Politik | Syrer im Libanon

"Zueinander finden"

Der Libanon ist Auffangland von Flüchtlingen. Südtirol unterstützt eine Initiative des Zusammenlebens von Libanesen und Syrern.
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Die Kurse dauern noch bis in den Sommer hinein
Foto: GVC

Sie sind gerade aus dem Libanon zurückgekehrt…

Alessandro Miraglia: Ja, wir vom GVC* überprüfen regelmäßig unsere Projekte, damit alles kontrolliert abläuft. Besonders diesmal, da das Einsatzgebiet mehrere Besonderheiten hat.

Es geht um den Norden Libanons und um Syrer, die vor den massiven Konflikten in ihrem Land über die Grenze geflüchtet sind?

Genau. Doch es gibt ein Detail, das sehr wichtig ist. Viele Syrer haben vor dem Krieg im Grenzgebiet auf libanesischer Seite gearbeitet. Sie waren Grenzpendler, die mehrfach im Jahr, am Wochenende, manche täglich, zurück über die Grenze kehrten. Diese Syrer fühlten sich im Libanon schon zu Hause. Als der Konflikt ausgebrochen ist, haben sie ihre gesamten Familien mit über die Grenze in den Libanon genommen.

Das klingt gut, weil der Arbeitsplatz gesichert ist …

Einerseits. Das Problem aber ist, dass sehr viele Syrer in den Libanon gekommen sind. Insbesondere in den Gemeindegebieten des Bekaa Tales, in den Orten El Ain mit 30.000 Einwohnern und Al Qaa, ca. 12.000 Einwohnern. Die Einwohnerzahl hat sich hier exponentiell vergrößert, um mehr als die Hälfte. Die Bürgermeister haben alles getan, um die Syrer aufzunehmen. Aber es sind sehr viele, sodass die öffentlichen Ressourcen für alle knapp geworden sind, Dienstleistungen, Wohnungen, Arbeitsplätze, Schulen und und. Die Nachfrage ist fast unkontrollierbar aus allen Nähten geplatzt.

Wieviele Syrer sind im Libanon?

2015 hat die Regierung das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR gebeten, keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen: Damals waren es eine Mio. registrierte Flüchtlinge. Die Zuwanderung aber hat danach nicht aufgehört. Aus dem Osten kamen Afrikaner an der Küste an, vom Norden und Osten die Syrer. Die Grenze zu Israel im Süden ist geschlossen – im Libanon leben bereits 450.000 geflüchtete Palästinenser. Im Libanon befinden sich somit mindestens 1,5 Mio. Flüchtlinge. Bei einer Einwohnerzahl von 4,5 Mio ist das sehr viel.

Und wir hier in Europa stöhnen …

Diese Zahlen müssen wir uns in der Tat vor Augen halten. Umsomehr, als das Verhältnis zwischen Libanon und Syrien durch den Krieg untereinander in Vergangenheit belastet war. Libanon sah sich auch danach von Syrien unter Druck gesetzt. Und doch hat das Land den vielen Syrern Zuflucht gewährt. Natürlich braucht Libanon jetzt Unterstützung, besonders im Norden. Das ist ein wirtschaftlicher, aber auch ein sozialer Brennpunkt des Landes.

Sie organisieren konkrete Ausbildungen, um syrischen Jugendlichen eine Brücke in den Arbeitsmarkt zu bauen?

Eben nicht nur für syrische Jugendliche, sondern auch für junge Libanesen. Unser Einsatz zielt auf die verletzbarste, ärmste Bevölkerungsschicht ab. Es gilt, die sozialen Spannungen abzubauen. Obwohl der Libanon ein ordentliches Schul- und Ausbildungssystem hat, gibt es Jugendliche zwischen 15 und 29, die keine Ausbildung haben und keine Schule besuchen. Angesichts der angespannten Situation gibt es kein Auffangnetz. Wir haben nach Bedarfsanalysen, die die Deutsche Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit GIZ 2015 durchgeführt hat, einige Berufskurse gestartet, in denen aktuell Syrer und Libanesen ausgebildet werden. Auf diese Weise kommen sie sich im Alltag näher und lernen sich kennen.

In welchen Bereichen?

Wir hatten einige Sektoren ins Auge gefasst, etwa in der Technologie und IT-Bereich, Grafik, Fotografie oder in der Wirtschaft, etwa Tourismus. Doch wir haben auch die ausgewählten Teilnehmer nach ihren Eignungen und Vorstellungen gefragt. So kamen die Ausbildungsschienen im Bereich IT und Fotografie zustande, aber gleich mehrere Jugendliche wollten Friseurin und Kosmetikerin werden. Also haben wir umdisponiert. Die Kurse laufen bis in den Sommer 2017.

Wurde das Angebot angenommen?

Sehr gut. Wir haben sogar von Bürgermeistern anderer Gemeinden die Anfrage erhalten, dass sie in das Programm einsteigen möchten. Denn mit den Verwaltungen von El Ain und Al Qaa wurde vereinbart, dass die Kursteilnehmer nach der Ausbildung Arbeiten zugunsten der Verwaltung durchführen werden. Die Kursteilnehmer wurden nach ihrer sozialen Verletzlichkeit ausgewählt. Im Anschluss an die Kurse können sie Praktika antreten, für die wir auch die Plätze in privaten Betrieben organisiert haben.

Wieviele Jugendliche sind eingebunden?

An den Ausbildungen nehmen 60 Jugendliche teil. Wir haben weitere 50 in die Gespräche mit den Gemeinden eingebunden, in denen Pläne ausgearbeitet werden, mit Hilfe derer die Situation der Jugendlichen verbessert wird. Zusätzlich richten wir mit Al Ein ein Jugendzentrum ein, in dem Aktivitäten für Jugendliche gemacht werden, das werden rund 200 sein. Indirekt begünstigt werden durch diese Initiative mehr als 30.000 Menschen sein.

Sie haben weitere Projekte geplant?

Für diese Initiative zugunsten der Jugendlichen werden wir vom Land Südtirol unterstützt. Dank dieser Finanzierung erhielten wir weitere Finanzierungen von der staatlichen Entwicklungshilfe Italiens und zusätzlich seitens der EU. Damit können wir die Ausbildungen erweitern, weitere Praktika organisieren und für Nachhaltigkeit und Ausweitung des Projektes garantieren sowie weitere Jugendliche, aber auch Erwachsene einbinden. So, dass die Menschen im Beeka-Tal über die Arbeit auch zueinander finden, Libanesen und Syrer, Männer und Frauen.

* GVC ist eine Nichtregierungsorganisation in Italien, mit Sitz auch in Bozen, und mit breiter Erfahrung in Sozialarbeit in der Entwicklungszusammenarbeit.