Kultur | Kunst

Schopenhauers Pudel

Die Ausstellung ”Flà“ des Egon M. Rusina oder der Versuch, das Gespenst des Vergänglichen in Bilder zu fassen.

Egon Moroder Rusina ist ein hochgradig philosophischer und dazu ein geradezu zwanghaft erläuterungsfreudiger Künstler, der das Auslegungsmonopol oder die Deutungshoheit seiner Werke für sich alleine beansprucht.
Daher pfeift er förmlich auf allfällige Kuratoren, zumal er sich ja, wie er mit bübischem Lächeln bei sämtlichen Vernissagen, Finissagen und sonstigen Kunstevents frei herausparliert, bester geistiger und körperlicher Gesundheit erfreue, kein Pflegefall und schon selber Quacksalber genug sei, um seine Arbeiten zu erläutern.
„Das eine bin ich, das andere sind meine Schriften”, hat Friedrich Nietzsche verkündet. Dem ist bei Egon M. Rusina freilich nicht so, weil sein Schaffenswerk unzertrennbar mit seiner eigenen Person, seiner unkonventionellen Lebensweise, mit seiner „egon-zentrischen“ Weltanschauung verbunden ist. Es ist, auf den ontologischen Kern reduziert, schlicht und ergreifend die Exposition seiner eigenen Introspektion.
Nun präsentiert er im Kulturzentrum „Tublà da Nives“ in Wolkenstein eine Installation von 150 Bildern zum Thema „Flà“.
Es handelt sich um beinahe monochrome und dennoch in mannigfaltigen Nuancen konfigurierte Gemälde, um filigrane Zeichnungen und schließlich um kalligraphische, als Kunsttexte zelebrierte Schriften, welche er in den letzten drei Jahren - als gewissermaßen artgerecht schaffender Freilandkünstler  - im unwirtlichen Berggelände „Cuecenes“, auf der Raschötzer Alm in Gröden geschaffen hat.
Das Thema lautet “Flà“, ein wunderbar lautmalendes Wort, das - vom Lateinischen „flatus“ herrührend - auf Ladinisch so viel wie  Atem, Hauch, Dunst  bedeutet.

Die drei Zyklen

Die Ausstellung ist in drei Zyklen gegliedert. „Atman im Nebel“, „Schneezeit“ und „Schleier der Unterwelt“.
„Atman“ ist ein altindisches Wort und bedeutet, ähnlich wie das Ladinische „Flà“, Atem, Lebenshauch, Seele; in der Tradition der Upanischaden stellt „Atman“ die Essenz des Selbst, die Einzelseele als Teil des Brahman, der „Weltseele“ dar.
Ein Detail am Rande: Atman war auch der Name der Pudel von Arthur Schopenhauer. Der deutsche Philosoph, der das Schaffen von Egon E. Rusina zutiefst inspiriert hat, hielt sich zeitlebens einen Pudel; starb einer, so wurde der nächste, stets ähnlich aussehende Pudel eben auch und immer wieder „Atman“ genannt.
Dieses „Atman“-Thema bearbeitet Rusina in türkisblauer Farbe; aus 80 Bildern wird ein einziges, großformatiges Panoptikum zusammengestellt.
Der zweite Zyklus, die „Schneezeit“, umfasst dagegen feinziselierte Bleistiftzeichnungen.
Der letzte, von rot bis blauviolett variierende und vagierende Bilderzyklus „Schleier der Unterwelt“ bemalt wiederum eine gespenstische, in nebliges Licht getauchte, undurchschaubare Welt, mancherorts sind rätselhafte von Rauch umhüllte Spalten zu erspähen, die dergestalt schleierhaft erscheint, dass sie gleichermaßen im Entstehen, im Auftauchen wie auch im Versinken oder Erlöschen begriffen sein mag.
Diesen drei Themenkreisen ist (man verzeihe den manifesten Pleonasmus) als grundierender Grundton, als Grundcharakter, der zentrale Begriff  der Vergänglichkeit gemeinsam.

Das Gespenst des Vergänglichen

„Ach, das Gespenst des Vergänglichen,
durch den arglos Empfänglichen
geht es, als wär es ein Rauch.“

Als wär es ein Rauch, als wär es ein nicht fassbares Gespenst, so hat Rainer Maria Rilke in den Sonetten an Orpheus das Vergängliche oder wohl dessen vergebliche Durchdringung charakterisiert und in unsterbliche Verse gegossen.
Was aber ist Vergänglichkeit? Wie kann man diesen Begriff so entlarven, so entblättern, dass seine Essenz, das Ding an sich, sozusagen „des Pudels Kern“, offengelegt werden kann? Vergänglich ist zunächst das Sein dessen, was nicht von Dauer ist, das keinen Bestand hat. Im biologischen Kontext ist Vergänglichkeit schlicht die Endlichkeit, die Hinfälligkeit des Menschen, das Sein zum Tode, das uns die Sicht auf das Offene der Kreaturen verstellt, uns verhindert, „klares Weltauge“ zu sein.
Rilke hat die Begrenztheit des endlich Seienden in seiner bekanntesten, der achten Duineser Elegie,  in folgenden formvollendeten Strophen veranschaulicht:

„Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag,
den reinen Raum vor uns, in den die Blumen
unendlich aufgehn. Immer ist es Welt
und niemals Nirgends ohne Nicht: das Reine,
Unüberwachte, das man atmet und
unendlich weiß und nicht begehrt.“

Im ästhetischen Kontext steht „Vergänglichkeit“ oft für die zeitgebundene und „relative“, dem launischen Zeitgeist unterworfene Schönheit, die im diametralen Gegensatz zur überzeitlichen und „absoluten“ steht, zum Erhabenen, kurz zu dem, was Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft als „interesseloses Wohlgefallen“ beschrieben hat.
Im kulturphilosophischen Kontext schließlich bezeichnet Vergänglichkeit das dem Untergang Geweihte, wie dies Oswald Spengler im „Untergang des Abendlandes“ mit seiner Theorie der drei Stadien der Kultur oder Kulturen (Aufstieg, Blütezeit und Verfall)  thematisiert hat.
Die Vergänglichkeit ist der Kitt, der allen drei Stadien gemeinsam ist, indem alle - jedes für sich allein - dazu bestimmt sind, unweigerlich zu vergehen, um dann wieder von vorne anzufangen und den dreitaktigen Zyklus nochmals zu durchlaufen.
Dabei wird dieser Begriff ja gemeinhin mit einer bestimmten Jahreszeit assoziiert, mit dem Herbst und dem allmählichen Austrocknen und Verwelken der Naturschönheit, dann, wenn die Blätter, wie von weit „mit verneinender Gebärde“ fallen, „als welkten in den Himmeln ferne Gärten“(R.M. Rilke, Herbst aus Das Buch der Bilder).

Egonsche Vorstellung

Egon M. Rusina dagegen sieht es ganz anders: Für ihn ist „Schnee“ der symbolische Inbegriff, die Antonomasie des Vergänglichen, was beileibe nichts mit werbestrategischen Überlegungen oder mit Destinationsmarketing der heimischem Touristiker zu tun hat.
Und so kommt es alles andere als ungelegen, dass er seine Ausstellung am Frühlingsanfang angesetzt hat und zwar dann, wenn der – im heurigen Winter in exorbitanten Mengen gefallene  –  Schnee geradezu mit bloßem Auge wahrnehmbar vor uns wegschmilzt.
Diesem Thema ist die zweite Installation aus 36 Bildern gewidmet, die Schneewüstenlandschaften, haarscharf an der Grenze zur Abstraktion mit geradezu manischer Akribie porträtiert.
Und eben Schopenhauer, der mit dem Pudel tanzende Philosoph, hat in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ einen stupenden Gedanken formuliert, welcher wohl der „egonschen“ Vorstellung des Vergänglichen am nächsten kommt: „Vergänglichkeit, ewiger Wechsel ist der Grundcharakter aller Dinge; dabei ermüdet die Natur nicht, weil ihr Kern ein Unverwüstliches, ein Ding an sich ist.“

* Lukas Plancker ist Kulturassessor der Gemeinde Wolkenstein. Er ist von Beruf Anwalt, im Rechtsamt des Landes tätig und ein unbändiger Fan von Bob Dylan und guter Literatur.