Gesellschaft | Freestyle Seiser Alm

Das winterliche Aschenputtel

Freestyle-Spektakel auf der Seiser Alm: Slopestyle ist ein globales Phänomen und seit 2014 sogar olympisch. Doch in Südtirol ist der Sport noch nicht richtig angekommen.
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Foto: Simon Hehl/F-TECH

Es ist schwierig einzuschätzen, welcher Sport Südtirol am besten repräsentiert. Integriert man Südtirol als Teil der Sportnation Italien, dann kommt man um König Fußball wohl nur sehr schwer herum. Österreich hat sich in den letzten Jahrzehnten als Wintersportnation etabliert und dabei vor allem im Ski Alpin Legenden wie Franz Klammer, Hermann Maier, Annemarie Moser-Pröll, Marlies Schild oder in den letzten Jahren Marcel Hirscher und Anna Veith hervorgebracht. In Deutschland wendet sich das Blatt wiederum. Obwohl es sich dabei um eine insgesamt sportlich sehr erfolgreiche Sportnation handelt, kann man auch beim Fußball-Weltmeister den Hang für das runde Leder erahnen. Wollen wir Südtirol nun als eigenständige Sportnation oder zumindest als Sportenklave betrachten, so befindet man sich wie in so vielen anderen Dingen in einer andauernden Identitätskrise.

 "Der Sport ist auf globaler Ebene schon sehr anerkannt, nur in Südtirol hapert es bisweilen“

Begeistert wird Eishockey verfolgt; in Bozen, Bruneck, auf dem Ritten oder in Gröden haben sich Klubs etabliert, die seit langer Zeit Südtiroler Eishockey-Geschichte schreiben – aber nun mal nur Südtiroler Geschichte. Die Begeisterung ist auf lokaler Ebene konzentriert, zumal der Sport nur im Norden Italiens praktiziert wird. Auch beim Fußball scheiden sich die Geister: Im Amateurbereich wimmelt es nur so von Nachwuchskickern, jedoch schafft es auch der FC Südtirol nicht, die Massen anzuziehen und sein noch sehr klein gehaltenes Stadion zu füllen. Biathlon punktet mit Antholz, jedoch kann man hier durchaus beteuern, dass es mehr um die Stimmung rund um den Event geht denn um den Sport selbst. Zu guter Letzt Ski Alpin. Dominik Paris, Nicol Delago und Christoph Innerhofer feiern regelmäßig Erfolge. Doch der Renn-Klassiker schlechthin, die Herren-Abfahrt auf der Saslong, kann nur mit einem Bruchteil der Zuschauer aufwarten, die jedes Jahr in Kitzbühel auf der Streif oder beim Nachtslalom in Schladming in den Zielbereich pilgern.

Was schließlich total am gemeinen Südtiroler vorbeigegangen sein dürfte, ist die Tatsache, dass wir auch in einer anderen Sportart sowohl Spitzensportler haben als auch jedes Jahr einen Weltcup-Event austragen. Und auch heuer findet es aufs Neue statt: Der FIS Slopestyle Weltcup Seiser Alm Legends. Am 26. und 27. Jänner treffen sich die Granden der Ski-Freestyle- und der Snowboard-Szene auf dem Hochplateau, um in der Disziplin Slopestyle ihr können auf die Probe zu stellen. So weit, so gut: ein Haufen Anglizismen und wenig, was man sich darunter vorstellen kann. "Der Sport ist auf globaler Ebene schon sehr anerkannt, nur in Südtirol hapert es bisweilen“, erklärt OK-Mitglied des Weltcups auf der Seiser Alm, Martin Gruber, bei salto.bz.

Was ist Slopestyle?

Bevor man auf Slopestyle eingehen kann, muss erst einmal geklärt werden, wo man die Disziplin einordnen kann. Denn wie auch bei im Ski Alpin mit seinen ganzen Disziplinen ist auch Slopestyle eben nur eine Disziplin zweier eigentlich bekannter Sportarten: Freestyle-Ski und Snowboard. Während die Snowboard-Szene sich schon seit einigen Jahren mit Big Airs, Snowboardcross, Halfpipe und Parallelslamlom etabliert hat, sticht beim Freestyle-Ski dem Laien vor allem der Skicross ins Auge. Mit Siegmar Klotz ist Südtirol dabei recht prominent vertreten.

Slopestyle ist somit in beiden Sparten eine Disziplin, die besonders in Südtirol ein wenig unter dem Radar fliegt, obgleich sie den Athleten einiges an Können abverlangt. "In erster Linie ist es natürlich wichtig, dass man gut Ski fahren kann. Außerdem bedarf es großer Körperbeherrschung und etwas akrobatischen Talents. Wie aber in jeder Sportart ist viel Training unabdingbar, um dann den Unterschied zu machen.“ - Silvia Bertagna weiß, wovon sie spricht, ist sie doch eines der Aushängeschilder der Südtiroler Freestyler.

Die Athleten fahren einen Hang runter, der mit drei technischen – also Rails oder Boxen – und drei Sprunghindernissen bestückt ist. "Bei jedem Wettbewerb wir der technische Teil des Parcours' anders zusammengestellt. Ein Athlet wird selten die gleiche Kombi an Hindernissen vorfinden. Daher muss man ihnen auch Trainingsläufe garantieren können“, erzählt Gruber weiter.

"Wir sind alles: skiverrückt, biathlonverrückt, vielleicht naturbahnrodelverrückt – aber Freestyle schafft in Südtirol irgendwie nicht den Durchbruch."

Während die Athleten den Hang selbst scheinbar nonchalant herab schlittern, kommt es bei den Hindernissen ans Eingemachte. Gekonnt und vor allem sauber müssen die Prüfungen bewältigt werden. Schnelligkeit spielt dabei keine Rolle. Es geht um Schwierigkeit des Tricks, dessen Ausführung und speziell bei den Sprunghindernissen um Höhe und eine makellose Landung. "Die Bewertung der Landung kann man sich so vorstellen wie den Telemark beim Skispringen. Sie muss sauber sein und die Hände sollten möglichst nicht mit dem Boden in Berührung kommen.“ Dabei werden die Sportler von einer Jury bewertet und entsprechend im Klassement untergebracht. Ein Lauf dauert kaum länger als eine Minute.

Unterteilt ist der Wettbewerb meist in Training, Quali und Finale. Im Finale auf der Seiser Alm zum Beispiel stehen bei den Herren zwölf und bei den Frauen sechs Athleten und Athletinnen. Beim finalen Durchgang hat der Athlet mehrere Läufe zur Verfügung – meist zwei oder drei – und der beste bzw. die zwei besten werden gewertet. Im Falle Seiser Alm wird drei Mal gefahren, der beste Run wird gezählt.

Ein Sport ohne Visibilität in Südtirol

Klingt spannend, ist es auch. Nichtsdestotrotz hinkt der Sport in der Südtiroler Sportblase in Sachen Bekanntheit und Anziehungskraft anderen, zeitweise weniger spektakulären Sportarten hinterher. "Wir sind alles: skiverrückt, biathlonverrückt, vielleicht naturbahnrodelverrückt – aber Freestyle schafft in Südtirol irgendwie nicht den Durchbruch. Junge Menschen, besonders Jugendliche sind schon sehr präsent. Medien und Kommerz behandeln den Sport jedoch stiefmütterlich.“ Ähnlich sieht es auch Bertagna: "Ich glaube wir begeistern schon viele. Immer mehr junge Menschen sehen sich den Sport an und versuchen sich daran. Bei den Medien ist es aber anders: Fußball ist in Italien omnipräsent und bekommt die besten Sendezeiten. Unsere Rennen hingegen werden nicht selten gar erst mitternachts ausgestrahlt. Da bekommt man nicht unbedingt Jedermann vor den Fernsehr.“

 "Wir tragen zum dritten Mal einen Weltcup-Event in einem Ort aus, der in der Szene sehr geschätzt wird und unter den Athleten sehr bekannt ist. Außerdem darf man nicht vergessen, dass auch Slopestyle seit Sochi 2014 eine olympische Disziplin ist. Aber wir kommen an alpine Skifahrer und Konsorten nicht ran.“

Die Begeisterung Grubers ist bei seinen Erläuterungen die ganze Zeit herauszuhören. Entsprechend enttäuscht klingt er, wenn es um die Visibilität der Sportart geht: "Wir tragen zum dritten Mal einen Weltcup-Event in einem Ort aus, der in der Szene sehr geschätzt wird und unter den Athleten sehr bekannt ist. Außerdem darf man nicht vergessen, dass auch Slopestyle seit Sochi 2014 eine olympische Disziplin ist. Aber wir kommen an alpine Skifahrer und Konsorten nicht ran.“ Während Freestyler in der Schweiz und Österreich Personen des öffentlichen Lebens sind und Big-Air-Olympiasiegerin Anna Gasser kürzlich zum zweiten Mal hintereinander zu Österreichs Sportlerin des Jahres gewählt worden ist, bleibt der große Knall in Südtirol noch aus.

Südtiroler bilden Weltspitze

Obwohl zwei Südtiroler im Freestyle-Ski zur erweiterten Weltspitze gezählt werden dürfen. Zum einen haben wir eben die Grödnerin Silvia Bertagna. Die 32-Jährige holte im Slopestyle in der Saison 2013/2014 den vierten Platz im Gesamtwelcup. 2017/2018 führte sie letztendlich, obwohl sie keinen Einzelwettbewerb gewonnen hatte, im Big Air am Ende sogar die Gesamtwertung an. Bertagna war zudem Teil des Slopestyle-Teams, das bei der olympischen Premiere in Sochi angetreten ist und wurde dabei achte.

Dann gibt es noch Ralph Welponer, seines Zeichens auch aus Gröden. Zwar ist Welponer momentan mit einem Kreuzbandriss außer Gefecht gesetzt, in der Vergangenheit konnte er trotzdem schon mehrmals auf sich aufmerksam machen. Die besten Weltcup-Platzierungen erreichte der Big-Air- und Slopestyle-Spezialist dabei 2017 in Mailand mit Platz sechs (Big Air) und 2014 in Silvaplana in der Schweiz mit Platz zehn (Slopestyle).

Somit wäre für einen spannenden Wettkampf an diesem Wochenende alles angerichtet. Wir dürfen uns zum wiederholten Male auf ein Fest freuen – vielleicht dieses Mal gar mit dem ein oder anderen Laien, der sich dieses Spektakel auf höchstem Niveau nicht entgehen lassen will.