Lollobrigida, Gina
Foto: Rai
Politik | Kandidaten-Parade

Von Bossi zu Lollobrigida

Der sommerliche Wahlkampf beginnt mit viel Gedöns und dem Aufritt von Uralt-Kandidaten. Einen Grossteil der Bürger interessiert er kaum.

Alles wie gehabt: für die bevorstehenden Wahlen wurden bis zum Ablauf der Frist am 14. August über 100 Listenzeichen hinterlegt. Darunter befinden sich Parteisymbole wie jenes des Partito della Follia, der Poeti d´Azione oder der Gilet arancioni di Generale Pappalardo. Viele davon werden nach Überprüfung durch die Wahlbehörde auf keinem Stimmzettel aufscheinen, sondern dienen nur dazu, einem Missbrauch durch andere Parteien vorzubeugen. Auf dem Stimmzettel dürften letztendlich kaum mehr als 15 stehen - immer noch das Doppelte dessen, was in den meisten EU-Staaten üblich ist.

Ein Blick auf die aktuelle politische Situation und auf die Umfragen lässt wenig Zweifel am Ergebnis der bevorstehenden Wahlen aufkommen. Das Rechtsbündnis wird den Urnengang gewinnen. In vielen europäischen Hauptstädten blickt man mit erheblicher Skepsis nach Rom - und auf Italiens politische Zukunft. Nicht nur, weil eine ultrarechte Nationalistin wie Giorgia Meloni in den römischen Chigi-Palast einziehen könnte, sondern auch weil Italiens Demokratie auf eine schwierige Kraftprobe zusteuert - mit einer EU-feindlichen Mehrheit von Fratelli d`Italia und Lega, in der das Häuflein von Forza Italia nur wenig zu sagen haben dürfte. Meloni steuert deutlich auf  einen presidenzialismo zu, ein Modell, in dem der Staatspräsident in Zukunft direkt vom Volk gewählt und mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet werden soll. der lautstarke und kostenaufwendige Wahlkampf interessiert freilich einen kleinen Teil einer Bürger - nur rund 700.000 der 62 Millionen Italiener sind Mitglied einer Partei - eine verschwindende Minderheit. Nach Schätzungen des Nationalinstituts für Statistik beteiligen sich auf der Halbinsel weniger als 10 Prozent am politischen Leben. Die Wahlbeteiligung ist in den letzten Jahren kontinuierlich um fast 20 Prozent gesunken - ein ideales Terrain für Populisten aller Schattierungen. 

 

Der bevorstehende Urnengang wird zeigen, welcher Einfluss in diesem System dem terzo polo zufällt, der von Renzi und Calenda vertreten wird. Nach Umfragen sind es bestenfalls acht Prozent. PD-Chef Enrico Letta warnt eindringlich vor einer Unterschätzung der Lage: "No a un´Italia alla Orban". In seiner eigenen Partei stösst Letta dagegen auf Kritik, weil er seine Gefolgsleute auf aussichtsreichen Listenplätzen platziert hat. Kaum anders sieht es in der 5 Sterne-Bewegung aus, wo Giuseppe Conte beschuldigt wird, seine eigenen Gefolgsleute bei der Erstellung der Listen zu bevorzugen - unabhängig von der Mandatsbeschränkung auf zwei Legislaturen.  Das gilt etwa für Michele Gubitosa, Riccardo Ricciardi, Chiara Appendino. Vizeminister Stefano Buffagni wird gar durch seinen Bruder Davide ersetzt. An Uralt-Gesichtern fehlt es wie gewohnt nicht. Der über 80-jährige Lega-Gründer Umberto Bossi kandidiert in Varese für die Lega, der 85-jährige Silvio Berlusconi in Monza für Forza Italia und die 95-jährige Schauspielerin Gina Lollobrigida in Latina für die linke Liste Italia sovrana e popolare.

Nach Schätzungen des Nationalinstituts für Statistik beteiligen sich auf der Halbinsel weniger als 10 Prozent am politischen Leben.

Lega-Chef Matteo Salvini glaubt nicht, vom Erfolg der Fratelli d'Italia überfahren zu werden: "Credo che il nostro programma sia chiaro, concreto e di buonsenso, perchè riparte da promesse già mantenute, da riforme già fatte, da soluzioni già trovate e sperimentate." Doch in der Lega hört man auch neue, bisher ungewohnte Töne. Etwa vom Präsidenten Venetiens Luca Zaia: " Il centrodestra deve cambiare pelle rispetto a trent'anni fa. Mi aspetto che sia più inclusivo e attento ai cambiamenti. L' omosessualità non è una patologia, l'omofobia invece sì. Questione di libertà e rispetto, chi non lo comprende è fuori dalla storia." Zaia nutzt die Gelegenheit auch zu einem Angriff auf den Zentralstaat, der Giorgia Meloni kaum behagen dürfte: "Confido che in caso di successo il centrodestra attui finalmente la riforma federalista e lo faccia in tempi rapidi." Die Verwirklichung dieses seit Jahrzehnten angestrebten Anliegen dürfte mit dem Wahlsieg Melonis freilich wesentlich schwieriger werden. In dem Umfragen liegen Melonis Fratelli d´Italia mit 24 Prozent fast gleichauf mit dem Partito Democratico. Doch im Bündnis mit der Lega (13) und Forza Italia mit 11 Prozent kommen sie auf eine klare Regierungsmehrheit, während der mit viel Gedöns angekündigte terzo polo aus Renzis Italia viva und Azione den erhofften Erfolg deutlich verfehlen könnte.