Kultur | Salto Afternoon

Urlaub in Eppan

Die Historikerin Kerstin von Lingen referiert über die "Operation Sunrise", die "Uffizien in Passeier" und über SS-Obergruppenführer Karl Wolff. In dessen Urlaubsdomizil.
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Foto: Südtiroler Weinstraße

salto.bz: Sie halten demnächst einen Vortrag in Eppan. Dabei wird es auch um die Verbindung zwischen "Operation Sunrise" im Zusammenhang mit den Südtiroler "Krieg"-Kunstdepots St. Leonhard und Sand in Taufers gehen. Im Zentrum steht eine Figur, die in der Gemeinde Eppan gern urlaubte...

Kerstin von Lingen: Der SS-Obergruppenführer Karl Wolff ist eine schillernde Persönlichkeit. Er war Adjutant Heinrich Himmlers, dessen Chef des Persönlichen Stabes, nachweislich bei mehreren Judenerschießungen im Osten dabei, und gleichzeitig gibt es von Wolff in Italien eine ganz Reihe von positiven Geschichten – er schütze Menschen, die ihn darum baten, er sorgte dafür, dass die Kunstschätze in Südtirol in Sicherheit vor der herannahenden Front gebracht wurden, und er verhandelte unter Lebensgefahr über den vorzeitigen Waffenstillstand. Für einen SS-Offizier seiner Rangstufe ist diese Bandbreite zumindest bemerkenswert.

 

Hatte Wolff in Eppan Freunde oder Bekannte aus Kriegszeiten?

Wolff selbst ist kein schriftlicher Mensch, aber er hat nach dem Krieg eine Freundschaft mit dem deutschen Journalisten Gerd Heidemann aufgebaut, den sie alle als den Mann mit den gefälschten Hitler Tagebüchern kennen, ein Skandal, in dem Wolff übrigens irgendwann auch eine kleine Rolle spielt und eine Szene als wahr bezeugt. Heidemann hat er unzählige Interviews gegeben. Auch sein Biograph Jochen von Lang, hat lange Tonbänder gefüllt mit „Wolffs Erzählungen“ – ich habe die Abschriften, und der ganze Ordner heißt tatsächlich so.
In diesen Erzählungen berichtet er immer wieder von seinem Koch, bei dem er in Eppan im Urlaub gewohnt habe. Er nennt keine Namen. Wir vermuten nun, der Koch seines Hauptquartiers am Gardasee und später in Bozen, kam aus Eppan und kehrte auch dorthin zurück, wahrscheinlich besaß dieser selbst einen Gasthof. Wolff selbst hatte übrigens, aufgrund ständiger Geldnot, denn er verfügte ja weder über ein Einkommen noch eine Pension, die Angewohnheit sich einzuladen. Er wird also versucht haben, bei Bekannten einzukehren und keine eigenen Kosten gehabt haben.

 

In Sachen SS-General Karl Wolff soll es Mitte der 1970er Jahre auf einer Terrasse eines Eppaner Hotels zu einem Eklat gekommen sein. Was wissen Sie darüber?

Diesem Ereignis ist ein Gespräch zwischen Wolff und einem Touristen beim Café in Eppan vorausgegangen, der Brief hat sich im Wiesenthal Archiv in Wien in den Korrespondenzakten Simon Wiesenthals erhalten. Ich habe darüber in meinem Buch Verschwörung des Schweigens. SS und Secret Service folgendes geschrieben: „Ansonsten vertrieb er sich die Zeit mit Reisen in Deutschland, Österreich und Italien, wobei er bevorzugt in Südtirol Station machte, konnte er dort, ähnlich wie um seinen bayerischen Wohnort, am ehesten noch auf ungeheuchelte Bewunderung und Anerkennung hoffen.  Es gab jedoch auch eine Beschwerde, die aktenkundig wurde und den gesellschaftlichen Paradigmenwechsel verdeutlicht. Ein österreichischer Tourist wandte sich 1976 nach seinem Urlaub an Simon Wiesenthal, ein Kriegsverbrecher laufe frei herum und schreibe in Eppan an seinen Memoiren. Wolff habe ihm selbst beim Kaffee auf der Hotelterrasse anvertraut, ihm sei „von den Amerikanern versprochen worden, ihn zu schonen und nicht vor Gericht zu stellen.“  Der Kritiker empörte sich, Wolff unterliege hier einem Irrtum, denn er habe „keine Heldentaten verübt“, sondern „Wolff ist ein Verbrecher, der bei Kriegsende versucht hat, seine Haut zu retten“. Noch unverständlicher war dem Urlauber, dass die Südtiroler Polizei auf seine Anzeige hin nicht eingeschritten sei, und er bat nun Wiesenthal, zu intervenieren. Doch nach Verbüßung der Strafe gab es in den 70er Jahren keine weitere Handhabe gegen Karl Wolff, wie Wiesenthal bedauernd antwortete, und Wolff konnte seine Reisen unbehelligt fortsetzen.“

Dennoch hat die Gemeinde Eppan Karl Wolff eine touristische Würdigung überreicht. Was weiß man dazu?

Dieses Ereignis ist sehr unklar. Wolff selbst hat mehrere Interviews gegeben und erzählt darin kleinere Geschichten aus Südtirol. An einem Punkt spricht er davon, dass er aufgrund seiner Treue zum Urlaubsort Eppan, wo er wohl jahrelang Urlaub machte, eine „Tourismus-Nadel“ bekommen habe. Ich habe das versucht, zusammen mit der Gemeinde Eppan mal nachzuvollziehen, aber es ist nicht ganz klar, was das sein kann. Vielleicht hat ihm auch nur ein Amtsträger irgendwo einen Blumenstrauß überreicht. Man hat in den Akten jedenfalls nichts finden können.

Selbst für beinharte Nazis läßt sich ja, bei aller Mordlust gegenüber Juden und Andersdenkenden, ein fast schon pathologisches Interesse beobachten, Kunstobjekte zu schützen und eben nicht zu zerstören, wohingegen sie bei Menschenleben überhaupt keine Skrupel hatten.

Wie gelang es dem Verbrecher Karl Wolff seine Biografie ins Gegenteil zu verkehren. Dazu benötigt es wahrlich eine Portion Skrupellosigkeit und Selbsttäuschung...

Das ist eine längere Geschichte, die wirklich Züge eines Krimis trägt – ich werde das in meinem Vortrag auffächern. Und mein Buch heißt übrigens nicht umsonst „Verschwörung des Schweigens“. Kurz zusammengefasst kann man aber sagen, dass Wolff ohne das Wohlwollen der Amerikaner gar nichts hätte ausrichten können. Wolff eignete sich auch als positive Figur, denn er war anders als die anderen SS-Offiziere, die als Mörder wahrgenommen wurden, denken Sie mal an Kaltenbrunner – den hätte der wohlwollendste Bericht nicht schützen können. Wolff galt als Kunstfreund und Gentleman. Ein anderer SS-Offizier beklagte sich einmal in einem Verhör, „Salonoffiziere wie Wolff mit ihren weißen Handschuhen hätten sich ja nicht die Hände schmutzig gemacht“. Und auch die Untergebenen Wolffs, die in Bozen US Soldaten gefoltert und getötet hatten, wurden nach dem Krieg verurteilt und erschossen, ich denke an die Fälle Andergassen und Schiffer. Wenn Amerikaner unter den Opfern waren, kannten US Behörden kein Pardon.


Wolff jedoch war ein „Guter“ in den Augen der Amerikaner, und natürlich ist er, für einen SS-Mann, sehr weit gegangen – er hat mit den Waffenstillstandsverhandlungen militärisch gesehen sein Land verraten, und wir können nur vermuten, dass das mental nicht einfach war, sich als SS General dazu durchzuringen. Die US-Freunde halfen ihm, aus der Maschinerie der Kriegsverbrecherprozesse herauszukommen, und schrieben wohlwollende Berichte. Ab den 50er Jahren musste man sich eigentlich nur noch ruhig verhalten und wenig auffallen, und konnte gut leben. Übrigens hat er sich genau daran nicht gehalten – auch das übrigens eine Folge seiner ständigen Geldnot, denn als Nazi Funktionsträger hatte er keine Pension. Er gab viele Interviews, und in einem Interview – im Vorfeld des Jerusalemer Auschwitz-Prozesses – berichtete er von Judenerschießungen. Damit positionierte er sich direkt im Fadenkreuz, denn völlig untätig war die bundesdeutsche Justiz, bei allen Kritikpunkten, nun auch nicht. 1964 kam er in München vor Gericht und wurde verurteilt – hier konnten die Amerikaner auch nicht mehr helfen. Er wurde dann Anfang der 70er Jahre aus gesundheitlichen Gründen entlassen, und begann dann seine Memoirentour und Reisetätigkeit, von Freunden zu Freunden.

 

Wie beurteilen Sie Wolffs Handeln in der Angelegenheit um die verschwundenen Kunstwerke aus den Uffizien gegen Ende des 2. Weltkriegs? Kunstschutz oder Kunstraub?

Das ist eine sehr ambivalente Frage. Der militärische Kunstschutz war zunächst einmal tatsächlich dazu geschaffen, die Kunstwerke buchstäblich aus der Schusslinie heraus zu bringen, und ein ganzer Stab an Kunsthistorikern war damit in Italien beschäftigt, ich werde in meinem Vortrag davon berichten. Auf der anderen Seite gab es natürlich auch Kunstraub unter dem Deckmantel angeblichen Schutzes. Hitler oder Göring suchten sich regelmäßig die schönsten Stücke aus, und der berüchtigte „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“, geleitet von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg, tat nichts anderes, als jüdische Sammlungen überall in Europa aufzulösen, zu zerfleddern und in großem Stil Kunst zu rauben. Soweit ich weiß, ist er jedoch nicht in Italien gewesen, dazu müssten Sie aber lieber mal meinen Kollegen Christian Fuhrmeister in München befragen. Und wir wissen auch, dass der oberste Beamte des Kunstschutzes, Wilhelm Evers, sich dafür eingesetzt hat, den Transport der italienischen Kunstschätze über die Alpen zu verhindern und die Dinge lieber in Südtirol einzulagern. Das war natürlich mit der militärischen Notwendigkeit gut zu begründen – ab 1943 ist der Transportraum knapp, und Bombenangriffe auf Bahnlinien die Regel – das wäre viel zu gefährlich gewesen. Selbst für beinharte Nazis läßt sich ja, bei aller Mordlust gegenüber Juden und Andersdenkenden, ein fast schon pathologisches Interesse beobachten, Kunstobjekte zu schützen und eben nicht zu zerstören, wohingegen sie bei Menschenleben überhaupt keine Skrupel hatten. Mein persönliche Einschätzung wäre übrigens, dass Evers oder der Leiter des Kunstschutzes, SS-Standartenführer Langsdorff, Wolff 1943 die Verlegung nach Südtirol vorgeschlagen hat, und Wolff hat das einfach unterschrieben, zumal er ja selbst sehr gern Museen und Opernaufführungen besuchte, wenn sie seinen Kalender ansehen. 1945 war er wahrscheinlich froh, dass er dieses Faustpfand in der Schweiz in die Verhandlungen noch einbringen konnte. Solche Dinge waren den US-Verhandlungspartnern sehr wichtig, um Wolffs Glaubwürdigkeit zu testen.