Konstrukte der Kinderbetreuung zurechtlegt. "Wir wollen eine öffentliche Diskussion, die ExpertInnen müssen mitsprechen können."

Frau Pörnbacher, das „Bündnis für Familie“ bietet die Plattform für das neu gegründete "Netzwerk für die Kinderbetreuung im Pustertal." 21 Gründungsmitglieder finden sich dort zusammen. Ist man zusammen stärker?
Das sicherlich. Aber nicht nur. Wir haben uns deshalb zusammengeschlossen, weil wir auf das Thema offiziell aufmerksam machen wollen. Eingeladen haben wir auch die zuständigen Landesrätinnen Martha Stocker und Waltraud Deeg. Wir wollen über die Kleinkind- und über die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung sprechen. In der Öffentlichkeit. Ohne die direkt Betroffenen machen die Diskussionen um die Finanzierung und Qualität der Dienste wenig Sinn.

Wenn die Politik im stillen Kämmerlein alles aushandelt, dann kommt eh nichts Gescheites heraus?
Es ist nicht gut, wenn die praxisnahen Erfahrungen, die da sind, nicht offen diskutiert werden. Denn die Kinderbetreuung sammelt seit Jahren Erfahrungen und Fakten, die die Gesellschaft betreffen. Die Familien vor Ort, die Organisationen, die tagtäglich mit Problemen konfrontiert sind, die müssen mitsprechen.

Was für Probleme sind das beispielsweise?
Wenn in Sand in Taufers 15 Kinder auf der Warteliste für die Kitas sind und das Land sagt uns, wir müssen das  Berufsbild "Tagesmutter" ausbauen, dann stimmt da etwas nicht. Ich finde die Tagesmütter toll, aber wenn keine da sind im Umkreis, wie soll man das den Familien erklären? Ziel ist es doch, den Bedarf, die effektive Notwendigkeit, zu decken.

Ich finde die Tagesmütter toll, aber wenn keine da sind im Umkreis, wie soll man das den Familien erklären?

PraxisarbeiterInnen, pädagogische Kräfte werden von der Politik nicht gehört?
Nein, leider zu wenig. Und dabei kennen sie und die Familien die Realität am besten. Und das wollen wir mit unserem Netzwerk, das bislang in Südtirol einzigartig ist, ändern. Wir wollen verdeutlichen, dass die Kinderbetreuung nicht nur eine Randerscheinung ist. Und dass sich Land und Gemeindenverband die Kinderbetreuungsmodelle gemeinsam mit den Menschen, die sie in Anspruch nehem, ausmachen sollen. Es braucht eine Professionalisierung, es braucht Qualität und Sicherheit. Für die Eltern, für die MitarbeiterInnen.

Es braucht eine Professionalisierung, es braucht Qualität und Sicherheit. Für die Eltern, für die MitarbeiterInnen.

Es wurde lange irgendwie herumgeschustert, jetzt gibt es ein neues Familiengesetz...
...das auch nur ein Rahmengesetz ist. Aber das muss in seinen Grundlagen ja stimmen. Und hier möchten wir unsere Stimme erheben und klar unterstreichen, auch weil die Befürchtung finanzieller Kürzungen im Raum steht. Wir wollen Klarheit, denn es geht ja nicht um irgendeine Dienstleistung, sondern es geht um die Kinder. Wenn die Schule neu geordnet würde, dann kann das ja auch nicht irgendwie gemacht werden, sondern es geht um qualitative Einrichtungen der Erziehung, der Bildung und der Betreuung.

Sie haben das Netzwerk nicht nur auf die Kleinkinderbetreuung begrenzt. Warum?
Es ist leider so, dass es bei der Kinderbetreuung oft heißt: Ja, das betrifft ja nicht so viele Familien. Das stimmt aber nicht. Und deshalb sagen wir: Es geht um die Zukunft der Kinderbetreuung bis 14 Jahre. Das betrifft in 3 Monate langen Sommerferien sehr viele Familien. Und da finden wir die Qualitätsrichtlinien genauso wichtig.

Mit welchen Problemen sind vor allem Randgemeinden konfrontiert?
Kleine Lösungen sind entscheidend, vor allem für die Peripherie. Wenn eine Frau aus Gsies, die dort arbeitet, ihr Kind nach Bruneck bringen muss in die Kitas, um dann wieder zurück zu fahren, dann stimmt etwas nicht. Oder wenn sich Familien zusammentun, wenn Gemeinden kreativ sind und Ideen haben und das dann auf Landesebene nicht akzeptiert wird, weil es das noch nicht gegeben hat, dann ist das für alle, die sich bemühen, frustrierend. Die Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung ist ein theoretisches Konstrukt. De facto gibt es sie abseits von Städten nicht.

Die Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung ist ein theoretisches Konstrukt. De facto gibt es sie abseits von Städten nicht.

Die Bürokratie steht im Weg?
Ja, und das sehr. Wenn vier kleine Kinder von einer Frau betreut werden und alle noch Windeln haben bzw. auf den Topf gehen, ja, warum braucht es dann ein Kinderklo oder ein Kinderwaschbecken. Die Tagesmutter braucht das ja auch nicht. Da muss man einfach sagen: Ihr seid die Praktikerinnen, ihr seid die Pädagogen. Was kann man umsetzen? Wo kann man sparen? Entscheidend ist die pädagogische Arbeit. Setzen wir uns doch mit wesentlichen Fragen auseinander in der Kinderbetreuung: Wie lernen die Kleinen, wie sind sie betreuut, wie erlernen sie das Miteinander.

Da muss man einfach sagen: Ihr seid die Praktikerinnen, ihr seid die Pädagogen. Was kann man umsetzen? Wo kann man sparen?

Sie sagen, Gemeinden wollen den Familien entgegenkommen und dürfen nicht.
In Mühlbach zum Beispiel gibt es eine kleine Einrichtung zur Kleinkinderbetreuung. Die Gemeinde hat den Schritt einfach gewagt. Eine Dienstwohnung wurde eingerichtet im ersten Stock. Es ist eine große Terrasse vorhanden, wo die Kleinen krabbeln können, wo es einen Sandkasten, Fahrzeuge und Wasser gibt. Es ist wunderschön, die Eltern sind zufrieden, die Gemeinde ist zufrieden. Die Kinderbetreuerin ist ausgebildet, die Qualität stimmt. Trotzdem fällt diese Einrichtung noch aus der öffentlichen Anerkennung. Weil bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind. Weil es eine Wohnung im ersten Stock ist, weil eine Treppe zur Wohnung führt.

Ist es an der Zeit umzudenken?
Unbedingt. Die Politik soll die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung neu überdenken. Ideen und Kreativität, Bemühungen und Praxiserfahrungen sollen anerkannt sein. Südtirol hat eine Uni, hat Profis, und doch lässt sich die Politik von einer Volksmeinung treiben, die noch immer heißt: „Die armen Kinder, die nicht daheim betreut werden.“ Wir fordern von der Politik eine Deklaration, eine Stellungnahme. Denn momentan wird nicht einmal anerkannt, dass es einen Bedarf gibt, oder die Nutzung. Momentan werden Realitäten aus der Vergangenheit zitiert. Diese Art zu Denken bringt Erstarrung in Politik und Verwaltung und Frustration bei den Praxisleuten.

Südtirol hat eine Uni, hat Profis, und doch lässt sich die Politik von einer Volksmeinung treiben, die noch immer heißt: „Die armen Kinder, die nicht daheim betreut werden.“

Wir kommen vom Weg ab?
Es schaut ein bisschen so aus. Kinderbetreuung braucht Qualität. Man kann eine pädagogische Einrichtung nicht allein der Verwaltung überlassen, die sich Bedarf und Finanzierung am Sitzungstisch ausmacht und darauf schaut, wo es die günstigsten Anbieter für Kinderbetreuung gibt.

Man kann eine pädagogische Einrichtung nicht allein der Verwaltung überlassen, die sich Bedarf und Finanzierung am Sitzungstisch ausmacht.

Das erschreckt Sie?
Ja, denn das Finanzielle darf nicht vor dem Pägagogischen kommen. Wenn eingespart werden soll, dann denkt man zuerst ans Personal. Und dieses Personal betreut unsere Kinder. Wollen wir diese Entwicklung? Die Politiker sollen die Zielgruppe Kinder sehen. Das sind die künftigen wichtigen Gesellschaftsträger, die Menschen, die die Zukunft formen. Da muss doch Qualität in der Planung ein Faktor sein. Und darüber fordern wir Klarheit von der Politik.