Kultur | Salto Afternoon

Rwandan Records

Der international tätige Komponist und Musiker Klaus Janek (Völs/Berlin) hat mit Milena Kipfmüller und Jens Dietrich eine "Klangwelt" geschaffen. Ein Dreier-Gespräch.
klaus janek
Foto: RWANDAN RECORDS

Ihr habt ein begehbares Musiktheater realisiert. Was kann man sich darunter vorstellen? 
Milena Kipfmüller: Das Publikum betritt bei den RWANDAN RECORDS ein Tonstudio, bei dem es seinen Weg durch 15 Tonkabinen wählt und dabei Teil von Gesprächen unter Freunden wird. Man hört in einer intimen Situation Menschen aus Ruanda zu, die überraschende und abgründige Geschichten erzählen, an Traditionen anknüpfen und weiter entwickeln, Musik machen. Diese Situation ist in eine live gespielte Klangwelt aus Ruanda unserer Reise im Januar 2019 eingebettet: Gespräche werden zu einer Klanglandschaft, Aufnahmen von vor Ort live von Klaus Janek zu Musik transformiert und mit Achivmaterial - das bis zum Wachswalzen von 1907 zurück reicht - angereichert. Der Komponist und der spoken word poet Eric 1key haben großartige Songs geschaffen, die musikalisch und inhaltlich die detaillierten Geschichten unserer Gesprächspartner und die großen Themen des Stückes miteinander verbinden.

Man ist Südtirolerin und Italienerin zugleich und zwischen den Sprachen. Viele junge Leute gehen in die großen Städte ins Ausland. Es gab verschiedene Einwanderungen in den letzten 100 Jahren nach Südtirol.
(Jens Dietrich)

Die Geschichte spielt zwischen Ruanda und Deutschland. Auf welche Weise wird der weite kulturelle Bogen in eurem Stück spürbar? 
Jens Dietrich: Die Erfahrungen, die junge Menschen in Ruanda und Deutschland machen, sind oftmals gar nicht so unterschiedlich. Man schaut die gleichen Serien auf Netflix, die gleichen Videos auf Youtube, hört dieselbe Musik. Und dann bricht immer wieder die Vergangenheit ein, Geschichten von Vertreibung, von Exil und Heimkehr, von Völkermord. Und aus deutscher Perspektive merkt man dann, dass die Gewalt in der Vergangenheit ja auch noch gar nicht so lange her ist und die Generationen davor geprägt hat. Von daher erzeugen die Saiten, die zwischen Ruanda und Deutschland gespannt werden, extrem viel Resonanz. Man sehnt sich nach Wurzeln, nach einer verlorenen Vergangenheit, und die ist sowohl reichhaltig als auch auf bestimmten Ebenen von Hass vergiftet.

Wie lässt sich der Kompositionsprozess nachvollziehen. Ihr bewegt euch zwischen verschiedenen Zeiten und Welten, zwischen traditionellen Liedern, Popmusik und elektronischen Klängen...
Klaus Janek: Der Kompositionsprozess hat sich im Laufe des Stückes entwickelt und auch immer wieder verändert. Am Anfang des akustischen und musikalischen Materials stand unsere Recherchereise nach Ruanda im Januar. Dort habe ich zum einen Aufnahmen gemacht, in der Stadt, auf dem Land, mit anderen Musikern. Und dann haben wir uns den traditionellen Sounds genähert. Nicht nur vor Ort aber auch auf der Basis von alten Aufnahmen, zu denen wir über das Museum in Tervuren / Belgien und die Sammlung des Phonogrammarchivs Berlin Zugang hatten. Ich habe mit diesen Klängen herumgespielt um ihren eigentlichen Charakter zu entdecken. Daraus entstanden dann überraschende, neue, frische Rythmen aus denen dann die Beats als Grundlage der Songs wurden. Die einzelnen Stücke entstanden dann während der Proben zusammen mit Eric 1key und im Dialog mit dem von ihm geschriebenen Text.

Das Projekt präsentiert auf eine neue und ungewöhnliche Perspektive Identität im globalen Kontext. Was ist neu und ungewöhnlich?
Jens Dietrich: Wir machen überall die Erfahrung, dass Identität nichts von vornherein Gegebenes ist. Man trägt gleichzeitig mehrere Identitäten in sich, was ja auch total für Südtirol zutrifft. Ich hab für mehrere Jahre als Dramaturg bei Tanzprojekten von Veronika Riz in Südtirol gearbeitet und die besondere Situation dort kennen gelernt. Die Option hat für Risse in den Familien gesorgt. Man ist Südtirolerin und Italienerin zugleich und zwischen den Sprachen. Viele junge Leute gehen in die großen Städte ins Ausland. Es gab verschiedene Einwanderungen in den letzten 100 Jahren nach Südtirol. Die Zuschauer bei den RWANDAN RECORDS bekommen einen Blick von außen auf die Frage von Identität und Zugehörigkeit, gespiegelt durch die ruandische Perspektive. Und machen dabei die Erfahrung, dass man manchmal jemanden auf der anderen Seite der Welt besser versteht als seinen Nachbarn.

Ist eure multikulturelle Herangehensweise in der gegenwärtigen nationalstaatlichen Rückwärtsgewandtheit nur ein Tropfen auf den heißen Stein? 
Klaus Janek: Die rechten Bewegungen in Europa sind ein Ausdruck für ein Bedürfnis nach Sicherheit. Die Fremden werden für die Probleme in der Heimat verantwortlich gemacht. Gerade wird aber überall verhandelt, was das denn nun ist, diese Heimat, was das ist, das Fremde. Darüber existieren ja ganz unterschiedliche Vorstellungen, die Begriffe sind ja gar nicht eindeutig gefüllt. Ist es die Sprache, die Musik, der Glaube, die Literatur? Gehört Jazz auch zur Heimat dazu? Kann Literatur aus Südamerika ein Heimatgefühl geben? Durch Internet, das Reisen, Wohnortswechsel, durch den globalen Warenaustausch, durch eine globalisierte Popkultur finden gerade extrem viele Wechsel statt, und die RWANDAN RECORDS sind ein Beitrag dazu, sich über diese Umbrüche bewusst zu werden.

Wie klingt Ruanda? Wie Deutschland? Wie beide zusammen? 
Klaus Janek: Ruanda hat mich total überrascht – akustisch – als wir dort ankamen. Es ist alles ganz leise, zurückhaltend. Trotzdem hört man ständig hunderte Gespräche, die parallel überall  stattfinden.Auch die Musik ist eher zurückhaltend, also gar nicht so wie unsere Songs in dem Stück. Ich würde jetzt Deutschland selbst gar nicht in erster Linie akustisch beschreiben. Aber in Berlin, wo ich seit über 20 Jahren wohne, sind Sampling Beats und elektronische Klänge Teil der Klanglandschaft. So habe ich versucht in meiner Komposition beiden Teilen Raum zu geben – was zum einen gut gelungen ist und zudem auch noch Spaß macht. 

Im Mittelpunkt des Projekts steht die Verantwortung des Einzelnen für das kollektive Schreiben und Verarbeiten von Geschichte. Wie manifestiert sich das in der Arbeit?      
Milena Kipfmüller: Die Zuschauer wählen ihren eigenen Weg durch die Geschichten. Man wechselt die Tonstudios, setzt so die unterschiedlichen Bausteine zusammen. Die Geschichten nehmen immer wieder Bezug zueinander, und man lernt die Leute kennen. Da gibt es lustige Kommentare zu dem, was ein anderer erzählt hat, es gibt traurige Geschichten, schockierende und dann überraschende Wendungen und Widersprüche. Wenn man durchläuft, setzt man sich das dann zu einem eigenen Bild zusammen. Und man weiß, dass man nicht alles hören kann, dass es da noch ganz viele andere Geschichten gibt, die man nicht schafft, an einem Tag zu hören, aber die man sehr gerne noch weiter hören möchte. Es ist uns wichtig, dass man diese Erfahrung macht, weil man ja auch in der Realität nie den völligen Überblick bekommt und man sich aktiv entscheiden muss: wem höre ich zu? Welchem Argument? Welche Perspektive nehme ich ein und welcher verweigere ich mich? Das hat was sehr einladendes aber damit auch eine starke politische Aussage, die in dem heutigen Kontext der Debatten untergeht aber extrem wichtig ist.

Welchen Einfluss hatten die ehemaligen Kolonialmächte auf Ruandas Gegenwart? 
Jens Dietrich: Zu dieser Frage gibt es einiges zu diskutieren. Bis die Deutschen 1916 von den Engländern und den Belgiern aus dem Land getrieben wurden, waren dauerhaft maximal 50 Leute aus Deutschland in Ruanda. Aber sie haben in die Innenpolitik eingegriffen und König Musinga in Konflikten unterstützt, um so indirekt regieren zu können, was nur mittelgut geklappt hat. Die Belgier haben dann ab den 20er Jahren das Land massiv verändert. Sie haben die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi in den Pass eintragen lassen und damit ein soziale Unterscheidung zu einer ethnischen festgeschrieben. König Musinga, der sich einer Christianisierung widersetzte, wurde durch Intrigen durch seinen Sohn ersetzt, der in einem christlichen Internat erzogen worden war. Das alles hatte massive Auswirkungen auf die Geschichte Ruandas. Das sind Faktoren, die mit zur Entstehung des Völkermords beitrugen. Der Genozid stellt einen weiteren Bruch in der ruandischen Geschichte dar. Danach war nichts mehr wie vorher. Und jetzt orientieren sich viele junge Leute sehr international. Und suchen zugleich nach der präkolonialen Vergangenheit, nach ihrer Identität.

Wo wird das Stück erlebbar gemacht? Wird es auch auf Reisen gehen?      
Klaus Janek: Das Stück läuft derzeit im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, ein idealer Ort für so ein Projekt. Wir sind in Gesprächen mit verschiedenen anderen Veranstaltern in Deutschland und Belgien und fänden es großartig, die RWANDAN RECORDS auch in Südtirol zu zeigen. Denn die spezifische Situation in Südtirol lässt sich sehr gut mit den Fragestellungen und dem Blick des Projekts auf Identität verknüpfen.