SVP-Parlamentswahlen
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Politik | Elezioni 22 Wahl

Schließt die SVP aus!

Laut dem ehemaligen grünen Kammerabgeordneten Florian Kronbichler „gehört“ der Bozner Senatssitz den „Italienern“. Eine seltsame Auffassung von Demokratie.
Kronbichler wirft auf salto der SVP vor, gespürlos zu sein, den italienischen Landsleuten italienische Kandidaten von Volkspartei’s Gnaden vorgesetzt zu haben, die Paketmaßnahme 111 zu hintergehen. Also den „italienischen“ Senatswahlkreis kapern zu wollen.
Kronbichler ist mit dieser Einschätzung nicht allein. Der langjährige SVP-Parlamentarier Karl Zeller und Senator Meinhard Durnwalder stellten in der Neuen Südtiroler Tageszeitung kritisch fest, dass die eigenständige Kandidatur tatsächlich ein Art Autonomie- oder Paketverstoß ist. Begründung, mit der Paketmaßnahme 111 aus dem Jahr 1991 wird der Senatswahlkreis Bozen-Unterland einer italienischen Kandidatin oder einem italienischen Kandidaten vorbehalten.
 
 
 
Dieser Darstellung widerspricht Oskar Peterlini, ehemaliger Senator des Wahlkreises Unterland. Der Senatswahlkreis Bozen Unterland ist laut Peterlini nicht geschaffen worden, um der italienischen Sprachgruppe einen Sitz zu garantieren. Mit der Paket-Maßnahme 111 sollte Gerechtigkeit zwischen Bozen und Trient geschaffen werden, erläutert Peterlini die Maßnahme, „da bei ungefähr gleicher Bevölkerung das Trentino vier Wahlkreise und Südtirol nur zwei hatte“.
Und, erinnert Peterlini an das Anliegen der Paket-Maßnahme 111, es ging dabei um eine proportionale Vertretung der Sprachgruppen zu „begünstigen“, aber nicht zu „garantieren“. Diese Regelung lässt auch eine Wahl-Chance für die deutschsprachige Bevölkerung zu. Sie stellt immerhin ein Drittel der WählerInnenschaft.
Es ist politisch unverständlich, warum die SVP nicht den ehemaligen Bozner Bürgermeister Luigi Spagnolli unterstützt. Aber, um der Logik von Florian Kronbichler zu folgen, dann wäre Spagnolli nur ein Italiener von Volkspartei’s Gnaden.
Für Peterlini ist es mehr als seltsam, „dass gerade jene, die … gegen Minderheitenschutz samt Quote sind bzw. jene, die … diesen Schutz aushöhlt haben, hier nun bei einer freien demokratischen Wahl gar ein Kandidaturverbot für Deutschsprachige fordern“. Weil, um Kronbichler zu zitieren, das Recht schon bisher zum Privileg pervertierte, also zu Unrecht wurde. Ist die SVP-Kandidatur im Wahlkreis Bozen-Unterland also Unrecht? Politikwissenschaftler Günther Pallaver beschrieb die Senatskandidatur der SVP im Bozner Unterland als einen „unfreundlichen Akt“.
„Während sich die geballte Wissenschaft darum sorgt, wie gereizt der Nationalstaat reagieren könnte, wenn die italienische Minderheit in Italien ihren 195. Senatssitz — von insgesamt 200 — verlieren sollte, können Südtirolerinnen im Ausland offenbar keine Südtiroler Parteien und Kandidatinnen wählen, weil sie auf den Wahlzetteln schlicht und ergreifend fehlen“, entgegnet Simon Constantini auf seinem Brennerbasisblog den Kritikern der Kandidatur von Manfred Mayr für die SVP im Senatswahlkreis Bozen-Unterland.
 
Als unfreundlich und schädlich für die Demokratie bezeichnet Constantini die in Italien bisweilen praktizierte bewusste Täuschung von Wählerinnen (etwa durch Köderlisten, Mehrfachkandidaturen und ähnlichem).
Ob diese eigenständige Kandidatur der SVP politisch opportun ist, ist eine völlig andere Frage. Es ist politisch unverständlich, warum die SVP nicht den ehemaligen Bozner Bürgermeister Luigi Spagnolli unterstützt. Aber, um der Logik von Florian Kronbichler zu folgen, dann wäre Spagnolli nur ein Italiener von Volkspartei’s Gnaden. Um das Recht nicht zu pervertieren, das Recht in ein Privileg umzuwandeln, dürfte die SVP nicht kandidieren. Wahrscheinlich würde Kronbichler die SVP von der Wahl ausschließen, weil sie ein pervertiertes Recht in Anspruch nimmt. Oskar Peterlini wundert sich zurecht.
Dass Kronbichler letztendlich für ein Kandidaturverbot plädiert, ist Perversion pur.
Kronbichler wirft außerdem Landeshauptmann Arno Kompatscher vor, bei diesen Parlamentswahlen nur die Erinnerung an Altes zu befeuern.  Wie die laut Kronbichler angebliche Missachtung von Durchführungsbestimmungen oder vermeintliche Kappung autonomer Rechte durch den Verfassungsgerichtshof. Der Landeshauptmann hielt zum 50-Jahr-Jubiläum der Südtirol-Autonomie am 5. September in Meran gar eine unverständliche Klagerede. Kennt Kronbichler die Studie von Esther Happacher und Walter Obwexer von der Universität Innsbruck über die Autonomie-Verluste? Offensichtlich nicht.
Das Bild ist halt passend, Privileg und Perversion statt Recht, tönt kritischer. Dass Kronbichler letztendlich für ein Kandidaturverbot plädiert, ist Perversion pur.
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Dietmar Nußbaumer Di., 20.09.2022 - 20:26

Danke Herr Mayr, wenn Sie etwas Licht ins Dunkel bringen. Ich gehe ja davon aus, dass Journalisten (auch die i.R.) etwas mehr Durchblick haben (solten) als wir "Normalos". Allerdings muss ich mich jetzt immer noch entscheiden, wem ich glauben soll. Ihr Beitrag scheint mir dann doch etwas objektiver zu sein.

Di., 20.09.2022 - 20:26 Permalink
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Hartmuth Staffler Di., 20.09.2022 - 20:42

Florian Kronbichler hat wohl Angst, dass im künftigen italienischen Parlament zu wenig Italiener und zu viele Deutsche sitzen werden. Angstzustände führen oft zu Realitätsverlusten, sie sind aber therapierbar.

Di., 20.09.2022 - 20:42 Permalink
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Alessandro Stenico Mi., 21.09.2022 - 00:07

„Können Südtirolerinnen im Ausland offenbar keine Südtiroler Parteien und Kandidatinnen wählen, weil sie auf den Wahlzetteln schlicht und ergreifend fehlen.“

Die Wähler der vier Wahlkreise solten die Auslandswähler im Parlament vertreten:
1)Europa, einschließlich der asiatischen Gebiete der Russischen Föderation und der Türkei;
2)Südamerika,
3)Nord und Mittelamerika
4)Afrika, Asien, Ozeanien und Antarktis.
Südtiroler, die im Ausland ansässig sind und kandidieren möchten, könnten eventuell eine eigene Liste aufstellen, aber die Chancen währen gering. Eine Verbindung mit anderen Listen wehre simpler, denn die Wähler im Ausland haben die Möglichkeit, Vorzugstimmen zu vergeben.

Siehe: https://dait.interno.gov.it/documenti/pubb-02-politiche-ed.2022.pdf

Mi., 21.09.2022 - 00:07 Permalink
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Karl Trojer Mi., 21.09.2022 - 10:34

Die Frage, ob im Wahlkreis Bozen-Unterland ein Kandidat der italienischen Sprachgruppe bevorzugt werden soll, beantworte ich eindeutig mit JA. Luigi Spagnolli erscheint mir dafür als hervorragend geeignet : Er bringt langjährige Verwaltungs-Kompetenz mit, befasst sich beruflich mit für Südtirol relevanten Themen, ist zweisprachig und verlässlich.

Mi., 21.09.2022 - 10:34 Permalink
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alfred frei Mi., 21.09.2022 - 14:54

Hallo, hallo, lieber Wolfgang, nichts für ungut, aber deine Stellungnahme gleicht einer Generalabrechnung mit Rundumschlag oder einer "geballten" Voreingenommenheit gegen Flor und seine Helfeshelfer. Vor allem die Aussage: “um der Logik von Florian Kronbichler zu folgen, wäre Spagnolli nur ein Italiener von Volkspartei’s Gnaden” könnte man auch bei dem zur Hilfe gerufenen Oskar Peterlini anwenden, der seinerzeit mit den italienischen
PD Stimmen mehrmals in den Senat gewählt wurde. Aber hier greift wahrscheinlich der Unterschied zwischen “begünstigen” und “garantieren”.
Oder ?

Mi., 21.09.2022 - 14:54 Permalink
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Klemens Riegler Do., 22.09.2022 - 00:47

... dass da alles rechtens ist, hat Oskar Peterlini ziemlich klar & deutlich schon vor Wochen erläutert.
Somit wird es echt ein spannendes Rennen. Auf jedem Fall spannender als jedes F1-Rennen. Ich schätze dass es der SVP-Mair sogar machen könnte. Und zwar mit unglaublich wenig Stimmen, weil sich die anderen verhaspeln, zersplittern und verstreuen. Sonst wäre es für den Gigi (mit Bozen und Leifers) ja fast a gmante Wiesn!
p.s. Kurtinig & Margreit hot wianiger Wählbürgerlein als das Konduminum in dor Reschenstraße Nr. 67 af Boazen.

Do., 22.09.2022 - 00:47 Permalink
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Luis Spath Mi., 28.09.2022 - 16:15

Mich stört eigentlich viel mehr, dass das geltende Wahlgesetz, speziell in Südtirol, ganz auf die großen Parteien zugeschnitten ist - somit vornehmlich auf die SVP. Es ist in meinen Augen Unrecht, wenn eine Partei, die - sagen wir - landesweit 40 % der Wählerstimmen einheimst, dann 90 % der Sitze erhält. Eine korrekte Vertretung der Interessen der Bevölkerung ist nur durch das Verhältniswahlrecht gegeben. Und wenn die Parteien überdies auch gleich noch selbst ihre Leute vorsetzen - ohne Möglichkeit einer Vorzugsstimme.

Mi., 28.09.2022 - 16:15 Permalink
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Luis Spath Mi., 28.09.2022 - 20:21

Wir könnten auch andersrum sagen: Mit etwa 27 % (ca. 100.000) der Stimmen aller wahlberechtigten Bürger:innen Südtirols (ca. 380.000) ergattert sich die SVP diesmal 83 % der Sitze (5 von 6). Mit einigen hundert Stimmen mehr im Wahlkreis Bozen-Unterland wären es 100 % der Sitze gewesen.
Schon ein cooles Wahlgesetz!

Mi., 28.09.2022 - 20:21 Permalink